Ein Ex-Chefarzt trat als Herausgeber einer Fachzeitschrift zurück, weil er eine Novartis-Studie nicht zerpflücken durfte.
Novartis Head Office
© Kyodo
Die grossen internationalen Pharmakonzerne finanzieren fast alle Informationen, welche Ärzte über Medikamente erhalten: Sie zahlen nicht nur
  • für aufwändige «Fortbildungs»-Kongresse,
  • für Zulassungsbehörden wie die Swissmedic,
  • für regelmässige Ärztebesucher,
  • für unzählige klinische Studien.
Nein, sie zahlen zudem fast alle «wissenschaftlichen» medizinischen Fachzeitschriften.

Denn diese finanzieren sich praktisch ausschliesslich durch Pharma-Inserate und durch Sonderdrucke einzelner Beiträge in grosser Auflage, welche die Pharmafirmen grosszügig bezahlen. Die Firmen betreiben mit den Sonderdrucken Werbung für ihre Medikamente.

Dr. Heinz Dieter Köhler
Im November 1992 wurde Heinz Dieter Köhler außerplanmäßiger Professor an der Universität Freiburg. Im Dezember 1994 erfolgte die Umhabilitation an die Philipps-Universität Marburg. Professor Köhler ist Mitglied zahlreicher Fachgesellschaften und Inhaber von elf Patenten im Bereich der angewandten Medizin. Von 2002 bis 2004 war er Vizepräsident und von 2005 bis 2007 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Seit 1986 ist er zudem als Sachverständiger für das Bundesgesundheitsamt tätig.
Von Pharma-Inseraten abhängig

Auch die Einnahmen der kleinen, alle zwei Monate erscheinenden, deutschen Fachzeitschrift Kompakt Pneumologie stammen fast ausschliesslich von Pharma-Inseraten. Die Zeitschrift richtet sich an deutschsprachige Pneumologen bzw. Lungenspezialisten und hat eine Auflage von rund 4000 Exemplaren. Sie erscheint im Kölner Biermann-Verlag.

Herausgeber war bis vor kurzem der pensionierte Professor Heinz Dieter Köhler. Er war früher Chefarzt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. In seinen Editorials kritisierte er gelegentlich vollmundige Ankündigungen manch neuer Therapien, die sich oft als teurer, aber keineswegs besser für die Patientinnen und Patienten herausstellen sollten.

«Wissenschaftlich abstruse und moralisch verwerfliche Novartis-Studie»

Der Redaktion des Biermann-Verlags war dies ein Dorn im Auge. Schliesslich könne man es sich bei diesen 'Kompakt'-Fachzeitschriften, die zu 98 Prozent mit Inseraten finanziert würden, nicht leisten, «die besten Kunden zu vergrätzen» (Zitat aus der Süddeutschen Zeitung).

Als besonders heikel stufte die Verlags-Redaktion das geplante Editorial der jüngsten Ausgabe ein. Unter dem Titel «Man glaubt es nicht» wollte Herausgeber Köhler eine Novartis-Studie als «wissenschaftlich abstrus» und «moralisch verwerflich» kritisieren.

Wie die Süddeutsche Zeitung SZ berichtet, wollte Novartis an Asthma leidenden Studien-Probanden, die nicht regelmässig einen Steroid-Spray inhalierten, regelmässig den Antikörper Omalizumab spritzen lassen.

Novartis habe für die Studie 104 Asthma-Kranke ausgewählt, von denen dann jedoch nur 17 mitmachten und sogar nur 15 von diesen bis zum Ende der Versuchsreihe. Trotzdem liess Novartis die Studie im Januar 2015 in der Fachzeitschrift Annals of Allergy, Asthma, Immunology veröffentlichen. Sie kommt zum Schluss, dass die Spritzen für Asthma-Patienten, die nicht dazu gebracht werden können, regelmässig einen Spray zu benutzen, geeignet sind. Eine Antikörper-Behandlung mit den Novartis-Spritzen kostet pro Patient 30'000 Euro jährlich.

