Washington tut sich mit barbarischen regionalen Regimen zusammen, die den »Islamischen Staat« erschufen, und greift Syrien an. So wird ein gefährlicher neuer Präzedenzfall erschaffen.

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Die Vereinigten Staaten und ihre regionalen Verbündeten haben begonnen, einseitig Ziele in Syrien zu bombardieren - ohne entsprechendes Mandat der Vereinten Nationen oder auch nur eine schlüssige Erklärung.

Die USA haben einen neuen Abschnitt in der Geschichte der globalen Anarchie aufgeschlagen und dabei stehen ihnen die Türkei, Jordanien, Saudi-Arabien und Katar zur Seite - also exakt jene Länder, die die in Syrien kämpfenden Extremistengruppen fördern, darunter den Islamischen Staat, dessen Ableger Al-Nusra-Front und andere Gruppen aus dem al-Qaida-Dunstkreis.

Anders als bei anderen Feldzügen, bei denen es einzig um militärische Eroberungen ging, bemühen sich die USA dieses Mal offenbar nicht einmal mehr, den Schein zu wahren und sich die Zustimmung der Uno einzuholen. Moralische und rechtliche Rechtfertigungen bleiben völlig außen vor. Stattdessen werden wie mit der Schrotflinte zahlreiche Vorwände für die Aggression gestreut. Alle Argumente sind gleichermaßen unglaubwürdig und viele widersprechen sich auch, aber vielleicht kommt man ja mit einem durch.


Viel wurde über das Vorgehen Russlands in der Ukraine geklagt und lamentiert. »Internationale Normen« und Völkerrecht würden verletzt, hieß es. Jetzt haben die USA ganz klar gegen alle Regeln verstoßen, zu deren Einhaltung sie den Rest der Welt zwingen, indem sie mit Sanktionen, Unterjochung und der Anwendung militärischer Gewalt drohen. Ohne auch nur das winzigste Feigenblatt der Legalität oder Legitimität, dafür mit verbrecherischen Regimen an ihrer Seite, haben die USA die sogenannte »internationale Ordnung« untergraben, die sie doch nach eigener Lesart erst erschaffen haben und über deren Einhaltung sie wachen.

Offenbar ist diese »internationale Ordnung« bereits in sich zusammengefallen, anders lassen sich dieses grob fahrlässige Im-Stich-lassen und die beispiellose Ungesetzlichkeit nicht erklären. So wie Adolf Hitler bei der Eroberung Europas das vorgeschobene Argument der »Selbstverteidigung« fallen ließ, haben die Vereinigten Staaten nun bei ihrem Streben nach Weltherrschaft den internationalen Konsens und die internationale »Rechtsstaatlichkeit« fahren lassen.

Was nun folgt, ist eine sehr einseitige Auseinandersetzung zwischen dem nackten imperialen Eroberungswillen des Westens und allen, die dem Westen dabei im Weg stehen. Die Zeiten, in denen man noch an das Völkerrecht appellieren konnte, sind vorüber. Amerika zerrt die Welt in ein weiteres dunkles Zeitalter globaler Anarchie.

Amerikas Achse des Bösen

Ungläubige werden auf öffentlichen Plätzen enthauptet, Frauen, Homosexuelle und andere Minderheiten werden unterdrückt, der Islam wird in einer rückwärtsgerichteten und pervertierten Lesart verkündet - all das klingt nach dem Vorgehen des sogenannten »Islamischen Staates« oder ISIS, wie die Organisation auch genannt wird. Gleichzeitig findet man all das aber auch bei Amerikas wichtigstem Verbündeten im angeblichen Kampf gegen die weltweite Bedrohung durch das Terrornetzwerk ISIS - bei Saudi-Arabien. Fast ein Jahrzehnt lang wurde verdeckt daran gearbeitet, die Regierungen des Libanons, Syriens und des Irans durch eine regionale Söldnertruppe gewaltsam stürzen zu lassen. Und wer war dabei der zentrale Mittler zwischen den Extremistengruppen im Nahen Osten und Washington? Saudi-Arabien.

