Warum knurrt der Magen und gluckert der Bauch? Der Gastroenterologe Tilman Sauerbruch erklärt, was Magen-Darm-Geräusche verursacht, wie man sie bekämpft und was sie mit dem Reizdarm-Syndrom zu tun haben.

Bauchschmerzen
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Tilman Sauerbruch ist Professor für Gastroenterologie an der Universität Bonn und Mitglied der Gastroliga, eines gemeinnützigen Vereins zur Information von Patienten.
SPIEGEL ONLINE: Herr Sauerbruch, was verursacht Magen-Darm-Geräusche?

Sauerbruch: Der Magen ist quasi ein Sack, dahinter verengt sich das Verdauungssystem zu einer Art Schlauch bestehend aus Dünndarm und Dickdarm. Magen und Darm haben Wände aus glatter Muskulatur. Sie erschlafft und zieht sich zusammen, im rhythmischen Wechsel. Durch diese Peristaltik wird die aufgeschlüsselte Nahrung in Richtung Enddarm vorangetrieben. Sind Gas und Flüssigkeit vorhanden, können Geräusche im Magendarmtrakt entstehen.

SPIEGEL ONLINE: Wo kommt das Gas denn her?

Sauerbruch: Wir schlucken täglich etwa zwei Liter Luft, zusammen mit Essen und Trinken. Außerdem entsteht reichlich Gas durch die Verdauung. Vor allem durch die Aufschlüsselung der Kohlenhydrate in der Nahrung werden Kohlendioxid, Wasserstoff und Methan freigesetzt. Wenn verflüssigte Nahrung auf diese Gase trifft, blubbert es.

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Warum?

Sauerbruch: Das Glucksen entsteht dadurch, dass kleine Gasbläschen vom Darm durch Flüssigkeit getrieben werden. Wäre der Darm nur von Flüssigkeit ausgefüllt, gäbe es keine Geräusche.

SPIEGEL ONLINE: Magenknurren kennt man vor allem, wenn der Magen leer ist.

Sauerbruch: In diesem Fall zieht sich die Muskulatur des leeren Magens zusammen. Im Magen ist Luft, die vorher geschluckt wurde. Diese wird durch die Kontraktion in den Dünndarm geschoben, wo sich Nahrungsbrei befindet. Dort entstehen die Geräusche. Auch die Interaktion von Magengas mit Magenflüssigkeit kann Geräusche verursachen.

SPIEGEL ONLINE: Luft im Gedärm kann man kontrollieren, entweder durch kontrolliertes Aufstoßen oder indem man sie durch den Schließmuskel zurückhält. Bauchgluckern lässt sich dagegen nicht beeinflussen. Warum?

Sauerbruch: Weil die Geräusche aus dem Dünndarm kommen, über den wir weniger Kontrolle haben als über die Schließmuskel des Mageneingangs und des Dickdarmausgangs. Hat man das Gefühl, man wolle eine Blähung ablassen, handelt es sich dabei um Gas, das im Dickdarm entsteht.

SPIEGEL ONLINE: Kann eine ernsthafte Erkrankung hinter lauten Magen-Darm-Geräuschen stecken?

Sauerbruch: Treibt der Darm den Nahrungsbrei gegen eine Verengung, eine sogenannte Stenose, kommt es zu lauten Darmgeräuschen. Bei jüngeren Menschen tritt das sehr selten auf, bei älteren können sich dahinter ernsthafte Krankheiten verbergen: Vernarbungen und Tumoren etwa. Treten sehr laute Magen-Darm-Geräusche neu auf und halten sie an, sollte man einen Arzt aufsuchen.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es Nahrung, die besonders starke Magen-Darm-Geräusche verursacht?

Sauerbruch: Das ist individuell sehr verschieden. Wem die Geräusche Probleme bereiten, der sollte ein Ernährungstagebuch führen und aufschreiben, nach Genuss welcher Speisen das Problem auftritt. Ein viel größeres Problem ist die Gasbildung, die Blähungen und Schmerzen machen. Das tritt besonders bei Menschen auf, bei denen die Schmerzschwelle in der Darmwand erniedrigt ist.

SPIEGEL ONLINE: Niedrige Schmerzschwelle bedeutet Reizdarm?

Sauerbruch: Genau. Man kann zur Diagnose den Enddarm mit einem Ballon dehnen. Menschen mit Reizdarm spüren früher Schmerzen.

SPIEGEL ONLINE: Lange wurde der Reizdarm als Diagnose nicht recht ernst genommen.

Sauerbruch: Heute nehmen wir das sehr ernst. Es gibt unterschiedliche Ursachen für den Reizdarm. Eine Form kann durch Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsstoffe hervorgerufen werden. Fruchtzucker etwa, wird im Dünndarm durch einen Transporter aktiv aufgenommen. Ist dessen Aktivität gehemmt, gerät der Fruchtzucker in den Dickdarm, wird dort von Bakterien zersetzt und verursacht so Blähungen. Bei gleichzeitig niedriger Schmerzschwelle kommt es dann zu einer Form von Reizdarm.


SPIEGEL ONLINE: Was sind die anderen Ursachen?

Sauerbruch: Infektiöse Durchfälle. Durch eine Reisediarrhö etwa, kann sich - selten - die nervale Regulation des Darms ändern. Die Folge können Reizdarmbeschwerden sein.

SPIEGEL ONLINE: Was sind typische Beschwerden?

Sauerbruch: Erstens: vermehrt Durchfälle. Zweitens: vermehrt Verstopfung, jeweils verbunden mit chronischen Bauchschmerzen und Blähungen, die sich nach dem Stuhlgang bessern.

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SPIEGEL ONLINE: Wie diagnostiziert man einen Reizdarm?

Sauerbruch: Man versucht, alle anderen organischen Ursachen auszuschließen. Findet man nichts, und die beschriebenen Beschwerden dauern über lange Zeit an, spricht man von einem Reizdarm.

SPIEGEL ONLINE: Wie wird er behandelt?

Sauerbruch: Man versucht den Patienten klarzumachen, dass sie keine lebensbedrohliche Krankheit haben. Gegen die Blähungen gibt es Medikamente. Bei einem Reizdarm, der mit Verstopfung einhergeht, versucht man Substanzen zu geben, die mehr Flüssigkeit in den Darm bringen. Und mit einem Ernährungstagebuch versucht man herauszufinden, welche Speisen Beschwerden machen. Oft hilft das Fortlassen von frucht- oder milchzuckerhaltiger Nahrung, oder von Zuckeraustauschstoffen und bestimmten Kohlenhydraten. Daneben verschreibt man Medikamente, die den Darm entspannen. Gelegentlich bekommen Betroffene bestimmte Antidepressiva in sehr niedriger Dosis.