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© EPA/YURI KOCHETKOV/DPAMonopol. Seit dem Aus für die Spaceshuttles sind die russischen "Sojus"-Raumschiffe die einzige Möglichkeit, um Astronauten zur Internationalen Raumstation zu bringen. Das Bild zeigt den jüngsten Start am 23. Juli vom Kosmodrom Baikonur.
Der erste Satellit im All, der erste Mensch in einer Umlaufbahn, ein zuverlässiges Raumschiff, das seit Jahren Astronauten zur Internationalen Raumstation (ISS) bringt. Russland hat eine große Tradition in der Raumfahrt, doch seit einiger Zeit häufen sich die Pannen. Dazu gehören Fehlstarts der „Proton“-Schwerlastrakete oder erst im April ein fehlgeleiteter Frachter, der Lebensmittel und Experimente nicht wie geplant zur ISS bringt, sondern zur Erde zurücktaumelt und in der Atmosphäre verglüht.

Raumfahrtagentur wird mit allen wichtigen Akteuren der Branche zusammengeführt

Russlands Raumfahrt steckt in der Krise. Mit einem Reformpaket, das Präsident Wladimir Putin nun unterzeichnet hat, soll die einstige Vorzeigebranche wieder flottgemacht werden, um im internationalen Wettbewerb konkurrieren zu können. Es ist ein gravierender Einschnitt: Die Raumfahrtagentur Roskosmos soll mit allen wichtigen Akteuren der Branche zusammengeführt und damit die Zentralisierung vorangetrieben werden.

Die US-Raumfahrt sei neunmal effektiver als die russische, rechnet Rogosin vor

Komarow zufolge wird es fünf bis zehn Jahre dauern, um die Reform umzusetzen. Zunächst hätten Putin und die Regierung die schnelle Zentralisierung von mehr als 80 Unternehmen, Konstruktionsbüros und wissenschaftlichen Forschungsinstituten angewiesen. Im nächsten Schritt sollen Public-Private-Partnerships eingeführt und die Kommerzialisierung erhöht werden. Das rief bereits einige Kritiker auf den Plan, die einen „Ausverkauf“ der Raumfahrt an den Privatsektor befürchten.

In der Reformdebatte hatte der für das Militär und die Raumfahrt zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin schonungslos die Ausgangslage skizziert. Die US-Raumfahrt sei neunmal effektiver als die russische, sagte er. So habe das US-Unternehmen „Orbital Sciences“ mit 1300 Mitarbeitern 13-mal weniger Beschäftigte als der russische Chrunitschew-Konzern, der beispielsweise die schweren „Proton“-Raketen baut. Die Jahresleistung je Mitarbeiter indes liege bei der US-Firma mit fast 414 000 Dollar unvergleichlich höher. Wenn sich diese Situation nicht ändere, würden die Starts mit russischen Trägerraketen bald teurer sein als bei der westlichen Konkurrenz, warnte Rogosin. Derzeit entfielen noch mehr als 40 Prozent der weltweiten Starts auf russische Raketen. Doch damit könne es sehr bald vorbei sein.

Akuter Fachkräftemangel

Der Vizepremier benannte auch den Grund für die Misere. Die Arbeiter bei Chrunitschew verdienten gerade einmal 25 000 Rubel (rund 400 Euro) im Monat. Wenn dieser Lohn nicht angehoben werde, „werden wir keine Qualität bekommen“, fügte er unter Anspielung auf die sieben Havarien mit Protonraketen aus dem Konzern in den vergangenen fünf Jahren hinzu. In der Tat: Wegen der schlechten Bezahlung und des veralteten Maschinenparks herrscht akuter Fachkräftemangel. Der Bedarf wird auf 10 000 pro Jahr geschätzt. Keiner will heute mehr an Raketen und Raumschiffen schrauben, die nahezu unverändert seit Jahrzehnten gebaut werden. Zudem mangelt es an einem effektiven Qualitätsmanagement.

Die westlichen Sanktionen wegen der Ukrainekrise machen den Russen zusätzlich schwer zu schaffen. Besonders hart trifft sie das Exportverbot von weltraumtauglicher Mikroelektronik, mit der sie sich bisher zu rund 90 Prozent im Westen eingedeckt haben. Bauteile aus der Ukraine machen zwar nur einen kleinen Anteil aus. Wie das britische Royal United Services Institute for Defence and Technology Studies jedoch kürzlich berichtete, sind einige davon „lebenswichtig“. Nun soll im Land Ersatz geschaffen werden, was jedoch Jahre dauern wird. Zwischenzeitlich werden diese Teile jetzt aus China eingeführt, um vor allem die Satellitenproduktion aufrechterhalten zu können.

Mehr Kooperationen mit den Brics-Staaten

Bei internationalen Kooperationen, beispielsweise in der Erdbeobachtung, funktioniert die Zusammenarbeit mit der europäischen Weltraumorganisation Esa oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) weiter reibungslos, heißt es von beiden Seiten. Anders verhält es sich mit den USA. Mit Ausnahme der Raumstation ISS - wo Russland derzeit das einzige Land im Bunde ist, das Astronauten dorthin fliegen kann - haben die Amerikaner alle weiteren Raumfahrtkooperationen gekündigt.

Putin arbeitet nun an einer neuen Weltraumallianz mit den anderen Brics-Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika. Zwar wollten die ihm beim jüngsten Gipfel Anfang Juli in Ufa noch keine Zusage für eine Beteiligung an einer neuen Raumstation unter russischer Führung machen. Sie erklärten jedoch, künftig bei der Anwendung von Weltraumtechnik enger zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Satellitennavigation und bei den Weltraumwissenschaften.

70 Millionen Dollar für einen Sitzplatz in "Sojus"

Der Grund für die weitere ISS-Zusammenarbeit der Amerikaner mit Russland ist allerdings nicht ganz uneigennützig: Seit dem Ende der Shuttleära vor vier Jahren sind die Amerikaner voll auf die Taxidienste der Russen zur und von der Station angewiesen, die sich das mit rund 70 Millionen Dollar pro Sitzplatz honorieren lassen. Frühestens Ende 2017 kann wieder ein bemanntes und diesmal privates US-Raumschiff den Erdaußenposten ansteuern. Wohl auch deshalb hat Präsident Barack Obama seinem russischen Kollegen Putin während eines Telefonats zur Beilegung der Irankrise auch zum 40. Jahrestag des „Sojus-Apollo-Test-Projekts“ gratuliert. Dabei hatten sich im Juli 1975 amerikanische Astronauten und russische Kosmonauten im All getroffen und einander die Hände geschüttelt. Dieses Symbol, mitten im Kalten Krieg, war die Grundlage für den Aufbau der ISS.