175 Chemikalien, welche die Gesundheit gefährden, sind in der Produktion von Verpackungen für Lebensmittel erlaubt. Das zeigt eine neue Studie.

Giftige Verpackungsmaterialien für Lebensmittel
© Quelle: TagesanzeigerÜber die langfristige Wirkung von Verpackungs-Chemikalien ist wenig bekannt.
Chemikalien, die in Verpackungen enthalten sind, können auf die darin enthaltenen Nahrungsmittel übergehen. Sie werden von den Konsumenten täglich in niedrigen Mengen aufgenommen. So viel ist seit Jahren klar. Über die langfristige Wirkung der Chemikalien auf die Gesundheit weiss man hingegen noch wenig. Das bestätigt Konrad Grob, Leiter der Abteilung Gas-Chromatografie des Kantonalen Labors Zürich, der sich seit Jahren mit dem Thema befasst. Am meisten von der Chemikalieneinwirkung betroffen sind stark fetthaltige Lebensmittel wie in Öl eingelegtes Gemüse, aber auch Käse, Wurst und Salatsaucen. Dies deshalb, weil viele der unerwünscht eingebrachten Stoffe fettlöslich sind.

Eine neue, Anfang Juli publizierte wissenschaftliche Studie des Food Packaging Forum, einer in Zürich domizilierten Stiftung, zeigt jetzt: Mindestens 175 in der Produktion von Lebensmittelverpackungen zugelassene Chemikalien sind krebserregend und erbgutverändernd, oder sie schädigen die Fortpflanzungsfähigkeit und das Hormonsystem. Die von den Forschern aufgestellte Liste der gefährlichen Stoffe enthält auch klar giftige Chemikalien, die sich in der Umwelt oder im menschlichen Körper anreichern.

Dazu gehören zum Beispiel die fluorierten Stoffe oder die sogenannten ­Phthalate, die vielfach als Weichmacher in Kunststoffen eingesetzt werden. Letztere sind dafür bekannt, als sogenannt endokrine Disruptoren zu wirken, welche die Regulierung in unserem Körper stören und unter anderem zu Krebs, Zeugungsunfähigkeit und Fehlbildungen der Geschlechtsorgane führen können. Auch zinnorganische Verbindungen und sogenannte Benzophenone, die unter anderem über Beschichtungen, Klebstoffe und Druckfarben in Lebensmittel gelangen, gelten heute als gesundheitsschädlich.

Gesetzgebung hinkt hinterher

«Die Konsumenten wissen heute in aller Regel nichts davon», sagt Jane Muncke, Umweltwissenschafterin, Direktorin der Stiftung und eine der drei Autorinnen der neuen Studie. «Klar ist aber, dass der Einsatz von solch bedenklichen Chemikalien in Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, unerwünscht ist.» Dass sie bei der Herstellung von Verpackungen immer noch erlaubt sind, hängt an der Widersprüchlichkeit und der hinter dem Stand der Wissenschaft herhinkenden Aktualität der geltenden Vorschriften.

Die Mehrheit der in der Zürcher ­Studie identifizierten gefährlichen ­Chemikalien erfüllt die Kriterien der von der europäischen Chemikalienagentur veröffentlichten Liste der besonders besorgniserregenden Substanzen. Von der EU-Gesetzgebung offiziell anerkannt sind bisher allerdings erst 21 der 175 gefährlichen Stoffe. Die auf Chemikaliensicherheit spezialisierte Nichtregierungsorganisation Chem Sec hat inzwischen auf der Grundlage der EU-Chemikalienverordnung bereits 96 dieser Substanzen als besonders besorgniserregend qualifiziert und diese in einer weiteren Liste namens «Substitute It Now!» («Umgehend ersetzen!») zusammengestellt.

Die unter dem Namen Reach bekannte EU-Chemikaliengesetzgebung will die besonders besorgniserregenden Chemikalien streng kontrollieren und schrittweise durch weniger gefährliche Alternativen ersetzen. Allerdings werden Chemikalien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, nicht durch das ­Reach-Programm, sondern separat reguliert. Das führt zu paradoxen Resultaten. «Giftige Chemikalien, deren Einsatz etwa in Computern, Textilien oder Farben bald nicht mehr erlaubt sind, dürfen weiterhin in Lebensmittelverpackungen verwendet werden und können so über unsere Nahrung direkt in unseren Körper gelangen», fasst Jane Muncke die Ergebnisse ihrer Studie zusammen.

Unmittelbare politische Konsequenzen seiner Forschungen erwartet das Food Packaging Forum nicht. Immerhin ist die britische Nichtregierungsorganisation Chem Trust aufgrund der Studie inzwischen an den für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständigen EU-Kommissar Tonio Borg gelangt. ­Muncke und ihrem Forum geht es auch nicht in erster Linie um politische Wirkung, sondern vielmehr darum, überhaupt das Problembewusstsein für das Thema zu wecken und den Dialog zu fördern. «Denn was die Risiken von Chemikalien gerade auch in Lebensmittelverpackungen angeht, steht die Gesetzgebung auf einem Stand von vor bald 50 Jahren», sagt sie. «Die Vorschriften und der Wissensstand klaffen meilenweit auseinander.»

Behörden sind überfordert

Das bestätigt auch Konrad Grob vom Kantonalen Labor Zürich. «Beim Thema der Migration von Chemikalien aus Verpackungen in Lebensmittel sind wir weit weg von gesichertem Wissen. Sicher ist für mich nur, dass die Gefahr für die Gesundheit unterschätzt wird. Denn die an sich kleine Menge gefährlicher Stoffe, die wir so täglich aufnehmen, akkumuliert sich», sagt Grob. «Es geht um eine enorme Zahl von Stoffen. Von keinem wissen wir mit Bestimmtheit, dass er unsere Gesundheit schädigt. Sonst wären wir als Behörde aktiv geworden. Aber es sind so viele, dass wir annehmen müssen, dass einige tatsächlich Schäden verursachen. Als Behörde sind wir mit dem Thema schlicht überfordert», räumt er ein. Die Studie des Food Packaging Forum hält er deshalb für «einen wichtigen Schritt, um die Öffentlichkeit auf ein absolut unterschätztes Problem aufmerksam zu machen».