Als reine Wirtschaftsmaßnahmen ergeben die Sanktionen, die Washington und Europa gerade gegen Russland verhängt haben, keinen Sinn. Es sollte mich überraschen, wenn Ölbranche und Militärindustrie in Russland in größerem Umfang von Europas Kapitalmärkten abhängig wären. Eine derartige Abhängigkeit spräche nämlich für einen Fehler im strategischen Denken Russlands. Russlands Unternehmen sollten imstande sein, sich bei den russischen Banken oder dem Staat mit ausreichend Kapital einzudecken. Und sollte tatsächlich Geld aus dem Ausland benötigt werden, kann sich Russland immer noch an China wenden.

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Sollten zentrale russische Industriezweige von den europäischen Kapitalmärkten abhängen, werden die Sanktionen Russland helfen, sich von dieser lähmenden Abhängigkeit abzunabeln. Russland sollte in keinerlei Hinsicht vom Westen abhängig sein.

Doch die eigentliche Frage lautet: »Was ist Sinn und Zweck der Sanktionen?« Meiner Einschätzung nach sollen die Sanktionen das wirtschaftliche und politische Verhältnis Europas zu Russland untergraben und zerschlagen. Werden internationale Beziehungen vorsätzlich untergraben, kann das zu Krieg führen. Washington wird auch weiterhin auf Sanktionen gegen Russland drängen, bis Russland Europa demonstriert, wie enorm hoch der Preis ist, den man dafür bezahlt, als Werkzeug Washingtons zu agieren.

Um vom Kriegskurs abzukommen, muss Russland diesen Prozess ständig neuer Sanktionen unterbrechen. Ich denke, das sollte einfach sein für Russland. Russland kann Europa sagen: »Ihr mögt unsere Ölfirmen nicht und ihr mögt unsere Erdgasfirmen nicht, also stellen wir das Gas ab.« Russland könnte Europa auch erklären: »Wir verkaufen kein Gas an Nato-Mitglieder.« Oder noch eine Möglichkeit: »Wir verkaufen euch auch weiterhin Gas, aber ihr müsst in Rubel bezahlen, nicht in Dollar.« Dies hätte den positiven Zusatznutzen, dass auf den Devisenmärkten die Nachfrage nach Rubeln steigt. Das würde es den Spekulanten und der US-Regierung schwerer machen, den Rubelkurs zu drücken.

Wirklich gefährlich für Russland wäre es, weiterhin dermaßen zurückhaltend und moderat auf die Sanktionen zu reagieren. Ein derartiges Verhalten ermutigt nur zu weiteren Sanktionen. Damit die Sanktionen aufhören, muss Russland Europa zeigen, dass die Sanktionen Europa teuer zu stehen kommen.

Russlands Reaktion gegenüber Washington könnte beispielsweise darin bestehen, dass Moskau den USA keine der Raketenantriebe mehr verkauft, die das amerikanische Satellitenprogramm benötigt. Für sechs Jahre, für den Zeitraum 2016 bis 2022, stünden die USA dann ohne Raketen für ihre Satelliten da.

Der russischen Regierung werden möglicherweise die entgangenen Einnahmen aus dem Erdgas und dem Raketenverkauf Sorgen bereiten, doch Europa braucht das Erdgas unbedingt und würde sich rasch von den Sanktionen verabschieden, es würden also keine Einnahmen verloren gehen.

Die Amerikaner werden ohnehin ihren eigenen Raketenantrieb entwickeln, insofern werden die USA bestenfalls noch sechs weitere Jahre als Abnehmer für die Raketen zur Verfügung stehen. Ein für sechs Jahre eingeschränktes Satellitenprogramm Amerikas wiederum wäre eine gute Sache für die gesamte Welt, weil damit auch das amerikanische Spionageprogramm lahmen würde. Gleichzeitig würde es Amerika in dieser Zeit schwerer fallen, seine militärische Aggression gegen Russland voranzutreiben.

Russlands Präsident Putin und seine Regierung haben auf die Sanktionen sehr moderat und unprovokant reagiert, genauso auf den Ärger, den Washington Russland weiterhin in der Ukraine bereitet. Russlands Zurückhaltung kann man als Strategie verstehen, die das Vorgehen Washingtons untergraben soll - Washington benutzt Europa gegen Russland, aber Russland präsentiert sich Europa als nicht bedrohlich. Eine weitere mögliche Erklärung: In Russland gibt es eine fünfte Kolonne, die Washingtons Interessen vertritt und die Macht der russischen Regierung einschränkt.

