In diesem Jahr erlebten wir in Hessen und in ganz Norddeutschland Bodenfrost mitten im Juni. Wenige Tage zuvor war es hier noch schwül-warm. Kaum war der Kälteeinbruch vorüber, strömten heiße Luftmassen aus der Sahara nach West- und Mitteleuropa und brachten uns schon im Frühsommer eine Hitzewelle mit Rekord-Temperaturen. Kaum hatte sich die Warmluft Richtung Osteuropa verzogen, wurde aus der Eifel schon wieder Bodenfrost gemeldet. Für die Älteren unter uns, die noch mit alten Bauernregeln vertraut sind, sind solche Temperaturstürze im Frühsommer nichts Ungewöhnliches. Sie haben sogar einen festen Namen: „Schafskälte“. Denn um diese Zeit des Jahres stehen die Schafe frisch geschoren auf der Weide.
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Sinkt die Temperatur dann nachts unter den Gefrierpunkt, kann ihnen das das Leben kosten. Als ich in den 1970er Jahren am Rand der Vogesen wohnte, habe ich selbst erlebt, wie ein Schäfer auf diese Weise fast seine ganze Herde einbüßte. Bis zur Jahrtausendwende ist mir danach dergleichen aber nicht mehr zu Ohren gekommen. Neuerdings scheinen solche Ereignisse aber wieder öfter aufzutreten. Was steckt dahinter?

Der leider viel zu früh verstorbene französische Klimatologe Marcel Leroux (1938 bis 2008) hat für solche plötzlichen Kaltlufteinbrüche, die bis in subtropische, ja sogar tropische Breiten reichen können, den noch immer umstrittenen Begriff Mobile Polar High (MPH) geprägt. Ihm waren diese Kaltlufteinbrüche aufgefallen, als er in Zusammenarbeit mit der World Meteorological Organisation (WMO) einen zweibändigen Klimaatlas Afrikas erarbeitete, den er in Frankreich als Habilitationsschift (Thèse détat) einreichte. Leroux verstand unter einem MPH eine flache, am Boden kriechende linsenförmige dichte Kaltluftmasse mit maximal 1.500 Meter Dicke und 2 bis 3.000 Kilometer Breite, die sich infolge der Erdrotation vom polaren Kältehoch löst und auf der Nordhalbkugel nach Südosten wandert. Auf ihrem Weg verdrängt die Kaltluftlinse warme Luft. Diese steigt zum Teil auf und bildet Gewitter. Sie kann aber auch Richtung Nordost entweichen. Deshalb bilden sich auf dieser Seite des Kältehochs immer sekundäre Tiefdruckgebiete. Fließen mehrere von Labrador und Grönland über den Nordatlantik herunter ziehende kleine Kältehochs zusammen, entstehen große Hochdruckgebiete wie das bekannte „Azorenhoch“, das es nach Leroux als eigenständige Wesenheit aber gar nicht gibt.

Marcel Leroux hat später als Professor an der Universität Jean Moulin in Lyon mithilfe von Satellitenaufnahmen den Weg unzähliger MPHs analysiert und dabei festgestellt, dass sie Gebirgszüge über 1.000 Meter Höhe nicht überqueren können. Deshalb folgen sie über den Kontinenten den vorhandenen Ebenen und Tälern. Der in Nordafrika aufgewachsene Bretone hat sich besonders intensiv dem Phänomen des Mistralwindes im Rhônetal gewidmet. Zeigt sich über der Bretagne oder der Normandie ein MPH, so wird bald darauf im Rhônetal der Mistral blasen, denn die nach Südosten ziehende Kaltluftmasse muss sich zwischen dem Zentralmassiv (bis zu 1885 Meter hoch) und den Alpen (über 4.000 Meter hoch) hindurchquetschen. Wie in einem Trichter entstehen dabei Turbulenzen, stehende Wellen, die sich am Boden in Form heftiger Windböen bemerkbar machen.

