Buchstäblich mit jedem Augenblick nehmen wir scheinbar perfekte Bilder unserer Umwelt wahr. Diese werden allerdings von unserem Gehirn generiert - es handelt sich also um ein inneres Abbild der äußeren sichtbaren Welt. Frankfurter Forschern sind nun hinter die Funktionsweise dieses "geistigen Auges" gekommen, indem sie mit Hilfe eines neuen mathematischen Modells das Verhalten von Gehirnzellen genauer erklären konnten. Im Gegensatz zu bisherigen Modellen, berücksichtig dieses nun auch Verdeckungen zwischen Objekten in der Welt. Die Wissenschaftler können damit zeigen, dass unsere Gehirnaktivität sehr viel direkter mit Eigenschaften der äußeren Welt verbunden ist als bisher vermutet.
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© Jörg Lücke / Bornschein J. et al. Im Alltag sehen wir häufig wie ein Objekt ein anderes verdeckt, wie zum Beispiel hier der Zweig eines Strauches einen anderen (roter Kasten). Das Bild der beiden Objekte gelangt als eine Art Abbild ins Gehirn indem spezielle Nervenzellen mit hoher Aktivität auf Bildmerkmale reagieren. Um das Bild zu verstehen, muss das Gehirn es in seine ursprünglichen Komponenten (hier die beiden Zweige) zerlegen. Ein neues mathematisches Model dieser Zerlegung sagt nun, dass es viele Nervenzelle geben muss die auf rundliche Merkmale reagieren um Verdeckungen zu verstehen (Merkmal „neu“ von Nervenzellen). Diese Art Zellen wird seit einiger Zeit beobachtet, wurde aber nie mit visuellen Verdeckungen in Verbindung gesetzt.
Frankfurt (Deutschland) - "Im Jahr 1981 erhielten die Neurowissenschaftler Hubel und Wiesel den Nobelpreis für die Entdeckung von Gehirnzellen, die mit hoher Aktivität auf Objektkanten in Bildern reagieren. Dies zeigte, dass unsere Gehirnaktivität mit Merkmalen wie Kanten in Bildern in Verbindung steht", erläutert die Pressemitteilung des Nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience. "Später konnte man mit mathematischen Modellen erklären, warum Gehirnzellen auf bestimmte Objektmerkmale mit starkem Feuern reagieren. Diese Modelle beschreiben, wie das Gehirn ein internes Bild generieren kann - allerdings spiegeln sie die tatsächliche Struktur von natürlichen Bildern bisher nur sehr vereinfacht wieder. So ignorieren sie etwa Verdeckungen zwischen Objekten, wie sie in der sichtbaren Welt allgegenwärtig sind. Eine bestimmte Art von Nervenzellen, die man erst seit wenigen Jahren kennt, lässt sich aber nur schwer mit den gängigen vereinfachten Modellen erklären."

Wie Forscher des Bernstein Fokus Neurotechnologie Frankfurt, der Goethe-Universität Frankfurt und des Frankfurt Institute for Advanced Studies nun aktuell im Fachjournal PLoS Computational Biology (doi:10.1371/journal.pcbi.1003062) zeigen, lässt sich das Verhalten dieser neuen Gehirnzellen besser in neuronalen Modellen beschreiben, wenn weitere Informationen in sie einfließen. In ihrer Studie verglichen sie herkömmliche Modelle mit einem, das Verdeckungen zwischen Objekten berücksichtigt. Dabei zeigte sich: Das neue Beschreibungsmodell sagte im erhöhten Maße neuronale Verhaltensweisen vorher, welche diese spezielle Nervenzellart besitzt. Das Ergebnis gibt auch einen Hinweis auf die Funktion der Neurone. "Es gibt noch andere mögliche Erklärungen warum es solche Zellen in unserem Gehirn gibt", sagt Jörg Lücke, "aber unsere Ergebnisse legen die Kodierung von Verdeckungen als plausibelste Erklärung nahe."

Die Wissenschaftler glauben, dass die neu gewonnen Erkenntnisse auch die Entwicklung von computergestützten Bild-Analysetechniken entscheidend voranbringen können. "Wir wissen noch sehr wenig darüber, wie unser Gehirn Bilder versteht und interpretiert. Gleichzeitig ist unser Gehirn, und übrigens auch die Gehirne von Tieren, im Verstehen von Bildern heutigen Computerprogrammen weit überlegen", sagt Lücke. Eine Verbesserung des sogenannten Computer-Sehens hätte vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Eine Anwendung mit der sich Lücke derzeit zusammen mit Kollegen beschäftigt ist die Analyse von Mikroskopie-Bildern zur automatischen Krebserkennung.

- Den vollständigen PLoS-Artikel finden Sie HIER

Quelle: bernstein-netzwerk.de, nncn.de