Zwei Jahre blaues Label des Deutschen Tierschutzbundes: Wie ist es um das Mehr an Tierwohl in der Schweinemast bestellt? Ein Hofbesuch macht skeptisch.

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Der Profit diktiert die Art der Massentierhaltung
Der Stall, inmitten von riesigen Feldern mit grünenden Saaten gelegen, fällt von der Straße aus nicht weiter auf. Man hört nichts, sieht nichts, riecht nichts von denen, die drinnen sind. Die drinnen, das sind 864 Schweine eines fast ganz normalen Schweine-Mastbetriebs, irgendwo im Niedersächsischen. Bauer Harleß und seine Frau mästen hier Schweine, auf deren Hinterschinken in der Ladentheke einmal das blaue Label des Deutschen Tierschutzbundes prangen wird. Die hatten es also gut. Oder?

Wer rein will, muss sich die Hände desinfizieren, einen Schutzanzug, Überschuhe und Handschuhe überstreifen, durch ein Desinfektionsbad waten. Keime sind ein Produktionsrisiko. Der Stall ist geschlossen, die Luft erstickend. In den Buchten drinnen neugierige Blicke auf die Besucher, eine willkommene Abwechslung. Aber auch ohrenbetäubendes Geschrei bei Streitigkeiten. Viel Platz, sich aus dem Weg zu gehen, haben auch die "Mehr Tierschutz"-Schweine nicht: 1,1 statt der gesetzlich vorgeschriebenen 0,75 Quadratmeter. Das entspricht einem Plus von nicht einmal sechs DIN-A-4-Blättern. Nach EU-Bio-Verordnung stehen jedem Schwein immerhin 1,5 Quadratmeter zu. Und Auslauf.

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© Peter Carstens0,35 Quadratmeter mehr pro Tier und was zum Knabbern. Ist das schon Tierschutz?
Die Besucher, das sind der niedersächsische Agrarminister Christian Meyer und ein Tross von Beamten, Experten, Presse. Wenn es um die Tierproduktion geht, ist die öffentliche Aufmerksamkeit hier groß. Denn in keinem anderen deutschen Bundesland gibt es mehr Schweine als Einwohner. Fast alle dieser Tiere erreichen ihr Schlachtgewicht in der konventionellen Mast, im Jargon der Tierschützer: unter den Bedingungen einer tierquälerischen Massentierhaltung. Meyer muss sich als Agrarminister für die Belange von Züchtern, Mästern und Schlachthofbetreibern einsetzen, als Grünenpolitiker für mehr Tierschutz. Ein Spagat. Da ist ihm jede Initiative für mehr Tierschutz willkommen.

Im Stall von Bauer Harleß verbringen die "Mehr Tierschutz"-Schweine die sechs Monate ihres Lebens auf nackten, von Kot verschmierten Vollspaltenböden aus Beton. Den Himmel werden die neugierigen Tiere nur einmal sehen: bei der Verladung auf den LKW zum Schlachthof. Stroh zum Wühlen: Fehlanzeige. Es würde das Gülle-Transportsystem verstopfen, erklärt der Mäster. Dafür hängen von der Decke an Stahlketten "Spielzeuge", Klötze aus Weichholz. Aus Stahlspendern können sich die Tiere Strohpellets holen, zum Knabbern. Solche Angebote sollen das Schwanzbeißen unter den Tieren verhindern, ein berüchtigtes Problem in der Enge der Massentierhaltung. Vorsorglich abgeschnittene Schwänze haben diese Tiere trotzdem. Das Label verbietet zwar kupierte Schwänze im Stall - aber erst ab Ende 2015.

Erst das Geld - dann der Tierschutz

Noch oft werden an diesem Tag die Besucher hören, man würde ja gerne dieses und jenes tun, um den Schweinen das Leben angenehmer zu machen. Aber es würde eben niemand dafür bezahlen. Schnell wird klar, dass Tierschutz im Stall eine Frage des garantierten Kilo-Abnahmepreises vom Schlachthof ist. Auf die Nachfrage, wo denn die vorgeschriebenen Liegematten für die Tiere seien, die das Label vorschreibt, heißt es, man "experimentiere" damit noch.

Seit Januar 2013 gibt es das blaue Siegel, das der Deutsche Tierschutzbund vergibt - in Kooperation mit dem Fleischkonzern Vion. Es gibt eine Einstiegs- und eine Premiumstufe. Premium, das ist vergleichbar mit "bio". Die überwiegende Mehrzahl der Produkte ist allerdings mit dem Einstiegs-Label gekennzeichnet. Erhältlich ist das Fleisch in bundesweit rund 8000 Filialen verschiedener Handelsketten. Zum Absatz macht der Tierschutzbund allerdings keine Angaben. Es heißt lediglich, der Handel sei in der Breite zu zögerlich, dem Label im Sortiment "offensiv Platz einzuräumen".

Der Einstiegsstufe des Labels entspricht auch der zweite Hof, der heute auf dem Besichtigungsprogramm steht. Im Familienbetrieb von Bauer Becker haben die Schweine zwar dieselben 1,1 Quadratmeter pro Tier. Aber sie leben in halboffenen Ställen, mit reichlich Tageslicht und frischer Luft. Die Tiere wirken merklich entspannter. Wer krank ist, bekommt einen besonderen Luxus gewährt: Auslauf, Stroh, Sonne. Das Label ist dasselbe.

"Besser als gar nichts"?

Von einem "Anfang" spricht Agrarminister Christian Meyer resümierend und reibt sich vor der Presse betreten lächelnd die Hände. Das Tierschutz-Label sei immerhin ein kleiner, anerkennenswerter Schritt in die richtige Richtung, sagt er. Und fordert ein staatliches Tierschutzlabel, das dem Verbraucher echte Wahlfreiheit ermögliche. Die Haltungsbedingungen müssten auf einen Blick erkennbar seien, nach dem Vorbild der Kennzeichnung von Hühnereiern.

Verständlich, dass das Lob des Ministers verhalten ausfällt. Denn den Tieren des Tierschutzlabels geht es in der Summe zwar etwas weniger dreckig, als den Tieren in der konventionellen Schweinemast. Aber hatten sie es deshalb gut? Wer in der Supermarkttheke zu Fleisch mit dem blauen Siegel greift, "Für mehr Tierschutz" und "Deutscher Tierschutzbund" liest, vor dessen innerem Auge werden sich Schweine vor Vergnügen quiekend im Dreck wälzen. Davon ist die Realität der Einstiegsstufe meilenweit entfernt.

Auf dem Weg zum Bus erzählt die Tierrechtlerin und Buchautorin Hilal Sezgin von einem Unfall, der sich kürzlich ereignet hat. Nichts, wovon man in überregionalen Zeitungen liest. Ein Schweinetransporter. Die Tiere seien in den Wald geflüchtet und hätten sofort angefangen zu wühlen. Mastschweine, sagt sie, haben das komplette Verhaltensrepertoire ihrer wilden Verwandtschaft.