Alte Seuche: Der Erreger der Pest sprang schon vor rund 4.800 Jahren auf Menschen über - die ältesten bekannten Pestfälle sind damit 3.300 Jahre älter als bisher gedacht. Zahnproben aus der Bronzezeit brachten Forscher auf die Spur der Pestbakterien, die damals jedoch noch nicht den "Schwarzen Tod" brachten. Die Geschichte des berüchtigten Erregers zu kennen soll auch beim Verständnis anderer Krankheitsepidemien helfen, schreiben die Forscher im Magazin "Cell".

Bronzezeitlicher Schädel aus Zentralasien, an dem die Forscher Spuren des Pesterregers Yersinia pestis fanden.
© Rasmussen et al./Cell 2015Bronzezeitlicher Schädel aus Zentralasien, an dem die Forscher Spuren des Pesterregers Yersinia pestis fanden.
Im Mittelalter versetzte der "Schwarze Tod" Europa in Angst und Schrecken und entvölkerte ganze Landstriche: Die Pest tötete mindestens ein Drittel der Bevölkerung in Europa, möglicherweise sogar die Hälfte. Auch früher schon sorgte die Seuche für Angst und Schrecken: Im sechsten Jahrhundert wütete die sogenannte Justinianische Pest, und auch danach kam es immer wieder zu Ausbrüchen. Der Erreger, das Bakterium Yersinia pestis, verursachte auch in neuerer Zeit eine Pandemie, die in den 1850er Jahren ihren Ursprung in China hatte.

Schwierige Identifikation bei frühen Epidemien

Dieses Bakterium befiel ursprünglich nur Tiere, wie etwa den Rattenfloh, von dem es übertragen wird. Möglicherweise existiert Y. pestis schon seit über 20 Millionen Jahren. Doch wann der Erreger das erste Mal auf Menschen übersprang, ist unbekannt. Frühe Pestausbrüche lassen sich nur schwer eindeutig einem Erreger zuordnen. Mit molekulargenetischen Methoden lässt sich mittlerweile das Erbgut von Y. pestis in den Überresten von Pestopfern nachweisen. Doch kein menschliches Skelett, in denen das Pestbakterium bisher nachgewiesen wurde, ist älter als 1.500 Jahre.

Deshalb ist strittig, ob Y. pestis etwa die Attische Seuche auslöste, die vor 2.500 Jahren in Athen umging. Ebenso wenig geklärt ist die Ursache für die Antoninische Pest - eine Pandemie, die im 2. Jahrhundert nahezu im ganzen Römischen Reich herrschte. Experten glauben, dass es sich bei der Seuche wahrscheinlich eher um eine besonders aggressive Form der Pocken oder der Masern gehandelt haben könnte.

Flucht vor der Pest in der Antike?

Oder war der Pesterreger doch schon damals in der menschlichen Bevölkerung verbreitet? Diese Frage stellten sich die Forscher um Simon Rasmussen von Dänemarks Technischer Universität in Kopenhagen, nachdem sie für eine Studie das Genom von Europäern und Asiaten aus dem Bronzezeitalter sequenziert hatten. Der Blick ins Erbgut offenbarte: Es muss damals ausgeprägte Migrationsbewegungen gegeben haben. Doch was war der Grund? Die Forscher glaubten, die Menschen könnten vor Epidemien geflohen sein - womöglich gar vor der Pest.


Kommentar: Seuchen sind nur eine der Möglichkeiten, die Menschen dazu bringen kann, mit Sack und Pack zu migrieren. Wie wir aktuell sehen können, können Migrationsbewegungen auch durch andere Gründe wie Kriege oder auch Erdveränderungen ausgelöst werden.


