Während der Eiszeit wuchs in den Kältesteppen bei Weitem nicht nur Gras - wie bisherige Analysen nahe legen. Neue Untersuchungen zeigen, dass Kräuter weit verbreitet waren, möglicherweise sogar dominierten.
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© dpa/Mauricio AntonDa fehlt doch was. Diese Darstellung einer Eiszeitlandschaft trifft die Realität wohl nicht genau. Offenbar waren Kräuter wesentlich weiter verbreitet als bisher angenommen.
Zottelige Mammuts mit gewaltigen Stoßzähnen und massige Wollnashörner kauen büschelweise Gras, im Hintergrund sind vielleicht noch gewaltige Gletscher zu erkennen - so sieht das herkömmliche Bild von Mitteleuropa, Asien und Amerika vor 25 000 Jahren aus. Doch es ist nicht ganz richtig. Offensichtlich wuchsen auf den Grassteppen zwischen dem Harz, Sibirien und Alaska deutlich mehr Kräuter als bisher vermutet. Das schließen Forscher aus Analysen des Erbguts von Pflanzen, die seither im Dauerfrostboden konserviert waren.

Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen und Kollegen liefern in ihrem Artikel, der im Fachblatt Nature erschienen ist, auch gleich eine Erklärung, warum die Kräuter „übersehen“ wurden.

Bisherige Analysen der Eiszeitvegetation stützen sich meist auf Pollen. Da manche Pflanzen wie zum Beispiel Gräser große und vor allem viele Pollen produzieren, sind sie auch häufiger in eiszeitlichen Proben zu finden. Die Verbreitung dieser Gewächse wurde daraufhin wohl stark überschätzt, argumentieren die Wissenschaftler.

Um zu überleben, mussten die Tiere beide Pflanzenarten fressen

In einer wahren Sisyphusarbeit untersuchten sie in 242 Proben aus Dauerfrostböden zwischen Alaska, Sibirien und Spitzbergen die Reste von Pflanzenerbgut. In den konservierten Böden, die zwischen 15 000 und 50 000 Jahren alt waren, fanden sie mehr Erbgut von Kräutern als von Gräsern. Das gilt besonders für die Gebiete, in denen Wollmammut, Wollnashorn, Pferde, Rentiere und Elche lebten. Bei der Ernährung dieser Tiere müssen Kräuter neben Gras eine wichtige Rolle gespielt haben, schließen die Forscher. Ökologen überrascht das kaum, schließlich bevorzugen Weidetiere wie Kühe oder Elefanten noch heute eine ähnliche Futtermischung.

Vieles spricht dafür, dass bereits die Bewohner der Kältesteppen beide Pflanzentypen fraßen. Um zu überleben, kamen sie nicht umhin, die harten Gräser zu erschließen. „Ebenso wie ihre heutigen Verwandten waren Wollnashörner und Wollmammuts Spezialisten, die aus den wenigen Nährstoffen in Gräsern noch ausreichend Energie für ihren Stoffwechsel herausholen können“, sagt Volker Zahner von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, der an der aktuellen Studie nicht beteiligt ist. Genau wie Pferde haben Nashörner zum Beispiel einen sehr großen Dünndarm. Dort brechen sie unterstützt von spezialisierten Bakterien die in den Grasfasern enthaltene Zellulose auf und verdauen sie. Viele andere Tiere und auch Menschen schaffen das nicht.

Auf Kräuter verzichten können Wiederkäuer trotzdem nicht. Vor allem im Herbst enthalten Gräser sehr viel schwer verdauliche Zellulose und weniger Stickstoff als im Frühjahr. Diesen aber benötigen die Tiere. Indem sie die meist zwischen den Gräsern wachsenden Kräuter mitfressen, erhalten sie reichlich Stickstoff.

Mammut und Co. verschwanden, die Gräser kamen

„Deshalb vermuteten Forscher schon länger, dass auf den Kältesteppen der Eiszeit auch Kräuter wuchsen“, sagt Michael Hofreiter von der Universität Potsdam, der die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Mammuts und heutigen Elefanten untersucht. Die Studie von Willerslev und seinem Team hat nun den Beleg dafür geliefert.

Selbst in der Hochphase der letzten Kaltzeit vor 25 000 Jahren, als das heutige Berlin unter Gletschern lag, hat es den Analysen zufolge in den eisfreien Gebieten mehr Kräuter als Gräser gegeben. Erst als vor 10 000 Jahren Mammuts, Wollnashörner und andere große Pflanzenfresser verschwanden, kehrte sich das Verhältnis um. Die Steppen verwandelten sich in eine Landschaft, in der Gräser dominierten. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang, spekulieren die Forscher. Denn nun gab es keinen Kot mehr von Mammut und Co. , der die Kräuter vorher mit wichtigen Nährstoffen versorgt hatte.