Wissenschaftler gingen lange davon aus, dass sich auf dem Mond schon seit ewigen Zeiten fast nichts verändert: Große Meteoriteneinschläge sind selten und Vulkanausbrüche dürfte es dort seit einer Milliarde Jahre nicht mehr geben, so die herrschende Meinung. Doch die muss jetzt klar revidiert werden.

Mondflecken
© NASA
Von allen Himmelskörpern erweckt der Mond den wohl vertrautesten Eindruck. Er leuchtet längst nicht so hell wie die Sonne und lässt schon mit bloßem Auge einige Einzelheiten erkennen. Bereits im Feldstecher sind große Einschlagkrater zu sehen, Teleskope zeigen faszinierende Details. Nur ändert sich dort oben offenbar nicht gerade viel, bis auf den Beleuchtungswinkel. Der Mond erscheint als kosmische »Konservendose«.

Uralte Krater sind dort perfekt erhalten geblieben, Erosion ist beinahe ein Fremdwort, auf dem Erdbegleiter läuft sie im Schneckentempo ab. Mondbeben fallen meist nur schwach aus, Wind und Wetter sind auch kein Thema, eher schon starke Temperaturwechsel. Die Wirkung von solarer und kosmischer Strahlung führt zu nachweisbarer Verwitterung, der Mondboden dunkelt mit der Zeit nach. Kleinere Meteoriten stürzen immer wieder mal ab, große Brocken nur sehr selten. Vulkane sind längst erloschen. So herrscht meist absolute Stille. Oder doch nicht?

Tatsächlich haben Astronomen über die Jahre so einige rätselhafte Erscheinungen auf der Mondoberfläche beobachtet, die zunächst für reine Täuschungen gehalten wurden. So vor allem auch die bis heute geheimnisvollen »Moonblinks«, etwas korrekter: »Transient Lunar Phenomena« (TLPs), vorübergehende Mondphänomene also. Mittlerweile sind sie als reale Erscheinung anerkannt, aber das hat ziemlich lange gedauert.

Diese Lichter werden bis heute immer wieder gesehen. Eine sichere Erklärung - wie gesagt Fehlanzeige! Aufgewirbelter Staub, Fluoreszenz im Sonnenlicht, lunare Restentgasungen? Möglich. Es gibt noch eine ganze Reihe an Interpretationen, doch keine davon steht mit absoluter Gewissheit als die Richtige fest.

Schon in den 1960er-Jahren befasste sich der deutsche Astronom Johannes Classen mit solchen Veränderungen auf der Mondoberfläche und versuchte auch, einen Zusammenhang zwischen dem rätselhaften Leuchten, einem möglicherweise länger bestehenden Mondvulkanismus und den irdischen Fundgebieten merkwürdiger Schmelzgläser herzustellen, der Tektite

Die teils riesigen Streufelder dieser vor allem aus Kieselsäure bestehenden Glasobjekte weisen unterschiedlich hohe Alter auf, wobei die australasiatischen Tektite mit rund 700 000 Jahren zu den jüngsten zählen. Andere sind etliche Millionen Jahre alt, so auch die Moldavite, die wegen ihres durchsichtigen grünen Glases auch als Schmucksteine sehr beliebt und verbreitet sind.

Heute wird die Theorie favorisiert, dass diese Objekte entstanden, als Asteroidenkörper in die Erdkruste einschlugen, wobei sie natürlich auch geschmolzene irdische Materie durch die Atmosphäre schleuderten. Allein schon die Tatsache, dass der Mond vulkanisch seit rund einer Milliarde Jahren inaktiv sein soll, ließ ihn als Quelle der Tektite allerdings ausscheiden.

Dafür gibt es noch andere Gründe, aber zumindest die Idee eines bereits über Äonen hinweg schlummernden Mondes darf wohl jetzt getrost über den Haufen geworfen werden. Vielleicht wird ja sogar noch eine moderne Variante der alten Classen-Theorie zu Tektiten aufleben, wer weiß. Neue Untersuchungen lassen jedenfalls einen interessanten Schluss zu: Unser Erdbegleiter war länger vulkanisch aktiv als sich die Schulweisheit bisher träumen ließ.

