Zarte Bande zwischen drei Heliumatomen: Der Efimov-Zustand ist nun auch bei Molekülen des leichten Edelgases aufgespürt worden.
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© Universität FrankfurtEfimov-Molekül aus drei Heliumatomen. Die drei Heliumatome bilden ein spitzwinkliges Dreieck, ihr Abstand der gelb dargestellten Quantenwolke beträgt das Hundertfache der Größe der Atome.
Will man das komplizierte Zusammenspiel von drei physikalischen Objekten beschreiben, stößt man schnell an mathematische Grenzen. Das mussten schon alle Astronomen erkennen, die versucht haben, die Umlaufbahnen von drei Himmelskörpern zu berechnen. Auch berühmte Mathematiker wie Euler, Lagrange und Poincaré haben sich an dem Dreikörperproblem die Zähne ausgebissen. Groß war deshalb die Überraschung, als 1970 der russisch Theoretiker Vitaly Efimov ein Dreikörpersystem aus der Quantenphysik präsentierte, das sich überraschend einfach berechnen ließ. Danach sollen drei Teilchen schwach gebundene Zustände bilden können, obwohl sie dazu paarweise untereinander keine Bindung eingehen können.

Was theoretisch zunächst einfach klang, hat sich für die Experimentalphysiker jedoch als eine äußerst harte Nuss erwiesen. So sollte es über dreißig Jahre dauern, bis österreichische Physiker erstmals Hinweise auf mysteriösen Quantenzustand bei extrem kalten und speziell präparierten Cäsiumatomen fanden. Seitdem haben sich immer mehr Forscher dieser exotischen Dreierbeziehung verschrieben. Jetzt haben Physiker aus Frankfurt am Main den fragilen Efimov-Zustand erstmals auch bei Edelgasmolekülen in einem Gasstrahl entdeckt.

Das Interesse an Efimov-Zuständen ist nicht zuletzt deshalb so groß, weil sie sich sowohl bei stark wechselwirkenden Protonen und Neutronen und die aus ihnen gebildeten Atomkernen nachweisen lassen sollten als auch bei Molekülen, wo die elektromagnetische Kraft dominiert. Vitaly Efimov, der an der University of Washington in Seattle arbeitet, hatte ursprünglich vorgeschlagen, bei Atomkernen nach den exotischen Zuständen zu fahnden. Dort war aber die Suche bislang ebenso vergebens wie bei dreiatomigen Heliummolekülen, die ebenfalls als heiße Kandidaten gehandelt wurden. Auf jeden Fall sollte der spezielle Dreierbund nur zwischen Bosonen möglich sein, also zwischen Teilchen, die sich aufgrund ihrer intrinsischen Eigenschaften beliebig nahe kommen, was bei tiefen Temperaturen stark ausgeprägt ist.

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© Universität InnsbruckVitaly Efimov bei einem Besuch in Innsbruck
Cäsiumatome am Rande des Nullpunkts

Davon profitierten vor neun Jahren Rudi Grimm und seine Kollegen von der Universität Innsbruck, als sie den exotischen Dreierbund bei bosonischen Cäsiumatomen beobachteten, die man mit Laserlicht bis an den absoluten Temperatur-Nullpunkt gekühlt hatte. Die Atome wurden in eine spezielle Falle gesperrt, wo man sie zunächst sanft miteinander kollidieren ließ. Dabei bildeten sich zweiatomige Cäsiummoleküle. Mit einem variablen Magnetfeld vergrößerte man dann schrittweise den Abstand der beiden Partner. Bevor die Moleküle auseinanderfielen, kam es zu einer Bindung zu einem dritten Cäsiumatom. Auf diese Weise entstanden zahlreiche dreiatomige Moleküle, die alle Bedingungen von Efimows Dreiteilchenzustand erfüllten. Allerdings betrug ihre Lebensdauer nur Sekundenbruchteile.

Seit den Pionierarbeiten aus Innsbruck hat man den Efimov-Effekt auch bei anderen tiefgekühlten Alkaliatomen angetroffen. Doch blieben bei dreitatomigen Helium-Molekülen bisher alle Bemühungen erfolglos. Der Grund: Es hat sich als äußerst schwierig erwiesen, Edelgasmoleküle, die aus drei Atomen des Isotops Helium-4 bestehen, in großen Mengen zu erzeugen, zu isolieren und die Existenz des fragilen Efimov-Zustands nachzuweisen. Die Forscher um Reinhard Dörner und Maksim Kunitski von der Goethe-Universität in Frankfurt haben nun alle experimentellen Hürden überwinden können und ein stabiles Efimov-System bei dreiatomigen Helium-4-Atomen hergestellt.

