ZDFneo inszeniert in der Realityshow "Plötzlich Krieg?" das Entstehen einer Konfliktsituation. Aggressionen werden geschürt, Feindbilder zementiert - aber auch die Belanglosigkeit der Sendung entlarvt. Ein gescheitertes Experiment.
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© ZDF/ Thomas Ernst
Als der Maschinenführer Sven aus Seevetal-Meckelfeld nach der "Wasserschlacht" grundlos die Kellnerin Cindy aus Mockrehna anrempelt, kann Christopher Lesko zufrieden sein. Der Coach und Experimentleiter wollte das so. Einen Konflikt heraufbeschwören. Aufhetzen - mit allen Mitteln. Doch jetzt ist selbst er, der mit verzerrter Stimme Anweisungen durch ein Mikrofon sprechen darf, machtlos. Der Versuch hat seine eigene Dynamik entwickelt, längst rollt der Stein - und dafür musste nicht einmal viel passieren.

Zwölf sich unbekannte Menschen wurden zuvor in zwei ähnlich zusammengestellte Gruppen aufgeteilt und in ein Camp gebracht. Hier wird das "Social Factual" also stattfinden, so nennt ZDFneo, das Experimentierprogramm der Mainzer Anstalt, dieses wissenschaftliche TV-Experiment, das Konflikte und Kriege abbilden und diese im Spiel zu Ende denken soll. Feindseligkeiten werden forciert und Emotionen entfacht - bis zur Eskalation, bis zum Krieg.

Die Teilnehmer an "Plötzlich Krieg? Ein Experiment" sollen von all dem nichts hören, sehen und ahnen. Nicht einmal wissen, dass es da noch ein anderes Team gibt. Und das tun sie auch nicht; sie sitzen nur da, in ihren abgetrennten Bereichen, werden von Kameras beobachtet ("Das ist jetzt so'n bisschen 'Big Brother'-mäßig") und spekulieren in geselliger Runde über den Fortgang des Experiments.

Es soll um "Konfliktverhalten" gehen, hat man ihnen gesagt. Sie schlafen, scherzen und bis dahin ist es alles noch sinnlos und unspektakulär, für die Kandidaten wie für die Zuschauer. Nicht so für Christopher Lesko, den Trainer und Ausbilder für Gruppendynamik.

Für ihn ist es der Abschluss von Kriegsvoraussetzung eins, "Wir sind die Guten" und der Übergang zu Voraussetzung zwei, "Die da sind die Bösen". Über einen als Teilnehmer getarnten agent provocateur, den Lesko in die Teams eingeschleust hat, hält er Kontakt zu der Gruppe. In einer Kommunikationseinheit, die zunächst für eine Toilette gehalten wird, gibt er Anweisungen und steuert so die Gesprächsthemen. Lesko lässt die Teilnehmer wissen, dass sie Gegner haben. Ja, es gibt ein rotes Team und ein blaues Team. Alles klar, Konkurrenten. Feinde. Oh, das gibt Krieg!


Kommentar: Reale "Kriegsspiele" können tagtäglich im Fernsehen geschaut werden, da braucht es so eine Sendung nicht. Auf der anderen Seite kann bei dieser Sendung gesehen werden, wie leicht Menschen beeinflussbar sind und wie Geschehnisse auch in der politischen Welt bewusst durch agent provocateurs gelenkt werden.


Crescendo der plakativen Peinlichkeiten

Die wissenschaftliche Grundlage der Sendung, auf die sich die Macher berufen (und die sie ungewollt ins Lächerliche ziehen), ist das Robbers-Cave-Experiment von Muzaffer Sherif. Der türkische Sozialpsychologe hatte schon Anfang der Fünfzigerjahre festgestellt, dass sich zwei Gruppen gezielt gegeneinander aufbringen lassen. Er führte das Experiment allerdings mit Jungen von rund zwölf Jahren durch. Manipulierte, vereinte, zerbrach die Gruppen von innen heraus nach Belieben - und versöhnte sie schließlich wieder.

Aber von dem Experiment von 1954 ist bei ZDFneo wenig übrig geblieben. Obwohl doch die Kandidaten, körperlich erwachsen, ihr Bestes geben, um ihre geistige Reife zu kaschieren. Sei es durch übertriebenen Mitteilungsdrang ("Morgen früh gehe ich zum Kacken in den Wald"), oder Kampfgesängen, die im Kindergarten effektvoller vorgetragen werden ("Mit wem haben wir es zu tun? Muschis und Tussis!"). In einem solchen Crescendo der plakativen Peinlichkeiten verliert das spannendste aller Experimente an Bedeutung.

Ständig wird betont, wie risikoreich der Versuch und wie ungewiss sein Ausgang sei. Dabei entkräftet sich das Unterfangen schon deshalb selbst, weil man in der Schaltzentrale genau weiß, wo man am Ende ankommen will. Es wird gelenkt, reagiert, korrigiert und regiert: "Roger in die Kommunikationseinheit".

Besonders deutlich wird das nach einem vorgetäuschten Frühstücksraub. Team Rot glaubt, dass Team Blau nicht nur das ihnen zustehende, sondern auch das für die Gegner bestimmte Essen geklaut hat und lässt dies in einer Videobotschaft auch prompt so verlauten: "Fair play is over"!

Auf zum letzten Spiel: das Gemetzel!

Damit ist frei nach Lesko auch die dritte und letzte Voraussetzung für Krieg erreicht ("Die nehmen uns etwas weg"). Rot sinnt auf Rache. Von "Vernichtung" und einer "Schlacht" ist die Rede. Die Blauen empfinden indes eine "blanke Angst", die Patrick, einen Bachelorstudenten aus Berlin dazu treibt, das Konzept der Sendung zu hinterfragen. Endlich einer!

Warum sollte er weiter spielen? Wer kann bei diesem Verlauf des Experiments noch garantieren, dass niemand zu Schaden kommt? Das ZDF? Das glaubt keiner, schon gar nicht Teamkollege Cihat, der hat bereits eine Schulterverletzung.

Die Schaltzentrale wirkt über den Undercover-Agenten auf Patrick ein, weiterzumachen. Damit das Spiel weitergehen kann. Er lässt sich umstimmen, nicht der Gruppendynamik wegen, sondern um in der Rolle zu bleiben, die er in diesem Fernseh-Zirkus spielen will.

Er geht, genau wie alle andern auch, zum letzten Spiel, mit dem für das inzwischen erreichte Niveau einzig denkbaren Namen: das Gemetzel.

Für ein Sozialexperiment fehlt es "Plötzlich Krieg?" an Seriosität und für eine Spielshow fehlt der Unterhaltungsfaktor. So wabert die Sendung zwischen diesen zwei Fronten umher und bleibt immer konsequent dazwischen.

Denn nicht nur die Geschmacklosigkeiten der Kandidaten kulminieren, sondern auch die des Pseudo-Experiments selbst. Eben noch eine Art moderner Volkshochschulkurs in Psychologie, wird auf Kriegsszenen und Talibanvideos geschnitten, um dramatisch vereinfachend Bezüge zur Aktualität herbeizuzerren.

Doch in der Welt da draußen gibt es keine als Klo getarnte Kommunikationseinheit. Dieses Experiment hat sich nicht wie gewollt verselbstständigt, es hat sich gewaltig im Ton vergriffen.