Die deutsche Unternehmerin Gaby Guzek betreibt in Thessaloniki ein Restaurant. Sie schildert, wie sich die Lage in Griechenland praktisch von Minute zu Minute verschlechtert. Immer weniger Läden akzeptieren griechische Bank-Karten. Flüge werden abgesagt, weil das Flugbenzin nicht im voraus bezahlt werden kann. Das Online-Banking bricht zusammen. Am Abend wurde das Limit für Abhebungen bei Bankomaten von 60 auf 50 Euro gesenkt.
weinender grieche,griechenland
Griechenland - ein Augenzeugenbericht als Protokoll des rasanten wirtschaftlichen Kollaps.

10.13 Uhr: Nach drei Tagen Deutschland bin ich zurück in Griechenland. Nach der Landung auf dem Weg nach Hause traute ich meinen Augen nicht: Auf den rund 15 Kilometern Schnellstraße (wochentags um die Uhrzeit immer belebter bis dichter Verkehr) habe ich insgesamt drei Autos gezählt. Auch im Ort ist alles gespenstisch leer, nur wenige Menschen auf der Straße. Geschäfte (sogar inkl. Supermärkte) sind leer. Ich war gestern nicht mehr einkaufen, werde heute aber mal checken gehen, wie es um das Angebot steht. Weiterhin lange Schlangen vor den Geldautomaten.
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© Louisa Gouliamaki/AFPRentner in einer Schlange vor ihrer Bank.

Fest steht, dass es bereits durch die Kapitalverkehrskontrollen massive Schwierigkeiten gibt. Unser Getränkelieferant für das Restaurant (Alkohol und Softdrinks) hat uns bereits darüber informiert, dass so einige Waren derzeit nicht lieferbar sind, da Importware -, und dass diese nicht verzollt werden können.

Wenn das bei uns schon so ist, dann möchte ich ja mal wissen, wie das in den großen Hotels aufschlägt. Da gibt es dann an der Bar demnächst nur noch Amstel, Heineken und Green Cola oder wie? Und auf dem Buffet liegen Feta und Oliven .... Nicht, dass ich da was gegen hätte, aber das dürfte Gift sein für die Tourismusdestination Griechenland.

Geflogen bin ich übrigens mit AirBerlin, typischer Weise randvoll mit Touris. Ziemlich verunsichert, und mit Geld in der Tasche ...

Apropos Geld in der Tasche: Die Anzahl der Raubüberfälle hat sprunghaft zugenommen. In der Regel handelt es sich offenbar um Überfälle auf Menschen direkt nach der Abhebung bei der Bank (war vor allem in den Tagen, als die Banken noch auf hatten bzw. die ATMs mehr als die 60 Euro ausspuckten, die es jetzt noch pro Tag gibt). Angeblich sollen ja Touristen/Ausländer mit ihren nicht-griechischen Karten mehr erhalten, ließ man verbreiten. Aber da ich im Besitz einer CoBa-Karte bin, darf ich vermelden: Bullshit.

Allgemein ist die Stimmung sehr gedrückt, Angst herrscht vor. Mit „Ja“ werden diejenigen stimmen, die eh nichts mehr zu verlieren haben, die verzweifelt sind und keine Perspektive haben. All dieses Chaos lastet hier bislang übrigens quasi niemand, mit dem ich gesprochen habe, der Tsipras-Truppe an. Wie lange das allerdings noch andauern wird, vermag ich nicht zu sagen.

So wurde gestern den Rentnern, die der OGA angehören (das ist die Pensionskasse der Landwirte) mitgeteilt, dass sie bis auf weiteres keine oder nur sehr reduzierte Renten beziehen werden. Es sind ca. eine Million Rentner betroffen, las ich. Viele Rentner sind derzeit doppelt betroffen, weil sie keine Bank-Karte besitzen und nicht an ihre Renten kommen, das Geld aber dringend brauchen. Für sie haben die Banken nun geöffnet, es müssen sich chaotische Szenen abgespielt haben.

Dann noch etwas. Gestern ist hier einer der schwersten Gewitterstürme niedergegangen, die ich in den Jahren hier erlebt habe. Dauer und Menge des Niederschlags waren unglaublich. Ich habe Autos wegschwimmen sehen. Laut Wetterkarte war das Phänomen bis runter nach Athen so heftig. Ich habe noch keine weiteren Berichte gesehen, aber wenn das so war, dürfte die Ernte gelitten haben. Schlecht in der derzeitigen Situation.

12:23 Uhr: Am Montag wollten nur ganze 20 Passagiere auf die West-Kykladen. Das berühmte Inselhopping ist erstmal Vergangenheit.

16:12 Uhr: Geschäfte, die online-Bezahlung erfordern (via Kreditkarte) sind seit heute für Kunden griechischer Banken nicht mehr möglich. Der AppStore bleibt geschlossen, Ryanair-Tickets gibt es nur noch gegen Cash am Schalter.

16:54 Uhr: Ein riesiges Banner hängt am Finanzministerium. Werbung für ein „Nein“ am Referendums-Tag. Varoufakis twittert: „Not in my name.“ Waren angeblich Aktivisten irgendwelcher Gewerkschaften.

17:07 Uhr: Ein US-Reiseveranstalter soll angeblich griechische Hoteliers nicht bezahlen mit dem Hinweis, man wisse ja nicht, ob das Geld auch ankomme oder blockiert bleibe. Nun ist das ja eigentlich nicht das Problem des Reiseveranstalters, und wenn er gezahlt hat, hat er gezahlt, vielleicht auch ne Ausrede. Aber jetzt geht das Firmensterben erst richtig los. Mann, wo soll das noch enden?

17:00 Uhr: Mehr als 50 Prozent aller Privatkredite sind mittlerweile notleidend. Und die Banken wehren sich mit Händen und Füßen gegen das „Einsammeln“ von Immobilien. Die sind nämlich quasi wertlos. Habe einen Bekannten, der in der „Verwertungsabteilung“ der Piräusbank arbeitet. Der meinte: Wir nehmen quasi alles, aber eben keine Immos.

17:37 Uhr: Lidl-Griechenland akzeptiert keine Karten griechischer Banken mehr.

18:01 Uhr: Eben schrieb mir eine Bekannte auf Facebook, die derzeit in Kanada ist: Ihr Mann sollte morgen mit Skygreece (Griechische Linie) nachkommen. Erhielt Anruf: Da der Flieger derzeit in Budapest steht und man das Geld nicht schicken kann, um ihn zu betanken, bleibt er am Boden. Vielleicht Freitag dann ....

18:18 Uhr: Am Abend wurde die Grenze für Abhebungen von 60 Euro auf 50 Euro reduziert - weil die 10er und 20er Euroscheine alle sind.
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© Alexandros Avramidis/Reuters
20:19 Uhr: Warum zeigt man weinende, hungernde Alte erst jetzt in der Tagesschau? Ich hätte der ARD solche schon vor Jahren zeigen können. Aber da gab es die ja nicht, da gab es nur faule, ouzosaufende, prassende Griechen.

Hätte man schon vor Jahren gezeigt, in welch bittere Armut und Verzweiflung u.a die Politik der Troika weite Teile der Bevölkerung gestürzt hat, so würde man heute besser verstehen, warum so viele Menschen am Sonntag wohl mit „Nein“ stimmen werden.

Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 01.07.2015