Was da am 20. November vom Himmel donnerte, war weit größer als zunächst angenommen. Als am frühen Abend plötzlich ein greller, blauer Lichtblitz die Dunkelheit von Alberta und Saskatchewan über Hunderte von Kilometern durchzuckte, rauschte ein tonnenschwerer Meteoritenbrocken zur Erde. Aus Videos von Überwachungskameras und Augenzeugenberichten können Forscher jetzt den Absturzort ermitteln. Doch dieser »Fall« lehrt uns noch etwas ganz anderes...

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Der riesige Feuerball über Kanada, von dem hier schon vor einer Woche die Rede war, hat sich als noch größere »Überraschung« entpuppt. Zunächst vermuteten Fachleute eine Masse von vielleicht 100 Kilogramm, die am Abend des 20. November für einen gewaltigen Lichtblitz am Himmel sorgte. Mittlerweile aber gehen die wissenschaftlichen Ermittler in Sachen »Kanada-Bolide« von einem rund zehn Tonnen schweren kosmischen Eindringling aus. Er leuchtete in einer Höhe von rund 80 Kilometern über der Stadt Lloydminster an der Grenze zwischen Alberta und Saskatchewan auf, um dann auf südsüdöstlichem Kurs in Richtung des Battle-River-Tales hinabzurauschen. Das Objekt bewegte sich auf einer steil abwärts führenden, rund 60 Grad gegen den Horizont geneigten Bahn nach unten und war dabei rund fünf Sekunden lang sichtbar. Mehrere Explosionen mit einer Hauptdetonation um 17:26:44 Uhr Ortszeit lassen deutlich auf eine mehrfache Aufsplitterung des großen Meteoroiden schließen. Die etwas verwirrenden Bezeichnungen hängen mit der Größe eines Objektes sowie den Abschnitten seiner Bahn zusammen, wobei die Übergänge oft eher fließend sind. Meteoroiden sind dabei einfach Körper, die größer sind als kosmische Staubteilchen, aber kleiner als Asteroiden. Außerdem befinden sie sich entweder noch im Orbit oder aber im Flug durch die Atmosphäre. Die Lichterscheinung hingegen wird als Meteor angesprochen oder auch als Feuerball oder Bolide, wenn’s sehr hell dabei wird - eben so wie in Kanada. Und Meteorite schließlich sind die Brocken, die als letzte Überbleibsel des Meteoroiden übrig geblieben sind, gleichsam die Trümmer an der Endstation der Bahn. Genau danach sucht jetzt Dr. Alan Hildebrand, Planetenexperte und Koordinator der Kanadischen Feuerball-Meldezentrale an der Universität von Calgary.

Am vergangenen Wochenende kurvte der Wissenschaftler quer durch die Provinz, um mit Augenzeugen zu sprechen und nach Video-Aufzeichnungen von Überwachungskameras zu suchen. Manche Motels und Tankstellen bewahren solches Material nur wenige Tage lang auf, also bestand Zugzwang. Dr. Hildebrand rief dazu auf, sämtliche Filmsequenzen der fraglichen Zeit zu überprüfen, um festzustellen, ob vielleicht auch der Feuerball aufgezeichnet wurde. In der Zwischenzeit liegen genügend Informationen vor, um das Fallgebiet der Meteoritentrümmer ausreichend eingrenzen zu können.

Das Streufeld dürfte acht auf drei Kilometer groß sein, wobei die massigsten Brocken am weitesten flogen - sie werden demnach am südöstlichen Ende der elliptischen Zone erwartet. Auch die Zeugenberichte lassen darauf schließen, dass hier kein lockeres Kometenbruchstück detonierte, sondern ein recht stabiles Objekt. Das folgt aus der Art seiner Leuchtspur. Die Masse wiederum ließ sich aus Infraschallmessungen ermitteln, die von einer ganzen Reihe spezialisierter Stationen aufgezeichnet wurden. Infraschall wird als sehr niederfrequenter Schall bei Explosionen erzeugt und lässt sich noch in großer Entfernung nachweisen. Seine Intensität spiegelt die erzeugte Detonationsenergie wider, die bei rund einer Drittel Kilotonne TNT lag. Daraus wiederum folgt dann die ungefähre Masse des Himmelskörpers.