Grabstätte aus der Bronzezeit. Das Skelett trägt Spuren von Y. pestis
© Harri MooraGrabstätte aus der Bronzezeit. Das Skelett trägt Spuren von Y. pestis
Um diese Vermutung zu überprüfen, haben die Wissenschaftler nun das Erbgut von insgesamt 101 Menschen aus Eurasien analysiert. Es entstammt Zahnproben, die auf das Bronzezeitalter datiert werden. Tatsächlich fanden die Forscher DNA von Yersinia pestis in den Überresten von sieben Individuen - sie lebten zwischen 2794 und 951 v. Chr. Die jüngste dieser Proben mit Pestspuren ordnet das Team schon nicht mehr der Bronze- sondern der frühen Eisenzeit zu.

Bronzezeit-Pest war noch kein Killer

Die DNA des prähistorischen Pestbakteriums ermöglicht spannende Einblicke in die Evolution des Erregers: Nach den neuen Erkenntnissen ist der letzte gemeinsame Vorfahre aller Y. pestis-Stämme 5.783 Jahre alt und entstand den Forschern zufolge damit 2.000 Jahre früher als bisher angenommen.

Außerdem zeigen die Analysen, dass der Pesterreger in der Bronzezeit zwar schon Menschen infizierte - doch noch weit davon entfernt war, ein aggressiver Killer und Auslöser grauenhafter Pandemien zu sein. Ihm fehlte nämlich das Gen für ein entscheidendes Enzym, das Yersinia murine Toxin. Dieses ermöglicht dem Bakterium, im Verdauungstrakt von Flöhen zu überleben und sich dort zu vermehren. Nur mit dieser Fähigkeit kann der Erreger die Insekten als schnelle und effektive Überträger nutzen - erst damit ist er in der Lage, explosionsartige Epidemien wie den Schwarzen Tod im Mittelalter auszulösen.

Tödliche Seuche erst seit der Eisenzeit

Der Übertragungsweg über Flöhe ist typisch für die berüchtigte Beulenpest, die von Ratten über die Insekten auf den Menschen übergeht. Die frühe Form von Y. pestis kann deshalb laut den Wissenschaftlern lediglich die sogenannte Lungenpest und die Pestsepsis verursacht haben. In der Probe aus der frühen Eisenzeit war das Gen für dieses Enzym dagegen vorhanden. Demnach hat die Pest etwa im 1. Jahrtausend vor Christus ihre fatale Infektionskraft erworben.

Auch eine weitere Eigenschaft hat der Erreger offensichtlich erst im Laufe der Zeit entwickelt: Heutige Bakterienstämme entziehen sich dem Immunsystem von Säugern mithilfe eines Tricks. Sie unterdrücken die Entstehung eines typischen Merkmals, an dem das Immunsystem Bakterien normalerweise als Feind erkennt: ein Protein namens Flagellin. In den zwei ältesten Proben aus der Bronzezeit fanden die Forscher dieses Protein noch im Erbgut des Pesterregers.
Nützliche Lehren für die Gegenwart

Lernen für die Zukunft

"Wir haben durch unsere Studie ein verbessertes geschichtliches Verständnis von dem für die Menschheit so bedeutsamen Erreger erlangt", schließt Studienautor Rasmussen. "Und unsere Erkenntnisse machen es tatsächlich möglich, dass Seuchen wie die Antoninische Plage durch Y. pestis verursacht worden sein könnten."

In Zukunft wollen die Forscher nach Hinweisen auf das Pestbakterium auch in menschlichen Überresten aus anderen Teilen der Erde suchen, um noch mehr über seine Entwicklung zu erfahren. "Wenn wir die Mechanismen verstehen, die die Evolution von Y. pestis vorangetrieben haben, hilft uns das auch heute", sagt Rasmussen. "Wir können davon lernen, wie in Zukunft für den Menschen gefährliche Erreger entstehen oder wie sie erhöhte Ansteckungskraft entwickeln könnten."

(Cell, 2015; doi: 10.1016/j.cell.2015.10.009) (Cell Press, 23.10.2015 - DAL)