In den Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Sotschi erschienen in westlichen Medien zahlreiche »glaubwürdige Berichte«, die die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags während der Winterspiele erörterten.

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Ende Januar warnte die britische Regierung, nach den Terroranschlägen in der russischen Stadt Wolgograd im Dezember seien »weitere Anschläge vor den Spielen oder während der Spiele sehr wahrscheinlich«. (BBC, 27. Januar 2014). Als die olympische Fackel Sotschi erreichte, veröffentlichte der amerikanische Fernsehsender CNN auf der mageren Grundlage von 1000 Befragten eine »repräsentative« Meinungsumfrage, die ergab, dass »57 Prozent der Amerikaner einen Terroranschlag bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi für wahrscheinlich halten«.

Frühere Berichte konzentrierten sich auf die mysteriöse Gefahr von Terroranschlägen so genannter »Schwarzer Witwen« aus Tschetschenien, des russischen Zentrums des islamischen Terrorismus. So titelte etwa die deutsche Wochenzeitung Die Zeit bereits am 25. Januar 2011: »Die Rückkehr der schwarzen Witwen«. Laut dem so genannten »Katastrophenexperten« Dr. Gordon Woo ist mit einem Anschlag »Schwarzer Witwen« mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen. »Aufgrund der Geschichte zwischen den Russen und den Tschetschenen, die sich von Russland losgesagt haben, um ein kaukasisches Emirat zu bilden, ist Sotschi ein vorrangiges Ziel für Terroranschläge«, erklärte Woo, der komplexe Versicherungsmodelle zu Katastrophen erarbeitet und auch ein Modell zur Einschätzung von Terrorrisiken entwickelt hat. (Siehe dazu: Ludovica Iaccino, »Sochi Winter Olympics Black Widow Terror Attack ›Almost Certain‹«, in: International Business Times, 5.2.2014.)

Die Spiele in Sotschi finden auf dem Höhepunkt einer weltweiten Krise statt, die durch die Konfrontation zwischen den USA und Russland auf dem geopolitischen Schachbrett geprägt wird. So stellen die anhaltenden Proteste in der Ukraine etwa die geopolitische Kontrolle des Schwarzen Meeres durch Russland infrage.

Wie könnte vor diesem Hintergrund das politische Ziel hinter einem Terroranschlag aussehen?

Dienen diese einseitigen Medienberichte nur dem Ziel, eine Atmosphäre der Angst und der Unsicherheit zu schüren, die die russischen Behörden und die Regierung politisch in Verlegenheit brächte? Während sich Fernsehsender und andere Medien fast ausschließlich auf die »Schwarzen Witwen« konzentrieren, wird die grundlegende Frage "Wer steckt hinter den Terroristen aus dem Kaukasus?" weder gestellt noch beantwortet. Keiner der Artikel und keine Nachrichtenmeldungen haben sich dieser grundlegenden Frage gestellt, ohne die eine realistische Einschätzung der Terrorgefahr nicht erfolgen kann.

Sowohl die Geschichte von al-Qaida als auch die jüngsten Entwicklungen in Syrien und Libyen bestätigen einhellig, dass das Al-Qaida-Netzwerk verdeckt von westlichen Geheimdiensten unterstützt wird.

Ein kleiner geschichtlicher Exkurs: Wer steckt hinter den tschetschenischen Terroristen?

Wie sehen die historischen Ursprünge der tschetschenischen Dschihadisten aus, die nun angeblich die Spiele in Sotschi bedrohen? Wer steckt hinter ihnen?

In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, führten die USA einen verdeckten Krieg gegen Russland, der das Ziel verfolgte, die Abspaltung Tschetscheniens, einer »abtrünnigen autonomen Region« der russischen Föderation, zu unterstützen, die zufällig einen Knotenpunkt strategischer Erdöl- und Erdgaspipelines bildet.