Und an der Seite Saudi-Arabiens steht Katar. Beide Länder werden von nicht gewählten Despoten regiert, die sich als Monarchien geben. Wer ihre Macht in Frage stellt, wird brutal unterdrückt oder getötet. Schon die Tatsache, dass sich Amerika zu Beginn des Syrien-Konflikts die Golf-Despoten zum Partner gewählt hat, hätte als früher Hinweis darauf dienen müssen, dass es bei den Kämpfen nicht um Demokratie oder Freiheit geht - zwei Konzepte, die weder in Riad noch in Doha existieren, − sondern einzig um einen erzwungenen Regierungswechsel in Damaskus und um die regionale Oberhoheit.

Saudi-Arabien und Katar mögen ein angespanntes Verhältnis vortäuschen, aber beide verfolgen ähnlich gelagerte Ziele - die syrische Regierung soll gestürzt werden, die Hisbollah im Libanon vernichtet werden und die Regierung des Irans soll isoliert, destabilisiert und gestürzt werden. Zu diesem Zweck betreiben sie, die Vereinigten Staaten, Israel und die Türkei, seit 2007 gemeinsam eine Verschwörung.

Sie haben nachweislich verschiedene al-Qaida-Splittergruppen in der Region bewaffnet und finanziert. Al-Qaida ist eine amerikanische Schöpfung, deren Geschichte noch deutlich weiter zurückreicht, nämlich bis mindestens in die 1980er-Jahre, als die USA die Terrororganisation in Afghanistan für ihren Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion nutzten.

Der Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh warnte die Welt vor Jahren in einem neunseitigen Bericht, den das Magazin New Yorker abgedruckt hat, vor der Verschwörung gegen den Iran und Syrien. In dem Bericht »The Redirection: Is the Administration’s new policy benefitting our enemies in the war on terrorism?« schrieb Hersh (Hervorhebung von uns):
»Die Regierung Bush hat im Grunde genommen beschlossen, ihre Prioritäten, was den Nahen Osten betrifft, neu auszurichten - mit dem Ziel, den vorwiegend von Schiiten bewohnten Iran zu untergraben. Im Libanon hat die US-Regierung mit dem sunnitischen Saudi-Arabien gemeinsam verdeckte Operationen durchgeführt, die die vom Iran unterstützte schiitische Hisbollah schwächen sollen. Die USA haben auch an verdeckten Operationen teilgenommen, die sich gegen den Iran und dessen Verbündeten Syrien gewandt haben. Als Nebenprodukt dieser Aktivitäten wurden sunnitische Extremistengruppen gestärkt, die einer militanten Lesart des Islams anhängen und die Amerika feindselig und al-Qaida wohlgesonnen gegenüberstehen.«
Es ist ganz offensichtlich, dass diese »sunnitischen Extremistengruppen, die einer militanten Lesart des Islams anhängen« und die »al-Qaida wohlgesonnen gegenüberstehen« seit 2011 die Kämpfe gegen Syrien anführen. Der Aufstieg von Gruppen wie der Al-Nusra-Front und ISIS zeigen, wie wortgetreu Hershs düstere Warnungen Realität wurden.

Genau diejenigen, die ISIS bislang gefördert haben, präsentieren sich nun als globale Macht, die nach Gutdünken die Souveränität eines Landes verletzen darf und völlig ungestraft Milizen, Regierungstruppen und Zivilisten gleichermaßen bombardieren und töten darf, um die von ihnen selbst erschaffenen Terroristenorganisationen zu stoppen. Das ist das Werk einer wahren »Achse des Bösen«.

Der Westen verurteilt Syrien weiterhin als »brutale Diktatur«, weil sie Terroristen bekämpft und dabei Zivilisten ums Leben kommen. Jetzt ist der Westen dabei, »Terroristen zu bekämpfen« und dabei syrische Zivilisten zu töten. Was absolute, komplett verrückte Scheinheiligkeit anbelangt, eilen wir hier von Rekord zu Rekord.

