Bei einer Umfrage von RIA Novosti und PRIME äußerte die Mehrheit der befragten Experten, dass die Europäer trotz möglicher US-Lieferungen weiterhin auf das russische Gas angewiesen sind.
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US-Präsident Barack Obama versuchte bei der Pressekonferenz nach dem USA-EU-Gipfel die Sorgen wegen der Energieabhängigkeit von Russland zu zerstreuen. Obama zufolge sind die USA schon jetzt bereit, Europa mit Erdgas in größeren Mengen zu versorgen als benötigt.

Doch viele Experten äußerten sich skeptisch zu Obamas Worten. Trotz des rasanten Wachstums der US-Gasbranche (dank Schiefergas) sind die Vereinigten Staaten nach wie vor einer der größten Gas-Importeure.

Die USA sind nicht in der Lage, Europa eine 100-prozentige Rohstoff-Unabhängigkeit von Russland weder heute noch in zehn Jahren zu sichern“, sagte Andrej Kuz von RIA Rating.

From Russia with Gas

Viele Probleme müssten gelöst werden, wenn die USA Europa mit Gas versorgen wollen. Eines der größten Probleme ist die fehlende Infrastruktur, deren Errichtung Dutzende Milliarden Dollar kosten und mehrere Jahre dauern würde.

„Der Bau von Terminals zum Flüssiggas-Export nimmt viel Zeit in Anspruch. Die meisten Terminals sollen nach 2017 in Betrieb genommen werden. Auch in Europa gibt es Probleme mit der Infrastruktur, auch wenn sie nicht so groß sind wie in den USA sind“, so Jeffrey Mankoff von CSIS Russia and Eurasia Program.

Auch Desmond Lachman vom American Enterprise Institute teilt diese Meinung. „Es ist unmöglich, in zwei oder drei Jahren eine Infrastruktur für Flüssiggas zu bauen. Doch gegen 2020 wird sich die Situation ändern“, so der Experte. Zudem betonte Obama, dass die USA und die EU ein Freihandelsabkommen abschließen wollen, das die Lizenzvergabe für den Import und Export von Flüssiggas erleichtert. „Eine erweiterte Lizenzierung des Gasexports aus den USA würde sich zwar negativ auf den russischen Export nach Europa auswirken, aber nicht in dem Ausmaß, dass Europa sich von der Energieabhängigkeit von Russland befreit“, sagte Mankoff.

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© Ria Novosti
Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass die US-Unternehmen ihr Gas ursprünglich in die Asien-Pazifik-Region liefern wollten, wo die Gaspreise höher als in Europa sind. „Die Gaspreise in Asien liegen bei rund 500 Dollar pro 1000 Kubikmeter, in einigen Ländern sind sie noch höher. Deswegen wird es schwer sein, die Unternehmen zu zwingen, Gas nach Europa zu liefern“, sagte Sergej Wachramejew von der Investmentgesellschaft Ancor Invest.

Was kostet das?

Europäische Gasabnehmer könnten Gazprom bei den Preisverhandlungen unter Druck setzen. In osteuropäischen Regierungskreisen wird dieser Gedanke nach Angaben der Financial Times offen geäußert. Die Gespräche über US-Gaslieferungen gäben ihnen ein weiteres Druckinstrument. „Es liegt auf der Hand - falls Europa die Gaslieferungen diversifizieren sollte, würde das russische Gas an Wert verlieren, Europa könnte eine Preissenkung fordern (falls es überhaupt russisches Gas kaufen wird). Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass Russland selbst eine Preissenkung beschließt, um auf dem europäischen Markt zu bleiben“, sagte Dmitri Baranow von Finam Management. Laut dem Experten Wachramejew würde das US-amerikanische Gas in Europa rund 350 Dollar pro 1000 Kubikmeter kosten. „Der Preis unterscheidet sich nicht stark vom Gazprom-Preis (rund 380 Dollar). Deswegen denke ich, dass alle Äußerungen zu den Gaslieferungen eher politisch motiviert sind“, sagte der Experte.

Künftige Gefahr

Obwohl US-Gaslieferungen in naher Zukunft noch nicht in Frage kommen, sind einige Experten der Ansicht, dass Russland sich bereits jetzt Gedanken über die wirtschaftlichen Folgen eines Rückgangs der Gaslieferungen machen sollte.

„Für die russische Regierung wäre es unvernünftig, die schweren Folgen von Veränderungen im Energiebereich sowie die Tatsache zu unterschätzen, dass die russische Wirtschaft nur in einer Dimension funktioniert und schlecht darauf vorbereitet ist, auf Veränderungen zu reagieren“, so Orwell Brown von der Harvard University.

Laut Brown könnte Russland in der Zukunft auf einen Rückgang der ausländischen Investitionen in der Energiewirtschaft stoßen, die unter anderem Russland neue Erkundungstechnologien ermöglichen. Ein massiver Rückgang der Verkaufsmenge würde einen negativen Effekt haben, weil die russische Wirtschaft bereits stagniere, so der Experte.