Kreisgrabenanlage liefert neues Bild der Lebensweise in der Jungsteinzeit
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© Immo HeskeGefäßfragmente der Stichbandkeramik aus der Verfüllung der neu entdeckten Kreisgrabenanlage
Astronomie vor über 6.500 Jahren: Eine neu entdeckte Kreisgrabenanlage zur Himmelsbeobachtung ist der älteste Monumentalbau in Niedersachsen. Für die Menschen der Jungsteinzeit waren diese Beobachtungen wichtig für Ackerbau und Viehzucht. Archäologen zufolge deutet die Anlage darauf hin, dass diese Lebensweise zu Beginn des fünften Jahrtausends vor Christus schon weiter nach Norden vorgedrungen war, als bisher angenommen.

Wie die Menschen zu Beginn der Jungsteinzeit in der Region des heutigen Niedersachsen lebten, war bisher nur schemenhaft bekannt: Im Braunschweiger Land siedelten zwischen 4900 und 4300 vor Christus offenbar Angehörige der Stichbandkeramik-Kultur und betrieben bereits Ackerbau und Viehzucht. Nur wenige Kilometer nördlich davon lebten zu dieser Zeit noch Jäger und Sammler. Weitere Informationen waren bislang spärlich.

Tiefer Graben und Palisaden

Doch eine neue Fundstelle beim niedersächsischen Dorf Watenstedt im Landkreis Helmstedt ändert dies grundlegend: Archäologen um Immo Heske von der Universität Göttingen entdeckten hier auf einer Hügelkuppe eine Kreisgrabenanlage mit einem Durchmesser von über 50 Metern. Die Anlage vom Beginn des fünften Jahrtausends vor Christus ist der älteste Monumentalbau in Niedersachsen und gleichzeitig das nördlichste bekannte derartige Bauwerk der frühen Jungsteinzeit.
Luftbild Grabungsfläche Watenstedt Helmstedt
© A. GrüttemannLuftbild mit den Grabungsflächen bei Watenstedt von Osten
Auf die Spur der Anlage kamen die Forscher anhand von Luftbildern. Mit geomagnetischen Untersuchungen vor Ort erkundeten sie daraufhin ausgewählte Fundstellen und begannen mit der Ausgrabung. "Bei den Ausgrabungen trat ein über einen Meter tiefer Graben mit einer Breite von knapp zwei Metern zu Tage", beschreibt Heske. "Dahinter konnten wir überraschenderweise zwei Palisadengräben nachweisen."

Keine Befestigung, sondern Himmelsbeobachtung

Es sei jedoch deutlich, dass es sich dabei nicht um die Befestigung einer Siedlung gehandelt hat: Der Wall hat mehrere Öffnungen und Durchlässe, die in verschiedene Himmelsrichtungen zeigen. Die Archäologen nehmen daher an, dass es sich um eine Anlage für Himmelsbeobachtungen handelt, ähnlich dem berühmten Steinkreis von Stonehenge.

Die Kreisgrabenanlage bei Watenstedt stimmt fast genau mit ähnlichen Bauwerken bei Goseck in Sachsen-Anhalt und Dresden-Nickern in Sachsen überein. Forschung an diesen Anlagen hat bereits gezeigt, dass Himmelsbeobachtungen schon in der Jungsteinzeit um 4700 vor Christus weit fortgeschritten waren. Jahreszeiten zu erkennen und vorherzusagen war für den Ackerbau der frühen Gesellschaften entscheidend. Die Anlage deutet nach Ansicht der Forscher daraufhin, dass Ackerbau und Viehzucht zu jener Zeit schon weiter nach Norden ausgebreitet hatten als gedacht.



Mysteriöses Ende der Anlage


Die Ähnlichkeit der einzelnen Anlagen zeigt den Forschern zufolge auch, dass die verschiedenen Siedlungen zum Teil in engem Kontakt gestanden haben müssen: "Es wird deutlich, dass die Planung, Durchführung und Errichtung in einer eng vernetzten Gesellschaft erfolgte und entsprechend auch die geistigen Vorstellungen identisch waren", so Archäologe Heske.

So mysteriös wie die Besiedlung der Region ist auch das plötzliche Ende des kreisförmigen Monumentalbaus: Seine Erbauer oder Bewohner schaufelten die Gräben zumindest zum Teil wieder zu und beschlossen offenbar gezielt, die Anlage zu verlassen. "Funde aus der oberen Verfüllung des Grabens lassen eine gezielte Aufgabe des Ortes erkennen", erklärt Heske. Dies führt zu einer neuen Frage, die die Archäologen in zukünftiger Forschung zu beantworten hoffen: "Warum wurde dieser Platz in einer der ertragreichsten landwirtschaftlichen Regionen Deutschlands aufgegeben?"

(Georg-August-Universität Göttingen, 06.11.2015 - AKR)