Macht der Konsum von TV-Serien süchtig? Psychologen wollen im Auftrag des US-Senders Fox herausgefunden haben, dass Fernsehzuschauer auf Entzug ähnlich reagieren wie Heroinsüchtige. Andere Forscher halten den Vergleich für weit überzogen.

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© FOX/ Sebastian BergerSebastian Berger

Das Herz klopft, Schweiß bricht aus, man hält den Atem an. Solche Symptome hat fast jeder schon erlebt, wenn sich etwas Aufregendes ereignet, man gespannt auf etwas wartet, die Emotionen im Streit hochkochen - oder wenn man seine Lieblings-TV-Serie schaut.

Wie sehr der Körper mitgeht, wenn das Drama auf dem Bildschirm statt im echten Leben stattfindet, wollte nun der TV-Sender Fox wissen - und gab eine Studie in Auftrag. Den Report selbst veröffentlichte Fox nicht, dafür aber eine Pressemitteilung ganz im hauseigenen Actionstil: "Körper zeigt Symptome von Abhängigkeit bei Entzug von TV-Serien." Selbst den Vergleich mit echten Drogensüchtigen scheute der Sender nicht: "Temperaturabsturz bei gleichzeitiger Erhöhung der galvanischen Hautreaktion auch in Vergleichsstudie mit Abhängigen beobachtet."

Was war geschehen? Die baden-württembergische Firma Neuromarketing Labs hatte im Fox-Auftrag 75 Probanden über das Onlineportal "Serienjunkies" rekrutiert und sie beim Fernsehen beobachtet. Das Ergebnis: Ob ein Zuschauer Komödien mag oder sich lieber bei Horrorszenen gruselt, macht kaum einen Unterschied. Fernsehserien kommen offenbar immer gut an, wenn sie starke Emotionen auslösen - egal welche. Sobald Szenen aus der Lieblingsserie oder auch nur Informationen darüber über den Bildschirm flimmerten, schnellten bei 30 mit Elektroden verkabelten Freiwilligen Puls und Schweißproduktion nach oben, der Atem beschleunigte sich, Elektroden am Kopf registrierten Hirnsignale für erhöhte Aufmerksamkeit und Emotionalität.


Hauptsache Gefühle

Bei 25 weiteren Testpersonen, denen im Kernspintomografen TV-Serien gezeigt wurden, ergab sich ein ähnliches Bild: Geliebte Serien sprachen sowohl positive Emotionen wie Lust und Vertrauen als auch negative Gefühle wie Angst oder Ekel stärker an. Studienleiter Kai-Markus Müller erklärt sich die Vorliebe für emotional wirksame Serien damit, dass das Fernseherlebnis in diesem Fall ein willkommenes Kontrastprogramm zum mitunter weniger spannenden Alltag bietet.

Dass Fernsehen intensive Gefühle hervorrufen kann, überrascht allerdings kaum. "Emotionsforscher auf der ganzen Welt nutzen in ihren Studien bewegte Bilder, weil sie wissen, dass diese besonders starke Emotionen auslösen", sagt Rainer Spanagel vom Institut für Psychopharmakologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, der nicht an der Studie beteiligt war.

Entscheidend für den Erfolg einer Fernsehserie ist, dass Zuschauer sich auch für weitere Folgen immer wieder zuschalten. Müllers Team untersuchte daher auch, wie Probanden reagierten, wenn ihnen das versprochene Serienvergnügen entzogen wurde. Brach die Lieblingssendung nach fünf Minuten plötzlich ab, hielten die Zuschauer erst mal die Luft an, ihre Körpertemperatur sank und die Schweißproduktion stieg kurzfristig an. "Ganz ähnliche körperliche Reaktionen gibt es bei Drogenabhängigen", sagt Müller. Er verweist dazu auf eine Studie indischer Forscher, in der die Reaktion von Opiatsüchtigen beobachtet wurde, die sich einige Wochen nach dem Entzug an das große Verlangen nach der Droge erinnern sollten.

"Ganz normale Enttäuschungsreaktion"

Derik Hermann, ebenfalls am Mannheimer ZI, geht das alles entschieden zu weit. "Eine Gleichstellung der mit großem Leiden verbundenen Suchterkrankungen mit dem Konsum von TV-Serien erscheint völlig unangemessen", sagt der Suchtforscher. "Nicht jede ausführliche oder exzessive Beschäftigung ist gleich eine Sucht oder Abhängigkeit. Das Konsumieren von TV-Serien ist nicht vergleichbar mit den gravierenden Veränderungen durch einen Alkohol- oder Opiatabhängigkeit."

Auch Spanagel wehrt sich dagegen, die Reaktionen der Fernsehzuschauer mit einem Drogenentzug zu vergleichen: "Hier wurde nichts anderes gemessen als eine ganz normale Enttäuschungsreaktion. Wenn ich Ihnen ein leckeres Essen vor die Nase setze und es Ihnen dann wegnehme, atmen Sie auch erst mal tief durch." Beim Drogenentzug hingegen käme es zu langfristigem Substanzverlangen mit fortwährender Stressreaktion und andauernder schlechter Laune. Um Fernsehentzug eine ähnliche Wirkung zuzuschreiben, müsse man mindestens zeigen, dass negative Effekte auch hier langfristig andauern. "Ich wette aber", sagt Spanagel, "dass nach zehn Minuten nichts mehr davon zu beobachten ist, weil der Mensch sich mit einer solchen Enttäuschung schnell abfinden kann."

Müller räumt ein, dass seine Messungen eher eine schlichte Enttäuschung erfassen könnten als eine spezifische Entzugsreaktion wie bei einer Drogenabhängigkeit. Doch dass die psychologischen Parameter in beiden Fällen in die gleiche Richtung gingen, sollte weiter wissenschaftlich erforscht werden. Die Fox-Pressemitteilung sei ihm vor der Veröffentlichung vorgelegt worden, sagt Müller. Einen unzulässigen Vergleich zwischen Serienfans und Drogensüchtigen mag er darin aber nicht erkennen. "Das", sagt Müller, "wäre eine völlige Überinterpretation der Ergebnisse."

Bei Fox scheint man sich dagegen von den Studienergebnissen inspiriert zu fühlen: Am Freitag kündigte der Sender "Extrem-Programmierungen für Serienjunkies" an - das erste "Fox Mega Binge" ("Mega-Besäufnis"). Da werde, verspricht der Sender, "ferngesehen bis der Doktor kommt".