Strelkow beschreibt die amerikanische fünfte Kolonne

Saker unterteilt die beiden Machtblöcke innerhalb Russlands in eurasische Souveränisten, die an der Seite Putins und für ein unabhängiges Russland eintreten, auf der einen und in atlantische Integrationisten auf der anderen Seite. Letztere sind die fünfte Kolonne, die daran arbeitet, Russland in ein Europa unter amerikanischer Hegemonie einzugliedern. Wenn das nicht gelingt, wollen sie Washington dabei helfen, die Russische Föderation in mehrere schwächere Länder zu zerbrechen, die nicht stark genug sind, sich dem Willen und der Macht Washingtons zu widersetzen.

Russlands atlantische Integrationisten haben mit Washington die Doktrinen von Brzezinski und Wolfowitz gemein. Auf diesen Lehren basiert die amerikanische Außenpolitik, sie definieren das Ziel der amerikanischen Außenpolitik dahingehend, dass der Aufstieg anderer Länder wie Russland und China verhindert werden soll, wenn diese Länder die Weltherrschaft Washingtons einschränken könnten.

Washington kann Kapital aus den Spannungen zwischen diesen beiden russischen Machtblöcken schlagen. Washingtons fünfte Kolonne ist nicht so gut aufgestellt, dass die Erfolgsaussichten hervorragend sind, aber Washington kann zumindest darauf bauen, dass die Streitigkeiten Debatten bei den eurasischen Souveränisten auslösen, was Putins zurückhaltende Reaktion auf die Provokationen des Westens anbelangen. Zum Teil erkennt man diesen Dissens in Strelkows Verteidigung Russlands.

In dem Glauben, dass der Kalte Krieg mit dem Zerfall der Sowjetunion vorüber war, hat sich Russland gegenüber dem Westen geöffnet. Russlands Regierungen vertrauten dem Westen und infolge dieser Gutgläubigkeit konnte sich der Westen zahlreiche Verbündete innerhalb der russischen Elite erkaufen. Abhängig von der Ausrichtung der Medien können diese kompromittierten Eliten Putin ermorden und einen Staatsstreich versuchen.

Man sollte meinen, dass Putins Regierung sich doch dieser Gefahr inzwischen bewusst sein sollte und die zentralen Elemente der fünften Kolonne verhaften, vor Gericht bringen und wegen Hochverrats hinrichten lässt, damit Russland der Bedrohung aus dem Westen geschlossen entgegentreten kann. Wenn Putin diesen Weg nicht einschlägt, bedeutet das, er erkennt entweder das Ausmaß der Bedrohung nicht oder seiner Regierung fehlt die Macht, Russland vor dieser internen Bedrohung zu schützen.

Putin hat entschieden, das Donbecken nicht vor ukrainischen Angriffen zu verteidigen. Zudem hat er auf die Donezk-Republik eingewirkt, einer Feuerpause zuzustimmen, obwohl die Streitkräfte kurz davor standen, der auseinanderbrechenden ukrainischen Armee eine schwere Niederlage zuzufügen. Doch mit diesen Entscheidungen hat Putin seiner Regierung offensichtlich keinerlei Atempause und keine Erholung von der Propaganda des Westens und den wirtschaftlichen Attacken verschaffen können. Als Einziges ist es Putin gelungen, sich anfällig für Kritik seiner Anhänger zu machen und sich den Vorwurf anhören zu müssen, er habe die Russen im Osten und Süden der Ukraine verraten.

Europas Politiker und Elite werden von Washington an einer so kurzen Leine gehalten, dass Putins Aussichten, Europa von Russlands guten Absichten überzeugen zu können, sehr minimal sind. Ich habe nie geglaubt, dass diese Strategie aufgehen könnte, wenngleich mir das sehr gefallen hätte. Um Europa zu einer von Washington unabhängigen Außenpolitik zu bewegen, hilft nur eine direkte Drohung, Europa Öl und Gas zu verweigern. Ich glaube nicht, dass Europa es überstehen könnte, wenn Russland ihm den Hahn abdreht. Europa würde die Sanktionen aufgeben, um die Gasversorgung zu gewährleisten. Ist Washingtons Kontrolle über Europa so mächtig, dass Europa bereit ist, als Preis für sein Vasallentum schwere Ausfälle der Energieversorgung hinzunehmen, weiß Russland, dass weitere Versuche, auf diplomatischem Weg etwas zu erreichen, vergebens sind. Russland kann sich dann auf einen Krieg einrichten.

Und wenn sich China außen vor hält, wird China das nächste isolierte Ziel sein und ganz genauso behandelt werden. Washington will beide Länder auf die Knie zwingen, sei es durch internen Dissens oder durch Krieg. Nichts von dem, was Obama, irgendjemand aus seiner Regierung oder von den Entscheidern im Kongress gesagt haben, spricht dafür, dass Washington bereit ist, sein Streben nach der Weltherrschaft abzuschwächen.

Die US-Wirtschaft hängt inzwischen völlig von Raub und Brandschatzen ab. Damit diese korrumpierte Form des Kapitalismus funktioniert, ist Washingtons Hegemonie unerlässlich.

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