Die »Gemäßigten« sind die Terroristen

Und es wird noch schlimmer. Die sogenannten »Gemäßigten«, die die USA bewaffnen und finanzieren wollen und denen sie aus der Luft Deckung geben wollen, sind genau die Truppen, die offen Seite an Seite mit ISIS, der Al-Nusra-Front und anderen offenen terroristischen Organisationen gekämpft haben und diesen zum Teil sogar angehörten. In dem Artikel »Al Qaeda Plotters in Syria ›Went Dark‹, U.S. Spies Say« berichtet The Daily Beast(Hervorhebung von uns):
»Eine syrische Rebellengruppe, die in der Vergangenheit von den USA unterstützt worden war, verurteilte am Dienstag die Luftangriffe. Die Rebellengruppe Harakat Hasm hatte im Frühjahr panzerbrechende Waffen von den USA erhalten, nun bezeichnete sie die Luftschläge als ›Angriff auf die nationale Souveränität‹. Angriffe unter ausländischer Führung würden einzig dazu führen, dass das Assad-Regime gestärkt wird. Entnommen ist die Aussage einem Dokument, das aller Wahrscheinlichkeit nach von der Gruppe stammt und online verbreitet wurde. Die englische Übersetzung stammt von einem Twitter-Account namens Syria Conflict Monitor. Mehrere Syrien-Experten, darunter Charles Lister vom Brookings Doha Center, halten das Dokument für authentisch.

Schon vor der offiziellen Erklärung gab es Anzeichen dafür, dass Harakat Hasm in Syrien Bündnisse einging, die sich nicht mit der Rolle als Partner der USA vereinbaren lassen. Anfang September sagte ein Harakat-Hasm-Vertreter einem Reporter der L.A. Times: ›In Syrien werden wir als Säkularisten hingestellt und hatten die Sorge, dass die Al-Nusra-Front gegen uns ins Feld ziehen würde ... Aber die Al-Nusra-Front bekämpft uns nicht, wir kämpfen Seite an Seite mit ihnen. Wir mögen die Al-Nusra-Front.‹«
Harakat Hasm ist die Regel, nicht die Ausnahme. Die USA haben Terroristen bewaffnet und finanziert, die gemeinsam mit der Al-Nusra-Front - einem ISIS-Ableger - und mit ISIS selbst kämpfen. Wie Hersh enthüllt hat, bestand der ursprüngliche Plan darin, derartige Gruppen zu fördern, damit sie stellvertretend für Washington, Riad, Tel Aviv und Doha gegen Syrien, den Iran und die Hisbollah vorgehen.

Übrigens ist die »Verschwörung«, von der in der Überschrift des Artikels im Daily Beast die Rede ist, einer der vielen Vorwände, die die USA ins Feld führen, um zu rechtfertigen, weshalb die Souveränität Syriens verletzt wurde und warum Völkerrecht hier komplett umgangen wird. Die Anschlagspläne seien »spezifisch« gewesen und hätten »unmittelbar vor der Umsetzung gestanden«, hieß es, aber im Pentagon war man nicht einmal in der Lage, den Kontinent zu benennen, auf dem sich das Ziel befand. Wie bei allen Behauptungen der USA wurden auch hier keinerlei Beweise vorgelegt oder auch nur überzeugende Details genannt.

Israel, Türkei und die USA - der Drei-Fronten-Krieg gegen Syrien

Das wahre Ziel besteht also darin, den Einfluss des Irans im Nahen Osten zurückzudrängen, nicht darin, »Terroristen« zu besiegen oder die »Demokratie« voranzutreiben. Das erklärt auch das Vorgehen Israels an seiner Grenze zu Syrien. Israel hat angeblich an der Westgrenze Syriens ein syrisches Kampfflugzeug abgeschossen, und zwar gerade zu dem Zeitpunkt, als die USA damit begannen, syrisches Gebiet im Osten zu bombardieren.

Israel nutzt den Konflikt laufend als Entschuldigung, die syrische Regierung und ihr Militär zu zerpflücken. Terroristen der Al-Nusra-Front stehen nahe der israelischen Grenze. Israel bietet ihnen ganz offensichtlich Unterschlupf und schützt sie genauso mit Vorstößen auf syrisches Gebiet, wie es die Türkei im Norden getan hat und wie es die USA bald im Osten tun werden.

