Kalifornische Mikrobiologen erklären, hoch ungewöhnliche Bakterien entdeckt zu haben, die sich von puren Elektronen ernähren. Sie sehen in diesem Fund völlig neue Perspektiven der Biologie, vielleicht auch für außerirdisches Leben.



Biologen der privaten Universität von Südkalifornien (USC) berichten von außergewöhnlichen Bakterien, die direkt von Elektronen leben - jenen elektrisch negativ geladenen Elementarteilchen, wie sie die Atomhüllen bilden. Kenneth Nealson, einer der Entdecker der Mikroorganismen, vergleicht deren Verhalten mit einem Menschen, der seinen Finger in die Steckdose steckt, um auf diesem Wege Nahrung aufzunehmen.

Der ziemlich drastische Vergleich soll das Ungewöhnliche verdeutlichen, dem Nealson und seine Kollegen begegnet sind. Sie sind überzeugt, eine völlig neue Daseinsform gefunden zu haben, die auch wesentliche Fragen zu bislang unbeachteten, potenziellen Formen außerirdischer Intelligenzen aufwirft. Die kalifornischen Biologen sprechen von »elektrischen« oder »elektrochemisch aktiven Bakterien«.

Diese Mikroben seien in der Lage, ihre Energie direkt von Felsgestein oder Metall zu beziehen, indem sie die dort vorhandenen Elektronen »ernten«. Von den Bakterien produzierte, haarähnliche Filamente befördern die geladenen Teilchen zum »Verbraucher«. Wie die Forscher betonen, seien einige Bakterien imstande, elektrisch leitfähige »Biokabel« herzustellen, Nanokabel, wie sie zunächst völlig unabhängig von Wissenschaftlern der dänischen Aarhus-Universität entdeckt wurden. Zigtausend Bakterien formten dabei ein mehrere Zentimeter langes »Kabel«. So wurde auch ein rätselhafter Stromfluss am Meeresboden erklärt. Anregungen für neue Technologien?

Nealsons Gruppe stieß in Ozeansedimenten auf die elektrischen Mikroben. Im Labor steckten die Forscher dann Elektroden in Proben dieser Sedimente und variierten die angelegte Spannung. Bei höheren Werten begannen die Bakterien, sich von den Elektronen zu ernähren, bei verringerter Spannung schieden sie Elektronen aus. Die Biologen entzogen den Bakterien sämtliche anderen Nahrungsquellen, um bei ihrem Experiment sichergehen zu können, dass die Versorgung rein durch die Elektronen gewährleistet wurde. Sie sind daher überzeugt, bei diesen Organismen eine neuartige, sehr direkte Form der Ernährungsweise gefunden zu haben. Zwar seien bereits andere, vergleichbare Bakterien bekannt. Allerdings habe jede hier ihre eigene Methode, erklären die Forscher.

So seien einige Spezies der Meeres-Bakterien Shewanella und Geobacter in der Lage, bestimmte Chemikalien zu verstoffwechseln, um Elektronen zu gewinnen. Nealson weist zudem darauf hin, dass sich schließlich auch menschliche Zellen Zugriff auf Elektronen verschaffen - aufgenommener Zucker besitzt Überschusselektronen, und »der eingeatmete Sauerstoff nimmt sie willig auf«, so Nealson. Er ergänzt:
»Das ist die Art und Weise, auf die wir alle unsere Energie gewinnen, und das ist für jeden Organismus auf Erden gleich. Für den Energiegewinn müssen Elektronen fließen.«
Ganz so überraschend konnte die Entdeckung also eigentlich nicht kommen, da bereits früher schon Bakterien entdeckt wurden, die Elektronen transportieren - unter anderem belegen das Funde im Ostseeschlamm. Daher war zumindest die Fähigkeit zur Stromleitung durch biologische Kabel bereits bekannt und der Schritt zur Elektronennahrung vielleicht nicht ganz so groß. Bei den Ostseeproben konnten im Querschnitt einer dieser »Kabel« übrigens mehr als ein Dutzend einzelner Leiter unterschieden werden.

