Flexibler, schneller, günstiger - die Industrie arbeitet an einer neuen Generation von Kohlekraftwerken. Minutenschnell sollen die Meiler auf Schwankungen im Stromnetz reagieren und so Lücken bei Wind und Sonne ausgleichen. Es könnte die Schlüsseltechnologie der Energiewende werden.
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© RWERWE-Kohlekraftwerk Niederaußem: Vorsprung dank Silo
Hamburg - Hinter den Häusern eines kleinen Orts im Rheinland ragt möglicherweise ein Symbol für die zweite Phase der Energiewende empor. Im Kraftwerk Niederaußem bei Köln wird Kohle nicht auf herkömmliche Weise verfeuert. Sondern mit einer Technik, die in den kommenden Jahren mehr und mehr konventionelle Kohlekraftwerke einsetzen dürften - und die ein Schlüsselproblem beim Umstieg auf alternative Energiequellen wie Wind und Sonne löst.

In herkömmlichen Kraftwerken zermalmt eine Mühle Kohle zu Staub, dieser wird in einen Brennkessel geblasen. In Niederaußem dagegen lagert die zermahlene Kohle zunächst in einem Silo. Dadurch ist es möglich, den Staub, der die Flamme speist, feiner zu dosieren. In Niederaußem hat der Energiekonzern RWE das Silo ursprünglich eingebaut, um das Kraftwerk einfacher anheizen zu können. Doch nun bekommt die Technologie durch die Energiewende eine ganz neue Dimension.

Ein Kraftwerk mit Silo kann, wenn nötig, auf Sparflamme laufen. Es kann auf bis zu zehn Prozent seiner maximalen Leistung gedrosselt werden. Kraftwerke ohne Silo können das nicht. Selbst in modernen Anlagen ist bei 35 Prozent Schluss. Darunter muss die Flamme aufwendig am Leben erhalten werden. Etwa, indem man Öl oder Gas verbrennt, was aber viel zu teuer ist.

Das Staubsilo ist nur eine von mehreren neuen Technologien, mit denen sich Kohlekraftwerke fit für die Energiewende machen lassen. Die Zeit drängt. Denn durch die deutsche Ökorevolution stehen die Betreiber von Kohlekraftwerken vor großen Umwälzungen. Das künftige System der Stromversorgung setzt die Betreiber von Kohlekraftwerken einem erbitterten Konkurrenzkampf aus.

Schwankungen im System

Das alte Energiesystem war überschaubar. Die Basis bildeten Großkraftwerke, die oft durchgehend dieselbe Menge Strom produzierten. Sie waren darauf ausgelegt, möglichst lange mit voller Kraft zu laufen - ideale Bedingungen für große Kohlemeiler. In den Mittagsstunden, wenn die Stromnachfrage stieg, speisten zusätzlich Gaskraftwerke ihre Energie ins Netz. So simpel konnte die Arbeitsteilung des fossilen Zeitalters sein.

Nun kommt Bewegung in das behäbige System. Durch die Energiewende speisen immer mehr Windräder und Solaranlagen Strom in die Netze. Netzbetreiber müssen ihn vorrangig kaufen, dazu verpflichtet sie das Gesetz. Den restlichen Bedarf decken Kohle- und Gaskraftwerke - und voraussichtlich bis 2022 noch eine sinkende Zahl Atommeiler.

Die Stromproduktion schwankt in diesem neuen System immer stärker. Sie ändert sich mit jeder Windböe und mit jeder Wolke, die sich vor die Sonne schiebt. Schwankungen bei der Versorgung dürften bis Ende des Jahrzehnts um das Zwei- bis Dreifache steigen, schätzt der japanische Kraftwerksbauer Hitachi Power. Gleichzeitig werde sich die Nachfrage nach Nicht-Ökostrom zwischen 2010 und 2020 halbieren.

Die Stromnachfrage dürfte schon bald nicht mehr für alle Kohlekraftwerke reichen. Wer in diesem schrumpfenden Markt möglichst viel konventionell erzeugten Strom verkaufen will, muss auf die Schwankungen bei Versorgung und Verbrauch rasch reagieren. Bisher konnten das nur Gaskraftwerke. Kohlemeiler schicken sich nun an, Gaskraftwerken diese Rolle als flexibler Lückenfüller streitig zu machen. Aus den ehemaligen Partnern Kohle und Gas werden plötzlich Gegner in einem schrumpfenden Markt.

Von Stahlwänden und Staubsilos

Die Staubsilos sind dazu der erste Schritt. In Kombination mit anderen Technologien ermöglichen sie es Kohlemeilern, im Stromwettbewerb der Zukunft zu bestehen. "Die Nachfrage nach diesen Lösungen ist zuletzt stark gestiegen", sagt Wolfgang Schreier, Europa-Geschäftsführer von Hitachi Power. "Zwei der vier großen deutschen Energieversorger haben bereits Interesse angemeldet."

Die Kraftwerksbetreiber interessieren sich außer für Silos auch für Technologien, die die Reflexe ihrer Meiler beschleunigen. Möglich wird das durch spezielle Stahllegierungen, mit denen man die Wände der Kohlekessel dünner machen kann. Die Kesselwände halten dadurch auch schnellen, starken Temperaturveränderungen stand. Diese treten auf, wenn die Leistung des Kraftwerks nach oben oder nach unten geregelt wird: Mehr Power bedeutet höhere Temperaturen.

Bislang waren die Wände in den Kohlemeilern eher dick. Sie waren darauf ausgelegt, dass die Meiler möglichst lange mit voller Kraft laufen, ohne gewartet werden zu müssen. Flexibilität war egal. Die Leistung ließ sich pro Minute gerade um drei bis vier Prozentpunkte hoch- oder herunterregeln.

Das soll sich nun ändern. Durch dünnere Wände und andere Technologien lässt sich die Spanne auf mehr als zehn Prozentpunkte steigern. Bei einem Kraftwerk mit 1000 Megawatt sind das 100 Megawatt pro Minute - genug Flexibilität, um auch bei extremen Schwankungen die Versorgung stabil zu halten.

Es werden noch weitere Techniken getestet: Etwa die Option, dank spezieller Brenner nicht nur Kohle zu verfeuern, sondern auch Biomasse - und so die CO2-Bilanz der Kraftwerke zu verbessern. Die Kosten für eine umfassende Aufrüstung eines Kohlemeilers liegen Branchenkennern zufolge im hohen zweistelligen Millionenbereich; für die Betreiber kann sich diese Investition schon nach wenigen Jahren rechnen.

Fragt sich nur, ob die Technikrevolution auch für den Klimaschutz die beste Lösung ist. Immerhin stoßen Kohlemeiler anderthalb- bis zweimal so viel Kohlendioxid aus wie Gaskraftwerke. Die CO2-ärmeren Gaskraftwerke produzieren allerdings Strom zu deutlich höheren Kosten als Kohlemeiler, müssen also höhere Preise verlangen.

Wenn die Kohle nun dem Gas die Funktion als flexibler Garant einer sicheren Stromversorgung abspenstig macht, droht manch einem Gaskraftwerk die Pleite. Paradox: Die deutsche CO2-Bilanz würde sich dann wohl verschlechtern.