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Noch profitiert Deutschland von einer ausgewogenen demografischen Entwicklung. Doch schon bald droht ein Ungleichgewicht. Experten empfehlen die betriebliche Vorsorge.

Deutschland fühlt sich im Moment an wie die Insel der Seligen. Alle größeren Probleme, so scheint es, sind abgeschafft. Doch der Eindruck täuscht. Die deutsche Wirtschaft steht unmittelbar vor dem großen demografischen Knick, der die Grundlagen unseres Wohlstands untergraben könnte. Dieser Knick wird sich schon in wenigen Jahren mit aller Härte bemerkbar machen. Das hat weitreichende Auswirkungen auf die Altersvorsorge und die private Geldanlage. Denn egal, ob man auf die gesetzliche Rente setzt oder eine Vorsorge am Kapitalmarkt, im Inland werden die zu erzielenden Renditen als Folge der alternden Bevölkerung rapide zurückgehen. Wenn Staat und Bürger nichts tun, ist für Millionen Bundesbürger der Lebensstandard im Ruhestand in Gefahr.

"Die Bundesrepublik erlebt derzeit noch eine demografische Pause, die daher rührt, dass lediglich die relativ schwachen Nachkriegsjahrgänge in Rente gehen", sagt der Altersvorsorgeexperte Bert Rürup. Doch diese Zeit der relativen Ruhe, die durch eine günstige Arbeitsmarktentwicklung unterstützt wird, wird schon bald vorbei sein. Rürup stelltein Berlin die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zur "Zukunft der Altersvorsorge" vor, die er mit den Forschungsinstituten HRI und Prognos AG für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erstellt hat. Nach den Berechnungen von Rürup verstärkt sich der demografische Knick ab 2030, weil dann die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Das hat zur Folge hat, dass Mitte des Jahrhunderts 100 Personen im erwerbsfähigen Alter für 61 Personen im Rentenalter aufkommen müssen. Den Projektionen zufolge wird es im Jahr 2050 in Deutschland nur noch 36 Millionen Erwerbstätige geben, aktuell sind es rund 41 Millionen.

"Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in Deutschland geht bis Mitte des Jahrhunderts unabänderlich zurück", sagt Rürup. Die meisten Studien blickten jedoch nur bis 2030, wodurch das ganze Ausmaß des Problems bisher unerkannt bleibe: "Die Auswirkungen der Alterung werden von vielen Bürgern immer noch unterschätzt." Ein Ausweg bietet dem Rentenexperten zufolge vor allem die betriebliche Altersvorsorge. Dabei setzt er nicht auf Zwang, sondern darauf, dass sie tarifvertraglich verankert wird. Sogenannte Opting-out-Modelle könnten dabei zu einem Ausbau dieser Säule beitragen: "In Tarif- und Arbeitsverträgen könnte eine automatische Entgeltumwandlung verankert werden, der die Beschäftigten dann individuell widersprechen könnten."

Die Riester-Rente hingegen hat seiner Meinung mit aktuell rund 15 Millionen Verträgen ihr Potenzial weitgehend ausgereizt. Sie sei als Ergänzung gedacht, leide aber zunehmend unter Akzeptanzproblemen, weil sie als intransparent wahrgenommen werde. "Auf Riester allein kann man keine Altersvorsorge aufbauen." Das Problem mit der gesetzlichen Rente ist nicht so sehr, dass die gesetzliche Rendite für die meisten Beitragszahler ein Minusgeschäft wäre. Im Durchschnitt erbringt sie nach HRI- und Prognos-Berechnungen noch eine passable Rendite: Bei Männer sind das real (also abzüglich der Inflationsrate) 2,4 Prozent. Bei Frauen ist die Realrendite wegen der längeren Lebenserwartung sogar deutlich höher, nämlich 3,6 Prozent. Die gesetzliche Rente wird dennoch in Zukunft nicht ausreichen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Der Grund dafür ist ein industriepolitischer: Die Parteien waren sich seit den 90er-Jahren weitgehend einig, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht mit allzu hohen Rentenbeitragen zu belasten.

Das bedeutet: Nach dem Willen des Gesetzgebers werden die Rentenbeiträge ein bestimmtes prozentuales Niveau nicht übersteigen. "Die Rentenreformen der letzten Jahre hatten im Wesentlichen ein Ziel: den Anstieg der Beiträge zu dämpfen", erklärt Rürup. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Beitragssatz auf nicht mehr als 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und auf nicht mehr als 22 Prozent bis zum Jahr 2030 steigen.

In der Kombination von weniger Beitragszahlern und mehr Rentnern bedeutet das: Die Höhe der Rente (im Verhältnis zum Einkommen aus der Erwerbszeit) muss sinken. Dieses sogenannte Sicherungsniveau wird den Prognosen zufolge im Jahr 2030 nur mehr bei 43,7 Prozent liegen. Noch Ende des vergangenen Jahrzehnts waren es mehr als 50 Prozent.

Ähnliche Probleme hat jedoch eine kapitalgedeckte Rente, also eine Vorsorge, die sich allein auf die deutsche Binnenwirtschaft stützt. Das Umlageverfahren steht für Transfereinkommen, die Kapitaldeckung für Markteinkommen, aber sie hängen beide an der gleichen Produktivitätsentwicklung, und die ist in Deutschland wegen der Alterung mau.

"Anders als beim Umlageverfahren können die Ertragsmöglichkeiten bei der kapitalgedeckten Vorsorge durch Anlagen in wachstumsstärkeren Regionen verbessert werden", erklärt Böhmer. Gemeint sind damit nicht zuletzt Pensionsfonds und Pensionskassen, sondern auch Lebensversicherungen, die in ausländische Aktien und Anleihen investieren.

Doch auch bei der privaten Vorsorge über Kapitalerträge gibt es einen Wermutstropfen. Voraussetzung für stabile Kapitalerträge aus dem Ausland ist nämlich ein günstiger Verlauf der Globalisierung. Geopolitische Schocks und internationale Finanzkrisen sind Gift für diese Quelle des Wohlstands.