Mit diesem Geld könne man für jeden Patienten jemanden einstellen, der ihn jeden Morgen zu Hause besucht und ihm beim Inhalieren hilft, wollte Köhler in seinem Editorial schreiben.

Köhler beabsichtigte zu fragen, welche Ärzte bei einer solchen «Studie» gegen wie viel Geld mitmachen würden, und warum eine Fachzeitschrift eine solche Studie annehme.

Darauf verlangte die Verlags-Redaktion, Köhlers Editorial «zu entschärfen». Sie schlug gleich selber eine «leicht geänderte» Fassung vor, in der die Ausdrücke «wissenschaftlich abstrus» und «moralisch verwerflich» nicht mehr vorkamen. Auch der Name «Novartis» war gestrichen und nur noch von «einer Studie» die Rede.

Köhler informiert Lungenfachärzte über seinen Rücktritt

Diese «leicht geänderte» Fassung wollte Köhler nicht akzeptieren. Man müsse Ross und Reiter, in diesem Fall also Novartis, nennen dürfen.

«Wenn so etwas begründet öffentlich nicht mehr gesagt werden darf, wer soll denn sonst das Korrektiv darstellen?», fragt Köhler in der SZ.

Über einen E-Mail-Verteiler, der praktisch alle deutschen Lungenfachärztinnen und Fachärzte erreicht, informierte Köhler seine Kolleginnen und Kollegen, dass er als Herausgeber der Kompakt Pneumologie zurückgetreten sei: «Beiliegendes Editorial hat zum Konflikt mit dem Verlag geführt, weil Novartis ein Hauptanzeigenkunde ist.»

Die SZ machte diesen Fall am 7. April publik*. Obwohl es um eine Studie des Schweizer Pharmakonzerns Novartis geht, haben Schweizer Medien bisher nicht darüber berichtet.

«Die Gesellschaft toleriert diese Abhängigkeiten»

Die Rücksichten der Lungen-Fachzeitschrift seien kein Einzelfall, erklärt Gerd Antes, Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität wissenschaftlicher Studien beurteilt: «Der Industrieeinfluss auf die Forschung ist viel zu gross». «Aber», fährt er in der SZ fort, «es ist zu einfach, nur die Firmen zu beschuldigen. Alle Beteiligten tragen zu den Verantwortungen bei, Medizinfakultäten, Ethikkommissionen, Ärzte und ihre Organisationen, aber auch die Fachzeitschriften, Zulassungsbehörden und sogar Gesetzgeber und Parlamente».

Novartis beruft sich auf eigenen Verhaltenskodex

Novartis weist in der SZ die «Unterstellungen und Anschuldigungen» «vollumfänglich als haltlos» zurück. Es habe in dieser Angelegenheit nie einen Kontakt von Novartis zum Biermann-Verlag gegeben.

Zur Asthma-Studie meint Novartis relativierend, sie sei «eher wissenschaftlich interessant als klinisch relevant». Das ist laut Wissenschaftsredaktor und Arzt Werner Bartens in der SZ «eine bemerkenswerte Umschreibung dafür, dass die Therapie für Patienten keine Bedeutung hat».

Hans Biermann, Verleger des «Biermann-Verlags», verwahrt sich im Namen der Redaktion dagegen, als «Bande rückgratloser Pharmabüttel dargestellt» zu werden. Die von ihm verlangte Zensur des Editorials dementiert er nicht.

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Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine. Heinz Dieter Köhler wurde 1994 Professor an die Philipps-Universität Marburg. Köhler ist Mitglied zahlreicher Fachgesellschaften und Inhaber von elf Patenten im Bereich der angewandten Medizin. Von 2005 bis 2007 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Seit 1986 ist er zudem als Sachverständiger für das Bundesgesundheitsamt tätig.