Der Anfang dieser Geschichte liegt ebenfalls bereits länger zurück, denn schon Apollo-15-Aufnahmen aus dem Jahr 1971 zeigen ein sehr eigenartiges Gebilde auf der »Mondvorderseite«. Es befindet sich zwischen den Kratern Conon und Manilius im Mare Vaporum, somit auch nicht weit vom langgestreckten Bogen der Mond-Apenninen entfernt.

Die ungewöhnliche Struktur, die den Namen Ina Caldera trägt, sieht ein wenig so aus wie haften gebliebene Klebereste, so als ob dort früher irgendetwas am Mond »befestigt« war. Bei einer regionalen Ausdehnung von nur rund drei Kilometern lassen sich von der Erde aus allerdings kaum Details wahrnehmen. In den meisten Teleskopen erscheint das Objekt lediglich als strukturloser Fleck.

Mondflecken Ina Caldera
© NASA
Doch direkt aus dem Mondorbit zeigen sich bizarre Muster. Sie sind besonders gut auf Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) zu erkennen. Ina Caldera erscheint hier als irreguläres Fleckenmuster diverser Plateaus. Diese dunkleren und von Kratern bedeckten Gebiete erheben sich um knapp hundert Meter über das Level der helleren, auffallend kraterarmen Umgebung. Schon seit der Erstentdeckung 1971 wird das Gebilde als Produkt einstigen Vulkanismus gedeutet, wie schon der Name Ina Caldera nahelegt. Zunächst nichts Besonderes.

Die weitflächigen Mare-Regionen des Mondes stehen mehr oder minder alle im Zusammenhang mit vulkanischen Prozessen. Diese ausgedehnten Basaltflächen müssen entstanden sein, als flüssige Lava aus dem Mondinneren große Teile der Oberfläche flutete und dann erkaltete. Dafür gibt es viele Hinweise.

Doch das Ungewöhnliche an Ina Caldera ist die so außergewöhnlich geringe Zahl an Einschlagkratern auf ihrem »Fleckenteppich«. Das spricht für ein sehr geringes Alter dieser Struktur.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Sarah Braden von der Arizona State University (ASU) hat LRO-Aufnahmen auf vergleichbare Merkmale untersucht und ist dabei auf insgesamt 70 Landschaften gestoßen, die Ina Caldera sehr ähnlich sehen. Sie alle sind nur klein und können von der Erde aus nicht erkundet werden. Die Raumsondenbilder aber zeigen zahlreiche Details.

Für Planetengeologen gibt es keinen Zweifel an einem vulkanischen Ursprung, auch wenn für den Entstehungsprozess mehrere Szenarien existieren. Sinnvolle Einschätzungen zum Alter dieser als »Irregular Mare Patches« (IMPs), also »unregelmäßige Mare-Flecken«, bezeichneten Gebilde ergeben jedenfalls, dass diese Strukturen meist nicht mehr als 100 Millionen Jahre auf dem Buckel haben, teils wohl nur die Hälfte. Das klingt nach viel, ist aber geologisch sehr jung. Viel zu jung nach nach bisheriger Auffassung. Nun deutet alles darauf hin, dass auf dem Mond noch Vulkane ausbrachen, während hier auf der Erde bereits die Dinosaurier ins Gras bissen.

Die Forschergruppe ergänzt damit einige vorherige Analysen und ist von den Ergebnissen begeistert. LRO-Projektwissenschaftler John Keller stellt klar fest: »Das ist die Art Wissenschaft, die buchstäblich dazu führen wird, dass Geologen die Lehrbücher zum Mond neu schreiben müssen.« Und Mark Robinson von der ASU kommentiert: »Das Innere des Mondes ist vielleicht heißer als zuvor vermutet ... Wir wissen so wenig über den Mond!« Robinson hält es sogar für möglich, dass auch in Zukunft wieder einige Vulkane auf dem Mond ausbrechen könnten. Die aktuellen Resultate belegen, wie viel auf unserer Nachbarwelt noch völlig unbekannt ist. Dort mögen noch manche Geheimnisse ihrer Entdeckung harren!