Dabei handelt es sich keineswegs um eine Vermutung. Seit Jahren arbeiten Entscheider im Westen daran, einen Mehrfrontenkrieg gegen Syrien zu führen. 2012 schrieb die vom Großkapital finanzierte Brookings Institution in ihrem »Nahost-Memorandum Nr. 21« mit dem Titel »Assessing Options for Regime Change«:
»Darüber hinaus verfügen Israels Geheimdienste über ein sehr umfangreiches Wissen über Syrien sowie über Agenten innerhalb der syrischen Regierung, die dazu genutzt werden könnten, die Machtbasis des Regimes zu unterminieren und auf den Sturz Assads zu drängen. Israel könnte Truppen auf oder in der Nähe der Golanhöhen stationieren und dadurch Regierungseinheiten von der Aufgabe abhalten, die Opposition zu unterdrücken. Diese Truppenstationierung könnte bei der Regierung Assad die Angst vor einem Mehrfrontenkrieg schüren, vor allem dann, wenn die Türkei bereit ist, dasselbe entlang ihrer Grenze zu tun, und wenn die syrische Opposition beständig mit Waffen und Ausbildung versorgt wird. Eine derartige Mobilisierung könnte Syriens militärische Führung möglicherweise dazu bewegen, Assad zu stürzen, um sich selbst zu retten. Befürworter dieses Vorgehens sagen, der zusätzliche Druck könne ausschlaggebend dafür sein, das Machtgefüge innerhalb Syriens zu Ungunsten Assads zu verschieben, wenn auch weitere Kräfte entsprechend in Position gebracht sind.«
Es ist ganz offensichtlich: Seit Jahren verfolgen der Westen und seine regionalen Verbündeten ein einziges Ziel. Nur die Masche, mit der das Vorgehen der Öffentlichkeit verkauft werden soll, änderte sich, nachdem ein vorgeschobener Grund nach dem anderen in sich zusammenbrach. Der dünnste Vorwand von allen ist dabei die Kampagne, die Amerika derzeit gegen die eigenen ISIS-Söldner führt - und dabei bequemerweise gleich im Osten Syriens eine dritte Front eröffnet, während die Türkei und Israel im Norden und Westen weiter provozieren.

Im nächsten Schritt kommt der dauerhafte Einsatz von amerikanischen Truppen und Terroreinheiten überall von Rakka bis Aleppo. Damaskus wird dabei die Aufgabe überlassen, sich verwundbar für einen direkten Krieg zu machen - Damaskus muss nur versuchen, gegen die Terroristen vorzugehen, die unter dem Schutz der amerikanischen Luftwaffe, der Sonderkommandos und der anderen in der Region aktiven Truppen stehen.

Zurück zur weltweiten Vernunft

Dem entgegenzutreten wird schwierig, ist aber nicht völlig unmöglich. Syrien und seine Verbündeten können das geostrategische Vakuum füllen, das derzeit im Osten herrscht, und damit die Anwesenheit der Amerikaner überflüssig machen. Die USA haben die Bedrohung, die ihre eigenen Terror-Söldner darstellen, ausreichend hochgespielt und damit die rhetorische Vorarbeit geleistet.

Jetzt können Syrien, Irak, Iran, Russland und China gemeinsame Anstrengungen unternehmen, ISIS und deren Verbündete auszuschalten. Sie könnten tun, wozu die westlichen Nationen nicht bereit sind, und im Osten Syriens gemeinsame Militäreinheiten in Stellung bringen. Die USA müssten dann wieder abziehen - oder sich erneut mitten im Gefecht Geschichten einfallen lassen, die ihre fortgesetzte Präsenz erklären. Washingtons Glaubwürdigkeit bröckelt ohnehin, das würde sie vermutlich nicht überstehen. Dafür, dass er die Welt mit Anarchie überzieht, muss der Westen bezahlen. Er kann nicht einmal seine eigenen Regeln befolgen, was zeigt, ein wie unvernünftiger Bestandteil der selbsterschaffenen »internationalen Ordnung« er doch ist.

Diese »internationale Ordnung« ist ganz klar gescheitert und war offen gesagt ohnehin bloß eine Fassade. Syrien und seine Verbündeten verfügen über die militärischen und politischen Mittel, selbst mit dieser Bedrohung fertig zu werden. Und was die breite Öffentlichkeit angeht: Wir verfügen über die sozioökonomischen Mittel, die Interessen des Großkapitals, die hinter den globalen Plänen des Westens lauern, dauerhaft zu boykottieren und durch örtliche Alternativen zu ersetzen.

Der unrechtmäßige Einfluss und die unrechtmäßige Macht des Westens resultieren daraus, dass wir alle zusammen die Unternehmen, Institutionen und Organisationen des Westens unterstützen. Um diesen Einfluss abzuschütteln, müssen wir uns kollektiv und schrittweise loslösen von dem, was in Wahrheit keine »internationale Ordnung«, sondern »internationale Unordnung« ist.

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