Eine aktuelle internationale Studie zur Bereitschaft von Kindern untereinander zu teilen, kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Eine religiöse Erziehung führt bei den Kindern zu einer geringeren Bereitschaft zu teilen und erhöht die Akzeptanz strengerer Strafen für anti-soziales Verhalten. Damit stellt das Ergebnis die weitverbreitete Vorstellung der positiven Rolle von Religion für die moralische Entwicklung in Frage.
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Chicago (USA) - Wie die Forscher um den Psychologen Professor Jean Decety von der University of Chicago aktuell im Fachjournal Current Biology (DOI: 10.1016/j.cub.2015.09.056) berichten, untersuchten sie in ihrer Studie die Rolle der Religion für die moralische Entwicklung von 1.170 Kindern im Alter zwischen 5 und 12 in sechs Ländern (Kanada, China, Jordanien, Südafrika, Türkei und USA) und bewertete dabei, wie stark bei den Kindern die Tendenz zum Teilen (Altruismus), die Neigung zur Bewertung anderer und in wie weit auch die Neigung andere für schlechtes Verhalten zu bestrafen, ausgeprägt ist.

Wie sich zeigte, teilen religiös erzogene Kinder deutlich seltner mit anderen als Kinder aus nicht-religiöse geprägten Elternhäusern. Zudem zeigt die Untersuchung, dass eine religiöse Erziehung mit einer erhöhten Tendenz der Kinder zu strafenden Reaktionen angesichts anti-sozialen Verhaltens einhergeht.

Ebenso interessanterweise wie auch zu erwarten, widerspricht das Studienergebnis den Erwartungen der religiösen Eltern, die zuvor mehrheitlich davon ausgingen, dass ihre Kinder über einen erhöhten Grad von Empathie und Sensibilität gegenüber den Notlagen anderer verfügen.

„Unsere Ergebnisse widersprechen der populären Vorstellung, dass Kinder aus religiösen Haushalten altruistischer und netter zueinander sind als andere“, so Decety. „Unsere Studie zeigt hingegen, dass Kinder aus atheistischen und nicht-religiösen Familien tatsächlich freigiebiger sind.“

Darüber hinaus nahm die Tendenz nicht zu teilen in den religiösen Familien mit zunehmenden Alter zu, während grundsätzlich eigentlich die umgekehrte Tendenz zu beobachten war und die Kinder mit zunehmendem Alter teilbereiter wurden.

Die religiös erzogenen Kinder bevorzugten zudem auch schwerere Strafen für anti-soziales Verhalten und bewerteten dieses deutlich strenger als Kinder nicht religiös erziehender Eltern.

Wie die Forscher erläutern, stützen die neuen Ergebnisse frühere Studien, die aufgezeigt hatten, dass Religiosität mit eher strafenden Haltungen gegenüber zwischenmenschlichen Vergehen einhergeht: „Zusammengenommen belegen die Ergebnisse eine länderübergreifende negative Beeinträchtigung des kindlichen Altruismus durch eine religiöse Erziehung“, so der Forscher abschließend. „Zudem stellen sie damit die weit verbreitete Vorstellung von der (positiven) Bedeutung von Religion für unsere moralische Entwicklung in Frage und es zeigt sich, dass die Säkularisierung des moralischen Diskurses nicht zur Reduzierung menschlicher Güte beiträgt. Tatsächlich, geschieht genau das Gegenteil.“

+ + + GreWi-Kommentar:
Wäre noch zu hinterfragen, was genau unter „religiöse Erziehung“ im Kontext der Untersuchung zu verstehen ist? Zumindest die Auswahl der Länder, in denen die Studie durchgeführt wurde (Kanada, China, Jordanien, Südafrika, Türkei und USA), lässt zumindest vermuten, das damit mehrheitlich nicht unbedingt eine liberaler Hintergrund der jeweiligen Religion verstanden werden könnte...? Die Länderauswahl lässt zudem vermuten, dass für die Entwicklung der Ethik und Moral nicht nur religiöse sondern auch - möglicherweise mit der Religion verwobene - politische Einflüsse eine nicht mindere Rolle spielen könnten.