Forscher stellen erste Version eines umfassenden Stammbaums aller Arten vor
Stammbaum des Lebens
© Zernliew/ thinkstockStammbaum des Lebens - wie er wirklich aussieht, das beginnen die Forscher erst jetzt zusammenzufügen
Forscher haben erstmals einen Stammbaum des Lebens für rund 2,3 Millionen bekannte Arten zusammengestellt. Sie kombinierten dafür zehntausende einzelner Stammbaumäste zu einem großen Überblick über die Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroben. Noch allerdings zeigt dieser erste Entwurf eines Gesamt-Stammbaums nicht nur, was wir bereits wissen, er enthüllt auch viele noch "dunkle", wenig erforschte Teile und auch einige Diskrepanzen, wie die Forscher berichten.

Stammbäume und phylogenetische Studien für einzelne Tiergruppen wie die Vögel, für Pflanzen oder Mikroben gibt es bereits reichlich. Einige umfassen immerhin mehr als 100.000 einzelne Arten und ihre Verwandtschaften. Doch so detailreich diese Ausschnitte aus dem Baum des Lebens waren, so wenig einheitlich und unübersichtlich blieb das Gesamtbild bisher.

2,3 Millionen Astspitzen

In einem mehr als drei Jahre dauernden Projekt schlossen sich daher Wissenschaftler von elf Forschungseinrichtungen zusammen, um endlich einen Stammbaum des großen Ganzen zu erstellen. Dafür sichteten sie tausende von digital verfügbaren einzelnen Stambaum-"Ästen" und fügten schließlich knapp 500 davon zu der ersten vorläufigen Version des Baums des Lebens zusammen.

"Dies ist der erste echte Versuch, die Punkte zu verbinden und alles zusammenzufügen", erklärt Projektleiterin Karen Cranston von der Duke University. "Man könnte es als die Version 1.0 bezeichnen. Der resultierende Gesamtstammbaum besitzt rund 2,3 Millionen Astspitzen - und repräsentiert damit die phylogenetischen Beziehungen von ebenso vielen heute lebenden Arten.

Viele Lücken und Unstimmigkeiten

Der neue Baum des Lebens ist damit allerdings noch weit davon entfernt vollständig zu sein, wie die Forscher betonen. So sind einige Äste des großen Stammbaums, vor allem bei den Insekten, Pilzen und Mikroben, ziemlich mager bestückt - die Forscher bezeichnen sie als die "dunklen Teile des Baumes". Andere Äste weichen von der gängigen Phylogenie ab oder zeigen sich widersprechende Interpretationen auf.

So ist bisher beispielsweise umstritten, ob die Archaeen eine eigene, monophyletische Gruppe und damit das dritte große Reich des Lebens bilden oder ob sie gemeinsam mit den zellkern-tragenden Eukaryoten in einen großen Ast gehören. Auch auf die Frage, wann genau sich die Tiere von den anderen Gruppen trennten oder wo genau der Ursprung der Eukaryoten liegt, gibt es bisher keine eindeutige Antwort - und das wird an einem solchen Gesamtbaum sichtbar.

Gendaten erst für fünf Prozent aller Arten

"So wichtig es ist, den aktuellen Wissensstand darzustellen, dieser erste Baum des Lebens ist auch wichtig um zu enthüllen, was wir alles noch nicht wissen", sagt Koautor Douglas Soltis von der University of Florida. So fehlen bisher für viele Arten genetische Daten, die ihre Einordnung in den Stammbaum des Lebens erleichtern würden. Selbst die großen Datenbanken für Gensequenzen enthalten bisher weniger als fünf Prozent aller Lebewesen, die auf unserem Planeten existieren.

Andere Daten sind zwar vorhanden, aber nicht online. Dadurch konnten die Forscher in dieser ersten Version nur rund eine von sechs phylogenetischen Studien berücksichtigen. "Es gibt eine ziemlich große Lücke zwischen dem, was Wissenschaftler über die lebenden Organismen und ihre Verwandtschaftsverhältnisse wissen und dem, was digital verfügbar ist", erklärt Cranston.

Helfen soll nun eine neu entwickelte Software, die Forschern aus aller Welt das Editieren des Stammbaums auf Basis neuer Daten erleichtert - ähnlich einer Art Wikipedia für Stammbaumdaten.

"Es ist entscheidend wichtig, Daten von bereits veröffentlichten und künftig erscheinenden Arbeiten zu teilen, damit wir den Stammbaum verbessern und vervollständigen können", sagt Cranston.

Praktischer Nutzen

Denn das Wissen über den Stammbaum des Lebens ist nicht nur ein wichtiger Beitrag dazu, unseren Planeten und die Geschichte seiner Bewohner besser kennenzulernen. "Dieser zusammenfassende Baum wird grundlegende Forschung in die Natur der biologischen Vielfalt antreiben und letztlich wird dies auch Anwendungen in der vergleichenden Biologie, der Ökologie, dem Artenschutz, der Landwirtschaft und der Genomik fördern, so die Forscher.

Und der Baum des Lebens hat auch ganz handfeste praktische Vorteile, wie die Wissenschaftler betonen. Wenn man versteht, wie die Millionen von Arten miteinander verwandt sind, dann kann dies dazu beitragen, neue Heilmittel zu finden, Nutzpflanzen zu verbessern oder den Ursprung von Infektionskrankheiten wie Aids, Ebola oder die Grippe zurückzuverfolgen.

(Duke University, 21.09.2015 - NPO)