Kamelmilch soll gegen Allergien und Diabetes, sogar gegen Krebs und Aids wirken. Nach langwierigen Verhandlungen hat Brüssel den EU-Markt für Kamelmilchprodukte geöffnet. Doch ist das weiße Gold der Wüste wirklich ein Allheilmittel?
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Jahrelang haben die arabischen Produzenten von Kamelmilch auf die Öffnung des europäischen Marktes gewartet, jetzt ist es endlich soweit: Nach langwierigen Verhandlungen dürfen erstmals Unternehmen aus dem Mittleren Osten ihre Produkte nach Europa exportieren. Die strengen Seuchenschutzbestimmungen der EU ließen zuvor die Einführung von Kamelmilchprodukten nicht zu.

Nun drängt eine Firma aus Dubai auf den Markt: Die ersten Ladungen mit dem sogenannten weißen Gold der Wüste wurden kürzlich in Richtung Europa verschifft. Sie sollen zunächst Partnerfirmen aus der Pharma- und Kosmetikindustrie versorgen. Aber auch Unternehmen aus der Nahrungsergänzungsmittel-Branche in Dänemark, Norwegen und den Niederlanden sollen mit Rohmaterial zur Erforschung der Eigenschaften und Anwendungsgebiete für Kamelmilch beliefert werden.

Der Exporteur The Emirates Industry for Camel Milk & Products (EICMP) sieht großes Potential auf dem europäischen Markt, etwa für Vorzugsmilch, Rohmilch, Milch- und Molkepulver, aber auch für Eiscreme und Schokolade.

Besser verträglich - auch für Allergiker?

Aber auch in anderen Bereichen sollen nun europäische Konsumenten von den positiven Eigenschaften der Milch profitieren, auf die Wüstenbewohner schon seit mehr als 3000 Jahren schwören: Kamelmilch ist äußerst nahrhaft, sie enthält fünfmal so viel Vitamin C, dafür kaum Zucker und ist nur halb so fett wie Kuhmilch. Außerdem fehlen ihr die Eiweiße Beta-Laktoglubolin und Beta-Kasein, die eine Milcheiweißallergie auslösen können. Auch für Menschen mit einer Laktoseintoleranz soll sie besser verdaulich sein.

Doch Vorsicht vor allzu hohen Erwartungen ist geboten. Auf der sicheren Seite seien Milchallergiker keinesfalls, meint Margitta Worm vom Allergie-Centrum-Charité in Berlin. "Auch Kamelmilch enthält Allergene, die über die Kreuzreaktivität zu den Kaseinen bei Kuhmilchallergikern Reaktionen auslösen können", sagt die Professorin. Zwar gebe es Studien, die darauf hinweisen, dass solche Reaktionen weniger oft vorkommen als etwa bei Ziegenmilch. Dennoch gelte: "Wenn jemand auf Kuhmilch allergisch reagiert, ist auch Kamelmilch nicht sicher."


Kommentar: Andere Untersuchungen scheinen dies zu widerlegen und besonders, dass Kamelmilch die bekannten Allergene nicht enthält oder diese nicht so reaktiv sind, wie das zum Beispiel bei Kasein der Fall ist:
  • Ist Milch wirklich ungesund? - Allergien durch Kasein und Suchtgefahr



Große Heils- und Linderungsversprechen

Glaubt man den diversen vorliegenden Studien und den euphorischen Konsumentenberichten, ist Kamelmilch fast ein Wundermittel. Die Bandbreite der möglichen Anwendungen ist dabei enorm groß. Linderung und Heilung wird nicht nur bei Laktoseintoleranz und anderen Lebensmittelallergien versprochen. Auch bei Gallensteinerkrankungen, Gastritis, Leberzirrhose und Hepatitis, Speiseröhrenentzündungen, Duodenitis und anderen entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Collitis soll sie helfen. Sogar Neurodermitis, Tuberkulose und Krebs sollen - wenn nicht geheilt - so zumindest gelindert werden.


Kommentar: Kamelmilch steht damit in Verbindung - im Gegensatz zu normaler Milch - keinen Autismus zu verursachen, was schon ein riesiger Pluspunkt wäre.


Der hohe Vitamin-C-Gehalt sowie die hohe Anzahl von Immunglobulinen und antibakteriell wirkenden Enzymen in der Kamelmilch könnten zwar im besten Fall eine allgemeine Stärkung des Immunsystems erklären. Doch geht das Heilpotential der Kamelmilch auch tatsächlich darüber hinaus?

Um die Wirkung des Beduinengetränks zu belegen, wird besonders gern eine israelische Studie der Ben-Gurion-Universität des Negev in Beer Sheba aus dem Jahr 2005 zitiert. Dort wurde acht Kindern, die unter schwerer Kuhmilchallergie litten, Kamelmilch verabreicht. Nach vier Tagen waren angeblich alle Allergiesymptome verschwunden. Ein Wunder? Eine weitere Studie vom Kamelforschungsinstitut im indischen Bikaner soll beweisen, dass die Gabe von Kamelmilch Diabetes-Typ-1-Patienten hilft, ihre Insulindosen drastisch zu reduzieren. Die Mediziner erklären dies mit der großen Menge zuckersenkender Stoffe in der Milch, die nicht durch die Magensäure zersetzt werden. Eine Sensation?

Umfassende Studien fehlen

Die klare Antwort lautet: nein. Einige der Forschungsergebnisse, die die positive Wirkung der Kamelmilch belegen sollen, seien das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, meint der Berliner Allergieexperte Jörg Kleine-Tebbe vom Allergie- und Asthma-Zentrum Westend. Die positiven Resultate mancher Forscher seien daher mit großer Skepsis zu betrachten. Es fehlten vor allem umfassende klinische Studien zum Thema. Auch die enorme Breite an Anwendungsmöglichkeiten und die Vielzahl an Heilsversprechen machten misstrauisch. "Man kann da wohl schon fast von einem Hype sprechen", so Kleine-Tebbe, "die Kamelmilch scheint eine aktive Lobby zu haben."


Kommentar: Und es gibt auch eine Lobby, die die Kuhmilch nicht in Gefahr sehen möchte.


Solange diese klinischen Studien nicht existieren, bleiben die Kamelmilchprodukte wohl nicht mehr als eine exotische Bereicherung des europäischen Lebensmittelmarktes. Der Rohstofflieferant aus Dubai vertreibt unter dem Label Camelicious auch Milchmixgetränke, Schokolade und Eiscreme aus Kamelmilch. Ihr salziger Geschmack und ihre cremige Konsistenz sind vielleicht nicht jedermanns Sache, doch zumindest schaden sie nicht der Gesundheit.