Leroux sah in der seit dem Ende der 1970er Jahre zunehmenden Frequenz der Mistralwinde ein untrügliches Zeichen für eine beginnende Abkühlung der Erde. Nach seiner Vorstellung gibt es auf jeder Hemisphäre der Erde drei relativ selbständige atmosphärische Zirkulationseinheiten, die von Gebirgszügen über 2.000 Meter begrenzt werden. Die Motoren dieser Zirkulation sind die MPHs und damit das wachsende thermische Defizit an den Polen. Marcel Leroux ist deswegen von Anhängern der dominierenden synoptischen Schule der Meteorologie zum Scharlatan erklärt worden. Angetrieben wird die Luftzirkulation nach der Schul-Meteorologie nicht von polarer Kaltluft, sondern von den so genannten Hadley-Zellen der im Tropengürtel aufsteigenden Warmluft und den dabei entstehenden Tiefdruckgebieten. Die aufgestiegene Warmluft wird von der Erdrotation abgelenkt und sinkt in den so genannten Rossbreiten in Form trockener Fallwinde (Passat) wieder zu Boden. Diese Dynamik soll auch das Wetter im Westwindband höherer Breiten bis hinauf zur Arktis stark beeinflussen.

Der emeritierte kanadische Klimatologe Tim Ball, wie Leroux als „Klimaskeptiker“ bekannt, sieht in den von Leroux in den Vordergrund gerückten MPHs lediglich einen anderen Ausdruck für die in der amerikanischen Luftmassen-Typologie längst als „continental arctic air“ (cA) bekannten Einbrüche trockener arktischer Kaltluft. Solche Einbrüche haben den USA in den letzten Wintern mehrere extreme Kältewellen und katastrophale Schneefälle an der Grenze zwischen arktischer Kaltluft und subtropischer Warmluft beschert. Ball weist darauf hin, dass sich diese wellenförmige Luftmassengrenze in den letzten Jahren nach Süden verschoben hat. Über dieser Luftmassengrenze weht zickzackförmig in großer Höhe der so genannte Jet Stream. Es habe sich ein so genanntes meridionales Zirkulationsmuster herausgebildet. Die Amplituden der Wellen seien größer geworden. Das heißt Kaltluft kann immer weiter nach Süden vorstoßen. Andererseits kann aber auch Warmluft in der Gegenbewegung weiter nach Norden gelangen.

Dadurch erklärten sich sowohl die häufiger werdenden Kältewellen als auch extreme Hitzewellen wie die im Sommer 2010 in Russland, der nicht zufällig im Winter 2010/2011 im gleichen Gebiet eine ebenso extreme Kältewelle folgte. „Im historischen Rückblick“, so Tim Ball, „sehen wir, dass dieses Muster immer einer Abkühlung der Erde vorausgeht.“ Der Abkühlungsprozess setze auf der Südhalbkugel etwa zehn Jahre früher ein. Das zeigt sich gerade in diesem Jahr. Mitte Juli lag die australische Ostküste bis hoch nach South Queensland unter einer geschlossenen Schneedecke. Gleichzeitig hat die Ausdehnung des Antarktis-Eises in diesem Jahr, wie bei EIKE bereits gemeldet, einen Rekordwert erreicht. „Ich gehe davon aus, dass der Abkühlungsprozess mindestens bis zum Jahre 2040 anhält und schließe nicht aus, dass dabei Temperaturen erreicht werden wie in der so genannten Kleinen Eiszeit, als im Jahre 1683 auf der drei Fuß dick zugefrorenen Themse Jahrmärkte abgehalten wurden“, erklärt Tim Ball. Er weist im gleichen Atemzug darauf hin, dass die beobachtbare Häufung von Extremwetter nicht mit einer Zunahme der Zahl der Wirbelstürme einhergeht: „Actually, the number of tornadoes is dramatically down. The number of hurrcanes, particularly the ones coming ashore in the U.S. is significantly down.” Der “Weltklima-Rat” IPCC hatte das genaue Gegenteil prophezeit.