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© Universität InnsbruckAn dieser Apparatur wurden in Innsbruck erstmals Efimov-Zustände an extrem kalten Cäsiumatomen beobachtet.
Eine Kamera friert Ionen im Flug ein

Die Physiker ließen zunächst kaltes Heliumgas durch eine Düse in eine Vakuumkammer strömen. Dort dehnte sich der Gasstrahl aus und kühlte stark ab. Dadurch bildeten sich auch Heliummoleküle aus drei oder mehr Atomen. Um die unterschiedlich großen Aggregate voneinander zu trennen, nutzen die Forscher ein spezielles Massenspektrometer, das von Physikern um Jan Peter Toennies am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung in Göttingen eigens für Experimente an Heliumgasstrahlen entwickelt worden war. Da Heliummoleküle keine Ladung tragen und auch kein magnetisches Moment besitzen, lassen sie sich nicht auf herkömmliche Weise mit elektrischen und magnetischen Feldern manipulieren und somit mit konventionellen Massenspektrometern untersuchen. Toennies und seine Kollegen nutzten für ihre Experimente deshalb als Massenspektrometer ein feinmaschiges Gitter. Ankommende Heliumteilchen werden je nach ihrer Größe am Gitter unterschiedlich stark abgelenkt. Auf diese Weise gelang es den Forschern um Dörner, Heliumteilchen, die aus drei Atomen bestanden, von den übrigen Heliumatomen abzutrennen.

Um die Struktur der Moleküle und insbesondere deren Bindungsabstände zu vermessen, richteten die Forscher kurze Laserpulse auf die separierten Heliumtrimere. Dabei entstanden dreifach positiv geladene Moleküle, die aufgrund der starken elektrostatischen Abstoßung sofort auseinanderbrachen. Mittels eines speziellen Spektrographen konnten die Forscher anschließend die Flugbahnen der entstandenen Heliumionen verfolgen und deren Energien und Impulse präzise vermessen und so Größe und Geometrie der Trimere rekonstruieren.

Ein Riesenmolekül aus Helium

Als man die Messergebnisse mit Rechnungen der Theoretikerin Doerte Blume von der Washington State University verglich, wurde deutlich, dass in dem Molekularstrahl tatsächlich Efimov-Zustände existiert hatten, die offenkundig auf „natürliche Weise“ entstanden waren. Dabei handelte sich um einfach angeregte Heliumtrimere, wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift Science berichten. Die Bindungsabstände der in Frage kommenden dreiatomigen Heliummoleküle betrugen zehn Nanometer und mehr, was im Reich der Moleküle eine gewaltige Ausdehnung ist. Normale Wassermoleküle sind mit einem typischen Durchmesser von 0,2 Nanometern im Vergleich dazu geradezu winzig.

Auch die Struktur des angeregten Trimers hat die Forscher überrascht. Die drei Heliumatome formen ein ebenes, recht asymmetrisches Dreieck. Während zwei Atome sich recht nahe sind, befindet sich das dritte in einem großen Abstand. Ganz anders der Grundzustand: Dort bilden die Konstituenten keine geordnete Struktur, sondern schwirren in einer Art Wolke umeinander her.

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© Universität FrankfurtMaksim Kunitski im Labor an der Goethe-Universität in Frankfurt
Die Natur gibt ihre Geheimnisse preis

„Dies ist das erste stabile Efimov-System, das entdeckt wurde. Das Dreiteilchensystem fliegt ohne weitere Wechselwirkung in der Vakuumkammer“, sagt Dörner. „Es ist erstaunlich, dass die Heliumatome aneinander gebunden bleiben, obwohl sie sich außerhalb ihrer gegenseitigen Anziehungskraft aufhalten. Bei normalen Molekülen und bei Atomkernen sei das eher wie bei Standardtänzen: die Partner bewegten sich innerhalb der Reichweite ihrer Arme und hielten sich gegenseitig fest. „Der Efimov-Zustand den wir ,fotografiert‘ haben, ist eher mit drei Einzeltänzern vergleichbar, die sich auf einer unendlich großen Tanzfläche bewegen und nur Sichtkontakt haben, aber trotzdem locker beieinanderbleiben“, so Dörner weiter. „Nur, was ist der ,Sichtkontakt‘ bei Atomen? Woher ,wissen‘ die Atome, dass sie sich nicht in alle Winde zerstreuen dürfen, wenn sie einmal den Kontakt über die Bindungskräfte verloren haben? Ohne Quantenmechanik kann man das nicht verstehen.“ Für Vitaly Efimov, der den Frankfurter Forschern zu ihrer Entdeckung gratulierte, habe Mutter Natur hier eines ihrer größten Geheimnisse offengelegt.

Der Efimov-Zustand sei jedoch kein exotischer Spezialfall, sondern ein Beispiel für einen universellen Quanteneffekt, der in vielen Bereichen der Physik offenbar eine wichtige Rolle spielt“, erklärt Maksim Kunitski. Man habe zahlreiche Hinweise für Efimov-Zustände auch in atomaren Clustern, in kleineren Atomkernen und sogar in Systemen der Festkörperphysik gefunden. Darüber hinaus gebe es auch erste Berichte über dessen Bedeutung in der Biologie.