Schon aus winzigen Mengen des Schlamms ließen sich theoretisch kilometerlange Kabelstränge ziehen. Auch der Austausch von Elektronen über elektrisch leitfähige Mineralien war bereits entdeckt worden. Wenn es darum geht, zum Zweck der Energieausbeute Elektronen in Redoxreaktionen umzuverteilen, sind etliche Varianten bekannt. Von daher also nichts Neues. Aber wie gesagt: Die jetzt beschriebenen Bakterien absorbierten die Elektronen weit effizienter, weil direkter.

Zumindest die Wissenschaftler zeigen sich mehr als fasziniert davon. O-Ton Nealson:
»Das ist gewaltig ... ein gänzlich neuer Teil der mikrobiellen Welt, von der wir noch nichts wissen.«
Doktorandin Annette Rowe arbeitet in der Gruppe der USC-Biologen mit und erklärt, nunmehr acht verschiedene Abarten der ungewöhnlichen Bakterien identifiziert zu haben. Auf der Netzpräsenz der US-amerikanischen National Academy of Scienceswird die Bedeutung der 25-jährigen Forschungen von Nealson deutlich hervorgehoben, der immerhin Bakterien gefunden habe, die in der Lage sind, »Metalle zu atmen«, Energie von Eisen, Mangan und Uran beziehen und außerdem die Inspiration für neuartige Batterien zu liefern, die von Bakterien gespeist werden.

Nealson leitet die »Microbial and Environmental Genomics Group« am J. Craig Venter Institute(JCVI). An diesem Institut wurde 2007 erstmals das gesamte Erbgut eines Bakteriums synthetisiert. Institutsgründer Craig Venter, seines Zeichens Biochemiker und Unternehmer, geriet unter anderem durch seinen Konkurrenzkampf mit dem Human Genome Project in die Schlagzeilen, vor allem aber auch durch seine Gen-Patentierungen für künftige Pharmaprodukte, was ihm einige Kritik einbrachte.

Mittlerweile zeigt auch die US-Weltraumbehörde NASA deutliches Interesse an den »neuen« Bakterien von Professor Ken Nealson, der bereits wiederholt über elektrochemisch aktive Bakterien publiziert hat.

Keine Frage, die Astrobiologen horchen immer dann auf, wenn es um exotische Lebensformen geht, Leben, das unter Extrembedingungen gedeiht, ob nun im Kühlwasser von Atomkraftwerken, an heißen Schloten der Tiefsee oder in Flugzeugtreibstoff. Schon das irdische Leben beweist einen enormen Erfindungsreichtum und eine Widerstandsfähigkeit, die teils ans Mystische zu grenzen scheint.

Unkonventionelle Geister, wie der 2001 verstorbene britische Astrophysiker Fred Hoyle, wiesen in diesem Zusammenhang sogar darauf hin, dass gewisse Eigenschaften nicht auf der Erde selbst erworben sein konnten, da hier zu keinem Zeitpunkt entsprechende Bedingungen herrschten. Er vermutete ohnehin einen universellen Satz an Genen, entstanden in den Tiefen des Alls, keineswegs auf der Erde.

Ungeachtet solcher spannender Hintergründe sieht die NASA zusammen mit den neuen Lebensformen auch neue Chancen für Leben und Überleben im All. Derart genügsame Organismen wie die »elektrischen Bakterien«, die mit äußerst wenig Energie auskommen, könnten durchaus auch in anderen Regionen des Sonnensystems gedeihen, auf karg wirkenden Oberflächen von Planeten oder deren Trabanten. Und wer weiß, welche Lebensmöglichkeiten dort draußen noch bestehen, von denen die vielzitierte Schulweisheit bislang nicht die geringste Vorstellung hat!