Ein neues feinmechanisches Handwerkszeug, das Genome punktgenau verändern kann, bringt nicht nur den Menschen nach Maß, es kann auch großflächig das Leben der gesamten Erde umbauen.
Gene, Genetik
© NIH
Am 28.Dezember 2014 wurden die mendelschen Regeln der Vererbung außer Kraft gesetzt, im Labor von Valentino Gantz und Ethan Bier (UC San Diego): Die beiden hatten mit Fruchtfliegen experimentiert, deren Weibchen eine Mutation an einem rezessiven Gen hatten. Wenn die sich durchsetzte, wurden die Jungen Albinos, und gemäß Mendel setzt sie sich in 25Prozent der Fälle durch. Aber in San Diego waren alle Jungen Albinos, 100 Prozent: „Es war, als wäre die Sonne im Westen anstatt im Osten aufgegangen“, berichtete Bier, er rasselte mit seinem Postdoc Valentino Gantz eine Publikation herunter, am 19.März war sie online in Science, Titel: „The mutagenic chain reaction“.

Diese Kettenreaktion hatte sich abgezeichnet, Science selbst hatte die Debatte eröffnet bzw. viele Vertreter der Zunft hatten letztes Jahr dort gefordert, dass vor dem Ausführen von Experimenten erst einmal die „Konzepte und Anwendungen“ publiziert werden sollten, wenn es um „aufkommende Techniken geht, die „global commons“ berühren, Güter der ganzen Menschheit. Die gemeinten Techniken heißen „Gene drive“, es geht darum, gentechnische Veränderungen möglichst rasch in ganzen Populationen zu verbreiten. Die Idee stammt von 2003, damals schlug Austin Burt (Imperial College London) vor, alle Moskitos der Welt so umzubauen, dass sie keine Infektionskrankheiten wie Malaria mehr übertragen können.

Punktgenau das ganze Genom ändern

Damals war das nicht machbar, man konnte nichts rasch in Populationen bringen, eben wegen Mendel, und wegen Darwin auch: Gentechnische Innovationen hätten die Moskitos so viel Kraft gekostet, dass die Selektion sie bald wieder weggeschafft hätte. Inzwischen ist „Gene drive“ da, der bekannteste Ansatz heißt CRISPR und arbeitet mit einem Enzym, einer Endonuklease, die ein Genom exakt an einem gewünschten Ort aufschneidet. Dorthin geleitet wird sie von einer RNA, zudem kann man ihr eine Fracht anhängen, eine Genvariante, die sie platzieren soll. Die kopiert sie dann auch in den zweiten Strang der DNA, nun ist das ganze Genom in diesem Punkt gleich, es wird vererbt und nicht mehr selektiert, es gibt ja keine Alternative.

Vorangetrieben hat das vor allem George Church (Harvard), er hat Kettenreaktions-Experimente an Hefe durchgeführt, er dachte aber vor allem an eine ganz andere Anwendung von CRISPR, an Erbkrankheiten von Menschen: Man kann theoretisch aus Embryos kranke Gene herausschneiden und gesunde einsetzen. Für diesen Plan - er würde Menschen nach Maß ermöglichen - erhielt Church so viel Kritik, dass er ihn wieder in die Schublade steckte. Aber was in der Welt ist, ist in der Welt: In China kamen letzte Woche - nicht lebensfähige - Embryos auf den Weg, denen eine erbliche Blutkrankheit wegtherapiert war, Thalässemie. Das Experiment lief schlecht, von 86 Embryos erhielten gerade vier das richtige Gen, und das auch nur partiell. Nature und Science lehnten die Publikation ab, Protein & Cell nahm an (22.5.).


So rückt das Maßschneidern des Menschen näher, aber bei uns geht es nicht gleich um die Weltbevölkerung, wir reproduzieren uns zu langsam. Bei Moskitos ist das anders, bei Amphibien auch, bei Ratten, bei Geflügel, bei Pflanzen. Alle könnten mit „Gene drive“ in die Kettenreaktion gebracht werden: Amphibien könnte man damit (vielleicht) vor dem derzeitigen Massensterben bewahren - es kommt von einem Pilz, man müsste eine Resistenz einbauen - , Ratten könnte man loswerden, Wildgeflügel (und damit Menschen) von Vogelgrippe befreien. In Pflanzen könnte man alles Erdenkliche einbauen, es würde sich verbreiten und auf natürliche Verwandte auskreuzen. Bisher hat die Gentechnik versucht, das zu verhindern, mit „Gene drive“ würde es ungebremst um sich greifen, vielleicht würden unabsichtlich auch ganz andere Eigenschaften verändert: „Es ist ein völlig neuer Ansatz von Öko-Engineering.“

So sieht es Church (eLife.03401), ihm wird so bange vor möglichen Konsequenzen - zurückholen könnte man nicht, was die Büchse des „Gene drive“ in die Welt bringt - , dass er Gantz/Bier heftig kritisiert (Science 347, S.1300): „Es ist ein Schritt zu weit.“