Dramatische Szenen in Amerikas Hauptstadt: Eine Autofahrerin, die ein Kleinkind bei sich hat, durchbricht eine Barriere am Weißen Haus, flüchtet in Richtung Kapitol vor der Polizei und wird dort erschossen. Sicherheitskräfte verteidigen das Vorgehen - doch Fragen bleiben.
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Schwerbewaffnete Polizisten an jeder Ecke, Hunderte Einsatzwagen, gelbe Absperrbänder. Rund um Washingtons Kapitol herrscht am Donnerstag der Ausnahmezustand. An der nordwestlichen Ecke des Geländes steht ein zerbeulter Streifenwagen, ein paar Meter weiter ein schwarzes Auto, zerstört. Beamte tragen ein Kleinkind weg. Rot und blau flackern die Einsatzlichter der Polizei.

Diese Szene markiert den Endpunkt einer Verfolgungsjagd. Einer Jagd von einem der bekanntesten und bestbewachten Gebäude der Welt zum anderen: vom Weißen Haus zum Kapitol, von Amerikas Regierungszentrale zum Parlament. Am Ende ist die Fahrerin des schwarzen Wagens tot, zwei Polizisten verletzt. Und ein einjähriges Kind hat seine Mutter verloren.

Wie konnte das passieren? Gegen Viertel nach zwei Uhr nachmittags nähert sich ein schwarzer Wagen der Marke Infiniti dem Weißen Haus über einen Zugang im Südosten, Ecke 15. Straße und E-Straße. Es ist eine belebte Gegend, viele Touristen erhaschen von hier einen Blick auf das Anwesen, nebenan liegt das Finanzministerium, ein paar Meter weiter stehen Washingtons Edel-Hotels. Die Fahrerin, so berichten es später mehrere Augenzeugen SPIEGEL ONLINE, sei ein paar Lieferwagen gefolgt, die die Kontrolle am Weißen Haus passierten. Hat sie sich vielleicht verfahren?

Dann sei die Situation außer Kontrolle geraten: Secret-Service-Personal habe gegen das Seitenfenster geklopft, Beamte zogen sicherheitshalber eine Barriere hinter das Auto. Dann habe die Frau zur Überraschung aller gewendet und sei gegen die Absperrung gefahren - obwohl dahinter noch ein Mann vom Secret Service stand, der sich aber habe retten können. Die Barriere fiel, die Frau habe für einen Moment angehalten. Dann jedoch sei sie mit rund 50 km/h die Pennsylvania Avenue hochgefahren, mehrere Einsatzwagen hätten die Verfolgung aufgenommen.

Hatz durch Washingtons Zentrum

Es kommt zu einer Jagd just über jene Meile, auf der Amerika alle vier Jahre die Inauguration seiner Präsidenten feiert. Die Fahrerin steuert auf das Kongressgebäude zu. Erst das Weiße Haus, jetzt das Parlament? Was hat die Frau vor? Seit Wochen, das muss man wissen, ist die Situation in Washington besonders angespannt. Ende September tötete der Amokläufer Aaron Alexis auf einer Marinebasis in der Stadt zwölf Menschen; und seit Beginn des Government Shutdown, des Regierungsstillstands in der Nacht zum Dienstag fürchten die Behörden durchaus Attacken auf Kongressmitglieder.

Und nun rast an diesem Donnerstagnachmittag der schwarze Wagen auf den Kongress zu. Am Fuße des Gebäudes können ihn die Polizisten erstmals stoppen, mehrere Beamte laufen mit gezogenen Waffen auf das Auto zu. So belegen es Amateur-Videoaufnahmen (sehen Sie die Bilder hier).

Doch die Fahrerin stellt sich nicht, setzt mit dem Wagen zurück und entkommt ein weiteres Mal. Dann eröffnen die Polizisten das Feuer. Kurz darauf kann sie dann gestoppt werden, an der Nordwestseite des Kapitols. Die Frau ist tot. Im Auto finden die Beamten ein einjähriges Kind. Laut CNN hatte die Flüchtige keine Waffe bei sich, zwei Beamte wurden verletzt. Keiner aber trug eine Schusswunde davon.

Warum bloß flüchtete die Frau? Der Wagen, so berichtet später die Washington Post, sei auf die 34-jährige Miriam C. aus Stamford im Bundesstaat Connecticut zugelassen. Was also steckt dahinter? "Ein Einzelfall" sei das wohl, sagte Kim Dine, Leiter der Kapitol-Polizei. Eine terroristische Tat? Nein, darauf gebe es bisher keine Hinweise.

Also ein tragisches Unglück? Eine Frau, die sich durch panische Reaktionen Minute für Minute verdächtiger gemacht hat? Unklar, bisher. Der republikanische Kongressabgeordnete und Sicherheitspolitiker Michael McCaul sagte CNN, die Behörden vermuteten, die flüchtige Frau könnte psychische Probleme gehabt haben. Er habe dies aus mehreren Quellen erfahren. Auch Cathy Lanier, die Polizeichefin Washingtons, sagt auf der Pressekonferenz draußen vorm Kapitol, ihr erscheine das alles nicht als einfacher Unfall. Schließlich sei es eine lange Flucht gewesen: "Ich bin ziemlich sicher, dass das kein Unfall war", wiederholt sie. Jetzt müssten die Ermittlungen abgewartet werden.

Eines zumindest scheint schon zu diesem frühen Zeitpunkt klar: Eine tote, unbewaffnete Mutter - das könnte die Behörden noch vor unangenehme Fragen stellen. Kaum Zufall, dass Vertreter aller an den Ermittlungen beteiligten Stellen - FBI, Secret Service, lokale Polizei - während einer ersten Pressekonferenz stets betonten, dass sich alle Einsatzkräfte ordnungsgemäß verhalten hätten: "Die Officer haben genau das getan, was sie sollten", erklärte Lanier; sie hätten "heroisch gehandelt".


Kommentar: Heroisch? Durch die "terroristische" Propaganda vieler Jahre: Auf alles zu schießen ist nicht heroisch, sondern paranoid!


Die fürs Kapitolsgelände zuständigen Polizisten erhalten derzeit wegen des Shutdown als Angestellte des Bundes keinen Lohn. Als die Abgeordneten im Repräsentantenhaus von der vor ihrer Tür beendeten Verfolgungsjagd erfuhren, erhoben sie sich alle gemeinsam zu stehendem Applaus für die Polizeibeamten.

US-Präsident Barack Obama seinerseits verfolgte die Ereignisse im Weißen Haus. Am Mittag erst war er von einem Redeauftritt im benachbarten Bundesstaat Maryland zurückgekehrt, wo er Top-Republikaner John Boehner wegen des andauernden Government Shutdown attackierte.