Am Donnerstag wählen die Briten ein neues Parlament. Der mögliche Ausgang ist ungewiss. Die besten Chancen auf einen Wahlsieg können sich die regierenden Konservativen (»Tories«) von Premier David Cameron und die Labour Party - derzeit in der Opposition - ausrechnen. Doch keine der Traditionsparteien wird ohne Koalitionspartner auskommen. Jahre der Unsicherheit drohen in einem kritischen Augenblick für Europa.

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Die anstehende Wahl wirft brisante Fragen für die schwächelnde Konjunktur und die für 2017 von Cameron geplante Abstimmung über einen Verbleib in der EU auf. Als Ergebnis der Wahl droht nicht nur eine schwache Regierung, sondern auch ein zwei Jahre währendes Zittern, das die Grundfesten Europas erschüttern kann.

Kein Wunder, dass der britische Guardian ganz besorgt fragt: »Warum können die Briten sich nicht entscheiden?«

Großbritanniens Parteiensystem ist in den vergangenen Jahren zersplittert, wie in vielen anderen Ländern Europas. Es hat sich fragmentiert, weil das Vertrauen in die politische Kaste kollabiert. Daher erhalten mehr kleine Parteien Zulauf, die Alternativen zum bestehenden Kartell bieten.

In Großbritannien sind es die EU-kritische UKIP, die laut Umfragen am Donnerstag fast so stark werden könnte wie die Liberaldemokraten, die derzeit als Koalitionspartner mit den Konservativen regieren, dazu die schottischen Nationalisten der SNP mit ihrer Chefin Nicola Sturgeon und dienordirischen Protestanten der DUP.

Die UKIP nährt sich davon, dass sie einen Austritt aus der EU fordert. Cameron will, dass Großbritannien in der EU bleibt, aber mit Reformen, die kaum durchsetzbar erscheinen.

Käme es zum »Brexit«, oder würde er sich konkret andeuten, erhielten auch EU-kritische Parteien in Nachbarländern Auftrieb, vor allem die Front National von Marine Le Pen. Sie hat für 2017 ebenfalls ein Referendum versprochen, sollte sie die nächste Präsidentenwahl gewinnen.

Schon vor der Wahl in Großbritannien zeigt sich daher, wie weitreichend das Ergebnis für ganz Europa sein kann. Weil als mögliche Folge der Wahl ein Brexit droht, denken große Banken wie die HSBC - das drittgrößte Geldhaus der Welt - über eine Verlegung der Zentrale nach Asien nach.

Und die US-Regierung hat begonnen, in Schlüsselfragen wie der Ukraine-Krise weniger auf die Briten zu setzen. Das Abkommen von Minsk handelten Merkel und Hollande aus. Bis nach Asien wird die Wahl in dieser Woche genau beobachtet.

Das Nikkei Asian Weekly, ein Magazin mit guter strategischer Analyse, urteilt: »Die Wahl in Großbritannien erinnert Asien daran, dass es ein starkes Europa braucht.«

Doch in Großbritannien herrschen genügend Zweifel an der eigenen Zukunft. Das Wachstum der Wirtschaft hat sich im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal auf 0,3 Prozent halbiert. In der Leistungsbilanz klafft ein riesiges Loch. Und die Gesamtverschuldung von privaten Haushalten, Firmen und Staat nimmt rasant zu.

Das Land lebt auf Pump und von teuren − und damit wackligen − Versprechen. Die Konservativen versprechen Vorkaufsrechte für Geringverdiener am Immobilienmarkt, dazu 30 Stunden freie Kitas pro Woche für die Kinder von Arbeiterfamilien und steuerfreie Mindestlöhne. Sie wollen mit Hilfe von Subventionen drei Millionen neue Lehrstellen schaffen.

Ob das Cameron viel hilft, ist ebenfalls nicht klar. Die Wähler wissen, dass für solche Versprechen kein Geld da ist. Die jüngste Umfrage des Guardian von dieser Woche zeigt, dass Labour und die SNP - eine der denkbaren Koalitionen − auf eine Mehrheit von 326 Sitzen hoffen können, während die existierende Koalition aus Tories und Liberaldemokraten auf 300 Sitze käme.

Sollten sich die Probleme in der Wirtschaft Großbritanniens zuspitzen − oder das Land die EU verlassen − würde Deutschland stark davon profitieren, spekuliert das Asian Weekly. Der Grund:
»Großbritannien ist bei Weitem der größte Empfänger internationaler Direktinvestitionen nach Europa. China hat seit 2005 in der EU 75 Milliarden Dollar investiert, 20 Prozent davon in Großbritannien. Indiens Tata-Gruppe hat das kränkelnde Geschäft von Jaguar und Land Rover wieder flottgemacht. Über 1300 japanische Firmen nutzen das Land als Einfallstor in den EU-Markt mit 500 Millionen Konsumenten.«