Tornado
© Chris Machian (Keystone)Tornado in El Reno, Oklahoma. Sind die Menschen schuld oder handelt es sich um durch die dynamische Sonne verursachten Klimawandel?
Psychologen weisen anhand von Onlinebeiträgen nach, dass Klimaskeptiker zu Verschwörungstheorien neigen. Wegen angeblicher Verleumdung wird der Befund nun nicht veröffentlicht.

Es waren nur wenige, die mit einer Verleumdungsklage drohten. Doch das reichte den Herausgebern der Open-­Access-Plattform «Frontiers in Psychology»: Sie zogen den entsprechenden wissenschaftlichen Beitrag zurück und entfernten ihn aus dem Internet. Die offizielle Begründung der Herausgeber lautet unter anderem: «Der gesetzliche Kontext ist ungenügend klar.»

Die Drohungen waren von Exponenten der Klimaskeptiker ausgesprochen worden. Diese akzeptieren den wissenschaftlich anerkannten Befund nicht, dass der Klimawandel durch das Verhalten des Menschen verursacht wird und dadurch ein Risiko für die Gesellschaft besteht. Im zurückgezogenen Artikel fühlten sich verschiedene Skeptiker in ihrer Persönlichkeit angegriffen.

Konspiratives Denken

Die Autoren des 2013 erschienenen und nun entfernten Onlineartikels sind Forscher um den australischen Psychologen Stephan Lewandowsky. Sie dokumentieren darin, dass bei der Ablehnung von wissenschaftlich etablierten Aussagen oft konspiratorisches Denken eine grosse Rolle spielt. Dazu hatten sie eine Inhaltsanalyse von Kommentaren gemacht, die von Bloggern und Kommentatoren in verschiedenen einschlägigen, englischsprachigen Blogs publiziert wurden.

Diese Kommentare wiederum waren eine Reaktion auf einen früheren Artikel der gleichen Forscher, der 2012 in Psychological Science veröffentlicht und nicht zurückgezogen wurde. Darin analysierten die Psychologen Antworten von mehr als 1000 Blognutzern auf Fragen in einem standardisierten Fragebogen. Es ging dabei um Klimaforschung und andere Wissenschaften wie etwa die HIV-Forschung. Die Psychologen zeigen dort, dass die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Beispiel mit dem Glauben an die Marktwirtschaft und die Akzeptanz von Verschwörungstheorien statistisch zusammenhängt.

Für die Onlineveröffentlichung von Publikationen auf Open-Access-Plattformen gibt es laut dem Anwalt von Frontiers, Michael Kenyon, keine spezielle Gesetzgebung. Trotzdem könnte auf der Basis von nationalem Recht in diesem Fall auf Verleumdung geklagt werden. Die Herausgeber hatten Bedenken, Verleumdungsklagen könnten nach britischer Gesetzgebung angestrengt werden. Die Briten legten bisher das Gesetz in dieser Hinsicht grosszügig aus. Seit diesem Jahr wurde das Gesetz nun verschärft, es ist schwieriger geworden, auf Verleumdung zu klagen.

Wissenschaftlich einwandfrei

Nach der Entfernung des umstrittenen Artikels aus dem Netz wurde die Arbeit nochmals geprüft. Das Ergebnis: Die Arbeit ist wissenschaftlich und ethisch einwandfrei. Trotz dieser Bestätigung und trotz verschärfter britischer Gesetzgebung blieben die Herausgeber bei ihrem Entschluss, den Beitrag nicht wieder online zu stellen. «Wir verstehen durchaus, dass die Herausgeber vorsichtig sind, aber wir stimmen nicht mit der Einschätzung und der Entscheidung von Frontiers überein», sagt Klaus Oberauer, Mitautor der Studie und Professor für Psychologie an der Universität Zürich.

Frontiers Anwalt Michael Kenyon beruft sich auf den Persönlichkeitsschutz. Die Herausgeber erklären auf ihrer Website, die Autoren würden das Verhalten verschiedener «identifizierbarer Individuen» im Kontext psychopathologischer Charakteren kategorisieren. Klaus Oberauer ist überrascht, dass Frontiers nun das juristische Risiko herunterspielt und das Recht der betroffenen Personen in den Vordergrund rückt. «In der Auseinandersetzung zwischen Frontiers und uns als Autoren ist es praktisch ausschliesslich um das Risiko von Frontiers gegangen und nicht darum, wie die Rechte der Personen angemessen berücksichtigt werden könnten», sagt der Zürcher Psychologe. «Hätte Frontiers mit uns über die Berücksichtigung der Rechte der Betroffenen verhandelt, hätten wir sehr wahrscheinlich eine für beide Seiten vertretbare Lösung gefunden.»

«Aggressiv» gegen Klimaforscher

Das Argument, die Personen seien zu wenig geschützt, lässt Oberauer nicht gelten: «Die Personen, die in unserem Artikel identifizierbar zitiert wurden, haben sich aus freien Stücken öffentlich geäussert.» Die Wissenschaftler hätten dieses Material wissenschaftlich analysiert, so wie andere Wissenschaftler beispielsweise Reden von Politikern untersuchten. «Wir haben niemandem Äusserungen unterstellt, die er oder sie nicht getan hat, und alle unsere Zitate sind durch archivierte Internetseiten belegbar», erklärt er weiter.

Enttäuscht über den Entscheid ist auch die australische Medienwissenschaftlerin Elaine McKewon, die den zurückgezogenen Artikel vor der Publikation geprüft hatte. «Von einer Fachzeitschrift hätte ich mehr Rückgrat erwartet, vor allem, wenn es um die akademische Freiheit geht», schreibt sie in einem Blog. Der Entscheid motiviere zudem Klimaskeptiker, weiterhin «aggressiv» gegen Klimaforscher vorzugehen, wie das schon oft der Fall war. Die Open-Acess-Plattform Frontiers wurde 2007 durch den bekannten Neurowissenschaftler Henry Markram und seine Frau Kamila, ebenfalls Hirnforscherin, an der ETH Lausanne gegründet. Die Plattform wurde die weltweit am schnellsten wachsende Plattform für Wissenschaftsbeiträge in der Neurowissenschaft. Inzwischen gibt es weitere Titel, die nach eigener Aussage von Tausenden Topwissenschaftlern verwendet werden.

Ganz aus dem Verkehr ist die auf Frontiers entfernte Arbeit jedoch nicht gezogen worden. Der Rechtsanwalt der University of Western Australia, an der der Erstautor Stephan Lewandowksy zur Zeit der Veröffentlichung gearbeitet hat, hält die Sorgen von Frontiers für unbegründet. Die Universität hat daher entschieden, den Artikel weiterhin auf ihrer Homepage zur Verfügung zu stellen. Bisher habe die Universität noch keine Verleumdungsklage erhalten.