Der Calgary-Bolide drang mit relativ geringer Geschwindigkeit in die Erdatmosphäre ein, legte dabei »nur« 14 Kilometer pro Sekunde zurück. Er musste die Erde auf ihrer Bahn gleichsam »einholen«, ganz im Gegensatz zur Situation bei einer schnellen, wuchtigen Frontalkollision. Alles spricht dafür, dass viele Bruchstücke den heißen Flug durch die Lufthülle der Erde überlebten und als Meteorite niederprasselten. Auch die Zeugenberichte bestätigen diese nahe liegende Vermutung.

Etliche Beobachter, die sich näher am Ort des Geschehens befanden, sahen rot glühende Fragmente des Feuerballs herabfallen. Diese Bruchstücke schienen in geringer Höher über dem Boden zu verschwinden. Außerdem nahmen Zeugen wiederholt donnernde oder pfeifende Geräusche wahr, die möglicherweise von den rasend schnell herab fallenden Brocken erzeugt wurden.

So wie es derzeit aussieht, ging der Calgary-Fall auf unbesiedeltem Gelände nieder. So kam glücklicherweise niemand zu Schaden. Überhaupt werden nur selten Tiere oder Menschen von Meteoritentrümmern verletzt, aber es kommt eben immer wieder vor. 1911 beispielsweise wurde ein Hund im ägyptischen Nakhla von einem Mars-Meteoriten erschlagen. Berühmt ist ein »Fall« aus dem Jahr 1954. Damals krachte ein vier Kilogramm schwerer Meteorit durchs Hausdach der nichts ahnenden Mrs. Hodges, die sich gerade zu einem kleinen Nickerchen hingelegt hatte, als der unerwartete kosmische Besucher in ihr Zimmer »einbrach«, vom Radioapparat abprallte und sie schließlich an der Hüfte traf.

Ein anderer Meteorit fiel in einen Swimmingpool, während im Oktober 1992 der 15-Kilo-Brocken von Peekskill bei New York den Kofferraum
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eines alten Chevrolet Malibudemolierte und damit den Wert des Fahrzeugs wahrhaft schlagartig verhundertfachte! Die junge Besitzerin hatte den Wagen für einen Anstandsobulus von 100 Dollar von ihrer Großmutter gekauft; ein Sammler erwarb ihn nach dem kosmischen Treffer für stolze 10.000 Dollar und zeigte ihn auf Ausstellungen rund um den Globus.

In der brandenburgischen Kleinstadt Trebbin bei Potsdam schepperte 1988 ein bescheidenerer Meteorit in ein Gewächshaus und zertrümmerte einen Blumentopf - der Schaden hielt sich mit ein paar Mark in erträglichen Grenzen, und im Gegensatz zum Peekskill-Meteoriten gab es hier kaum genügend Publicity, um mit dem Blumentopf einen guten Gewinn einzufahren. Dagegen war »Peekskill« ein Hollywood-Spektakel!

In Calgary beginnt jetzt erst einmal die Jagdsaison - allerdings ohne Fuchs. Die Beute sollen hier möglichst viele Meteoriten sein, die als frische Materie aus dem All möglicherweise neue Informationen über den Ursprung unseres Planetensystems liefern können.

Und was haben wir vom Calgary-Fall noch gelernt? Nun ja, dass selbst ein fünfsekündiger abendlicher Meteoritenfall von so mancher Überwachungskamera aufgezeichnet wurde, sei es von der örtlichen Polizei, sei es von Motels, Hotels oder Tankstellen. Aber wenn ein Flugzeug bei hellem Tageslicht und flutendem Verkehr mitten ins Pentagon rast, dann existieren so gut wie keine Aufzeichnungen davon. Vor allem das FBI hat wirklich ganze Arbeit geleistet und schleunigst beschlagnahmt, was nur zu beschlagnahmen war. Und bis heute wurde so gut wie nichts davon freigegeben. Das aber war freilich ein ganz anders gelagerter Fall.