Eine Untersuchung der investigativen Nachrichtenplattform ProPublica hat heraus gefunden, dass das US-amerikanische Rote Kreuz eine halbe Milliarde an Spendengeldern für Haiti verschwendet hat. Statt den versprochenen Häusern für 130.000 Erdbebenopfer wurden nur sechs gebaut. Der Rest wurde zweckentfremdet in Form von weit überhöhten Gehältern für US-amerikanische “Entwicklungshelfer” und Hochglanz-Werbematerialien die Erfolge präsentierten, die es gar nicht gab.
Erdbeben Haiti
© ProPublicaFünf Jahre und eine halbe Milliarde US-Dollar später im Armenviertel Campeche

Als am 12. Januar 2010 Haiti von einem Erdbeben der Stärke 7,0 auf der Richterskala erschüttert wurde, war es das US-amerikanische Rote Kreuz, welches sich zum Vorkämpfer für den Wiederaufbau des ärmsten Landes der westlichen Hemisphäre aufschwang und eine großangelegte Spendenkampagne ins Leben rief. Laut einem ehemaligen Mitarbeiter sprach man innerhalb der Organisation von „einer spektakulären Möglichkeit zum Generieren von Spenden“.

Und die Spenden flossen reichlich. Unter anderem Michelle Obama, die NFL und zahlreiche Hollywoodgrößen zückten die Checkbücher für das Rote Kreuz. Im Gegenzug versprach die Geschäftsführerin der Organisation, Gail Mc Govern, „brandneue Wohnanlagen, die die Spender mit Stolz erfüllen und den Menschen in Haiti helfen werden.“

Möglich gemacht werden sollte dies durch das Hauptprogramm LAMIKA (ein kreolisches Akronym für „Ein besseres Leben in meiner Nachbarschaft“), welches vorsah in dem Armenviertel Campeche in der haitianischen Hauptstadt Port au Prince hunderte Wohnungen für insgesamt 130.000 Menschen zu errichten, die im Zuge des Erdbebens ihre Unterkünfte verloren hatten.

Doch auch im Jahr 2015 sieht Campeche noch so aus wie kurz nach dem Erdbeben 201, und von den versprochenen Wohnanlagen ist weit und breit nichts zu sehen. Wie kam es dazu?

Eine Untersuchung der investigativen Nachrichtenplattform ProPublica hat dazu von „frustrierten Insidern“ Einsicht erhalten in vertrauliche Memos, E-Mails und Berichte. Aus diesen ergibt sich ein Bild, welches geradezu exemplarisch die teilweise Absurdität und Ineffektivität westlicher „Not- und Entwicklungshilfe“ skizziert.

In einem Fall wurde ein US-amerikanischer Projektmanager für 140.000 US-Dollar angestellt, der weder französisch noch kreolisch konnte, dafür aber die Haitianer extrem arrogant behandelt und das lokale Personal, die einzigen die Französisch und Kreol sprechen und somit direkt mit den Betroffen kommunizieren konnten, von zentralen Entscheidungen bezüglich der Bauprojekte ausgeschlossen haben soll.

Weitere große Geldsummen gingen in „expat housing“, also „gewisse Standards erfüllende Unterkünfte“ für US-amerikanische Mitarbeiter des Roten Kreuzes. So berichtet ein Haitianer, der verantwortlich war für die Koordinierung dieser Unterkünfte:
„Viel Geld wurde für die Personen ausgegeben, die keine Haitianer waren, die nichts mit Haiti zu tun hatten. Die Gelder gingen zum großen Teil direkt wieder in die USA.
Als das Rote Kreuz im Rahmen der Untersuchung angefragt wurde, ob es Vertreter durch ihre bisherigen Projekte in Haiti führen könnte, damit diese sich ein Bild der Ergebnisse der Tätigkeiten des Roten Kreuzes machen, verneinte die Hilfsorganisation dieses Anliegen rundheraus.

Lee Malany, der Projektmanager für die Notunterkünfte des Roten Kreuzes gibt in dem Untersuchungsbericht zu Protokoll, dass bei Treffen mit der Führungsriege der Organisation, diese „keine Idee hatten, was sie mit all den Millionen tun sollten, die sie für die Hausprojekte erhalten hatten.“

Statt die Gelder direkt in den Hausbau zu investieren, wurden zudem Teile in neue Werbekampagnen gesteckt sowie Millionenbeträge an andere NGOs für weitere „Entwicklungsprojekte“ ausgezahlt. Die NGOs, im Bewusstsein der geringen Kontrollkapazität endes Roten Kreuzes, stellten völlig überzogene Management- und Personalkosten in Rechnung. Weitere Summen soll das Rote Kreuz entgegen der Zweckbindung in die Schuldentilgung investiert haben. Denn trotz der hohen Spendeneinahmen soll die Organisation mit über 100 Millionen US-Dollar verschuldet sein

Doch statt einer selbstkritischen Auseinandersetzungen mit der fatalen Bilanz, verkündete das US-amerikanische Rote Kreuz in einem Bericht aus dem Mai 2015:
„Millionen Haitianer sind sicherer, gesünder und besser gerüstet für zukünftige Naturkatastrophen. All dies dank der großzügigen Spenden an das amerikanische Rote Kreuz.“
Im selben Bericht wird auch die Behauptung aufgestellt, dass das US-amerikanische Rote Kreuz insgesamt 4,5 Millionen Haitianern geholfen haben soll.

Angefragt von den Verfassern der Untersuchung, wie er diese Zahl des Roten Kreuzes einschätzt, antwortete der Premierminister Haitis, Jean-Max Bellerive:
„Nein, nein, das ist unmöglich. Unsere Gesamtbevölkerung beträgt ja nur zehn Millionen.“
Haiti ist nicht der erste Fall dieser Art für das Rote Kreuz. Auch im Kontext der Spenden- und Hilfskampagnen für 9/11 und die Opfer des Hurrikans Katrina sah sich die Organisation in ähnliche Skandale verwickelt. Doch das rief weder das FBI auf den Plan noch ließ dadurch die Spendenbereitschaft nach.

Mit viel geringeren Geldmitteln, aber weit größeren und sichtbaren Erfolgen unterstützte übrigens die karibische Nachbarinsel Kuba die Haitianer.