Bislang schien alles klar: Für Angst und Panik ist im Gehirn ein Areal namens Mandelkern zuständig. Doch nun haben Forscher festgestellt, dass auch Menschen mit zerstörtem Mandelkern Angst empfinden können. Sie brachten drei vermeintlich Furchtlose in Panik - und brauchten dazu nur etwas CO2-Gas.
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© CorbisAngst vor dem Ersticken: Panik setzt auch ein, wenn Amygdala im Hirn zerstört ist
Wenige Strukturen im Gehirn brachten Neurowissenschaftler bislang so eindeutig mit einer bestimmten Aufgabe in Verbindung wie die Amygdala. Wegen ihrer Größe und Form auch Mandelkern genannt, gilt die Amygdala als emotionales Zentrum, das vor allem Angstgefühle steuert. Nun hat die Amygdala wohl ihr Angstmonopol verloren. Eine Forschergruppe um Justin Feinstein von der University of Iowa konnte belegen, dass auch jene Menschen, deren Amygdala nicht funktionsfähig ist, in bestimmten Situationen eine Angstreaktion zeigen.

Die Wissenschaftler untersuchten drei Patienten mit dem Urbach-Wiethe-Syndrom, einer sehr seltenen genetisch bedingten Erkrankung, bei der die Amygdala verkalkt und bis zur Funktionsunfähigkeit verkümmert ist. In der Folge kennen die Betroffenen kein Gefühl von Angst und Furcht. So zumindest fiel das Fazit von Feinstein und seinen Kollegen aus,nachdem sie vor gut zwei Jahren eine 44-jährige Frau, die sie S. M. abkürzen, untersucht hatten und über ihre Furchtlosigkeit staunten.

Eine andere Art von Angst

Die nun im Fachjournal Nature Neuroscience veröffentlichte Folgestudie offenbart ein anderes Ergebnis: Auch Menschen mit einer zerstörten Amygdala können Angst empfinden. Um das zu beweisen, setzten die Wissenschaftler S. M. und zwei weiteren Urbach-Wiethe-Patienten sowie zwölf gesunden Kontrollteilnehmern Masken auf und ließen sie CO2-reiches Gas einatmen. Bei hohen Konzentrationen von Kohlenstoffdioxid steigt der Säuregehalt im Blut. Ein gesunder Mandelkern erkennt dies als Zeichen einer drohenden Erstickung und löst rasch ein Angstgefühl bis hin zur Panik aus. Die Forscher vermuteten daher, dass diese Angstreaktion bei Menschen mit geschädigtem Mandelkern ausbleiben würde.

Zu ihrer Überraschung stellten sie jedoch fest, dass die Probanden mit der Hirnschädigung sofort Angst verspürten, nachdem sie das 35-prozentige CO2-Gas eingeatmet hatten. Sie gerieten sogar stärker in Panik als die Testpersonen aus der gesunden Kontrollgruppe. Alle drei vermeintlich Furchtlosen gaben hinterher an, Angst vor dem Ersticken gehabt zu haben, als sie das Gas einatmeten. Für S. M. war es das erste Mal seit ihrer Kindheit, dass sie Angst verspürt hätte, berichten die Forscher.

Sie folgern daraus, dass der Mandelkern nicht für jede Art von Angstreaktion benötigt wird. Wahrscheinlich kenne das Gehirn eigene Mechanismen, um auf bestimmte physiologische Veränderungen innerhalb des Körpers zu reagieren. Die Ergebnisse zeigten einen bedeutenden Unterschied zwischen der Angst vor äußeren Bedrohungen und der Angst, die beispielsweise durch chemische Einflüsse innerhalb des Körpers hervorgerufen wird.

Nun wollen Feinstein und seine Kollegen mit entsprechenden bildgebenden Verfahren herausfinden, welche Hirnregionen außerhalb der Amygdala in Angstsituationen aktiv sind. Unter Verdacht steht neben anderen die sogenannte Inselrinde, eine Hirnregion, die mit der Wahrnehmung des eigenen Körpers in Verbindung steht.