Dieser Krieg wurde als verdeckte Geheimdienstoperation geführt. Die wichtigsten tschetschenischen Rebellenführer, Schamil Bassajew und Emir Ibn al-Chattab, wurden in von der CIA finanzierten Lagern in Afghanistan und Pakistan ausgebildet und indoktriniert. Die beiden wichtigsten tschetschenischen Rebellenarmeen (die jeweils von Bassajew und Chattab geleitet wurden) umfassen etwa 35 000 Kämpfer und wurden vom pakistanischen ISI unterstützt, der eine wichtige Rolle bei der Organisierung und Ausbildung der tschetschenischen Rebellenstreitkräfte spielte:

»1994 ermöglichte der pakistanische Geheimdienst Inter-Services Intelligence für Bassajew und seinen engsten Führungsstab eine intensive islamische Indoktrinierung und eine Ausbildung in Guerillakriegführung im Lager Amir Muawia in der afghanischen Provinz Chost in der hauptsächlich Paschtunen leben. Dieses Lager war Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts von der CIA und dem ISI aufgebaut worden und wurde von dem berüchtigten afghanischen Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatyār geleitet. Nachdem Bassajew im Juli 1994 sozusagen seine Ausbildung im Amir Muawia abgeschlossen hatte, wurde er ins Feldlager Markaz-i-Dawar nach Pakistan verlegt, wo er in fortgeschrittener Guerillataktik unterwiesen wurde. In Pakistan traf Bassajew mit hochrangigen pakistanischen Militär- und Geheimdienstoffizieren zusammen: Verteidigungsminister General Aftab Schaban Mirani, Innenminister General Naserullah Babar und dem ISI-Abteilungsleiter General Jawed Schraf, der für islamische Angelegenheiten verantwortlich war (alle nunmehr außer Dienst). Diese Verbindungen in höchste Kreise erwiesen sich für Bassajew als sehr nützlich.« (Siehe dazu: Levon Sevunts, »Who's calling the shots?: Chechen conflict finds Islamic roots in Afghanistanand Pakistan«, in: The Gazette, Montreal, 26. Oktober 1999.)

Nach Abschluss seiner Ausbildung und Indoktrinierung sollte Bassajew die Führung des Angriffs gegen die russischen Bundestruppen im ersten tschetschenischen Krieg 1995 übernehmen. (Siehe dazu: Witali Romanow und Viktor Jadukha, »Chechen Front Moves To Kosovo Segodnia«, Moskau, 23. Februar 2000.)

Die Geopolitik der Olympischen Winterspiele in Sotschi

Die von den USA unterstützten tschetschenischen Rebellen wurden zwar in den 1990er Jahren von russischen Streitkräften besiegt, aber verschiedene mit al-Qaida verbundene Gruppen - darunter die militante Gruppe Imarat Kavkaz (IK, Kaukasus-Emirat) - blieben in der Südkaukasus-Region der Russischen Föderation (u.a. Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien und Abchasien) weiterhin aktiv.

Sowohl die in Russland agierenden Al-Qaida-Gruppen als auch das umfassendere Netzwerk dschihadistischer Gruppen im Nahmittelosten, in Zentralasien und dem Balkan sind als geheimdienstliche Aktivposten der CIA zu betrachten, die möglicherweise eingesetzt werden könnten, um einen Terroranschlag während der Olympischen Winterspiele in Sotschi zu verüben.

Es erübrigt sich eigentlich der Hinweis, dass Moskau sehr genau weiß, dass al-Qaida ein Instrument westlicher Geheimdienste ist. Und Moskau weiß ebenso, dass die USA verdeckt Terrorgruppen unterstützen, die die Sicherheit der Winterspiele bedrohen.

Diese Tatsachen sind auch den russischen Militärs und den Geheimdiensten wohlbekannt. Sie sind dokumentiert, und darüber wird auch hinter verschlossenen Türen diskutiert. Gleichzeitig zählen sie aber auch zu den »verbotenen Wahrheiten«. Es gilt als Tabubruch, dies öffentlich oder auf diplomatischer Ebene anzusprechen. Washington weiß, dass Moskau weiß: »Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß...«

Aber die grundlegenden Fragen, die aus offensichtlichen Gründen weder von den Russen noch von den Medien gestellt werden, lauten:
  • Wer steckt hinter den kaukasischen Terroristen?
  • Welchen geopolitischen Interessen würde es nützen, wenn sich die USA und ihre Verbündeten entschlössen, einen Terroranschlag unter falscher Flagge vor den oder während der Olympischen Winterspiele in Sotschi auszulösen?