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© Paulrudd
Acht Tote nach Massensterilisation: Indische Regierung lockt Frauen mit Geschenken an. Nach Fließband-Abfertigung starben acht Frauen

Im Krankenhaus muss eine Atmosphäre wie am Fließband einer Fabrik geherrscht haben: In nur fünf Stunden hat ein Arzt mit einem Assistenten 83 Frauen sterilisiert - in einer europäischen Klinik hätten die Ärzte sich für diese Eingriffe mindestens achtmal so viel Zeit gelassen. Zwei Tage später klagten viele der Frauen über Fieber und Schmerzen. 30 schwebten in Lebensgefahr. Acht Frauen starben. Es ist nicht der erste Skandal um Indiens staatliches Programm zur Geburtenkontrolle: Vor einigen Monaten waren in Westbengalen über hundert Frauen zu einer Massensterilisation gekommen. Nach der OP legten Krankenhausmitarbeiter Dutzende von ihnen einfach bewusstlos auf einem Feld ab und überließen sie dort sich selbst.

Die Massensterilisierungen sind Teil einer großangelegten Kampagne der indischen Regierung zur Geburtenkontrolle. Die Frauen - oft die Ärmsten der Armen - werden von ihren Männern zu den Eingriffen geschickt oder gehen aus eigenem Antrieb in die Krankenhäuser. Denn die Sterilisation ist kostenlos, und oft lockt der Staat zusätzlich mit Geschenken: Ein paar Hundert Rupien, ein Becher Ghee - oder ein Lotterielos. Die Frau verliert ihre Gebärfähigkeit, doch wenn ihr Los gezogen wird, gewinnt sie einen wertvollen Sachpreis. Ein Küchengerät etwa oder einen Kleinwagen im Wert von 2.000 Euro. Angesichts der Tatsache, dass oft niemand in den Familie einen Führerschein besitzt - wie auch? dafür müsste man lesen und schreiben können - und ohnehin kein Geld für Benzin vorhanden ist, mutet diese Art der staatlichen Familienplanung eigenwillig an.

Mit dem Belohnungssystem will Indien sein explodierendes Bevölkerungswachstum eindämmen. Schon jetzt gibt es über 1,2 Milliarden Inder. Die Regierung versucht seit Jahrzehnten, ihre Bürger zur Familienplanung zu bewegen. In den 70er-Jahren sogar mit Gewalt: Eine Welle von Zwangssterilisationen überzog den Subkontinent mit Angst und Schrecken. Männer, die zwei oder drei Kinder hatten, wurden auch gegen ihren Willen sterilisiert.

Indische Frauen lassen sich oft aufgrund mangelnder Bildung sterilisieren. Nach Protesten wurden die Zwangssterilisationen wieder abgeschafft. Anders als in China, das seine Ein-Kind-Politik weiter rigoros verfolgt. In dem 1,4-Milliarden-Menschen-Land werden Frauen manchmal selbst in höheren Schwangerschaftsmonaten zur Abtreibung gezwungen, damit sie kein zweites Kind bekommen. Mit entsetzlichen Folgen auch für die Seelen der Frauen.

In Indien geschieht die staatlich initiierte Geburtenkontrolle heute freiwillig - soweit es Menschen, die in bitterster Armut leben, möglich ist, selbstbestimmt über sich und ihren Körper zu entscheiden. Anders als in den 70er-Jahren sind diesmal die Frauen die Zielgruppe. Oft sind sie arm und ohne Schulbildung. Keine Bildung. Kaum Aufklärung. Kaum die Möglichkeit, sich zu informieren.


Kommentar: Hier zeigt sich wieder einmal, wie wichtig die richtige (auf der Realität basierende) Bildung und Information der Bevölkerung ist. Leider ist das in unserer heutigen Zeit auf der ganzen Welt ein sehr knappes Gut.


Hebammen ziehen im Auftrag der Regierung durch die Dörfer und versuchen, sie zur Sterilisation zu überreden. Geld und Geschenke sollen ein weiterer Anreiz sein. Doch mit welchem Risiko?

Die Kliniken sind nicht immer darauf ausgerichtet, viele Patientinnen auf einmal aufzunehmen. In den Kliniken herrschten "schockierende" Verhältnisse, so Medizinexperten. Die Folgen mussten die Frauen aus Westbengalen - dort nahmen vier Ärzte 100 Sterilisationen am Tag vor - und im Dorf Pendari mit ihrer Gesundheit oder sogar ihrem Leben bezahlen.

Statt mit guten Worten und Geld zur Sterilisierung zu locken, wäre es vielleicht besser, in Zukunft einen neuen Hauptpreis im Leben indischer Frauen auszuloben: Ein paar Jahre mehr Schulbesuch für Mädchen zum Beispiel. Auch für die ärmsten der Armen.