Berlin. Weit über die Hälfte der jungen Frauen in Deutschland zwischen 16 und 20 Jahren nimmt die Pille. Arzneimittel-Experten warnen vor gefährlichen Nebenwirkungen bei einigen modernen Präparaten.

Millionen von Frauen setzen bei der Verhütung auf die Anti-Baby-Pille. Aus Sicht von Arzneimittel-Experten sind sie bei der Wahl der Präparate oft nicht gut beraten. Bei einigen modernen Produkten haben die Frauen ein doppelt so hohes Risiko, eine Tromboembolie, also einen Gefäßverschluss, zu erleiden wie bei herkömmlichen Präparaten.

Dies geht aus dem Arzneimittelreport hervor, den die Krankenkasse Barmer GEK vorgestellt hat. Trotz des Risikos zählt fast die Hälfte der 20 absatzstärksten Anti-Baby-Pillen des vergangenen Jahres zu den neuen Hormonmischungen. Der Bremer Forscher Gerd Glaeske erklärte, die neuen Präparate würden von der Pharmaindustrie gezielt beworben. Grund: Sie unterliegen noch dem Patentschutz und damit sind ihre Gewinnspannen höher. "Tatsache ist, dass dieser Markt nicht zugunsten der Frauen ausfällt", sagte Glaeske. Er riet den Frauen, sich intensiver mit ihrem Arzt über die Wahl der Anti-Baby-Pille zu unterhalten.

Auf Kritik stieß bei den Arzneimittel-Experten auch die Verschreibungspraxis für Alkoholiker und Demenz-Kranke. Knapp jeder siebte Alkoholkranke erhält dem Report zufolge starke Schlafmittel mit zusätzlichem Suchtpotenzial. Von den Demenz-Kranken schluckt etwa ein Drittel regelmäßig starke Beruhigungsmittel. Die Betroffenen hätten ein deutlich höheres Sterberisiko, sagte Glaeske. Aus seiner Sicht könnten durch eine bessere Pflege 20 bis 30 Prozent weniger dieser Präparate verschrieben werden.

Die Ärzteschaft wollte gestern nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Man werde den Report zunächst der eigenen Arzneimittelkommission zur Prüfung vorlegen, hieß es bei der Bundesärztekammer. Der Berufsverband der Frauenärzte war zu keiner Stellungnahme zu erreichen.

Die Arzneimittel gelten als wichtigster Kostentreiber im Gesundheitswesen. Insgesamt geben die gesetzlichen Krankenkassen jährlich 29 Milliarden Euro für Tabletten, Salben und Säfte aus. Das Kostendämpfungsgesetz der Bundesregierung, das ein Preismoratorium und einen höheren Herstellerrabatt vorschreibt, hat bei der Barmer GEK im ersten Quartal allerdings Wirkung gezeigt. Die Arzneiausgaben seien um fünf Prozent gesunken, sagte Vize-Chef Rolf-Ulrich Schlenker.

Sorgen bereiten den Krankenkassen weiterhin die steigenden Ausgaben für Biologicals. Dabei handelt es sich um gentechnisch hergestellte Arzneien, die gegen schwere Krankheiten wie Multiple Sklerose, Rheuma und Krebs eingesetzt werden. Die Kosten für Therapien mit diesen Präparaten liegen nach Angaben der Barmer/GEK häufig im fünfstelligen Bereich pro Jahr. Das führt dazu, dass weniger als ein Prozent der Versicherten rund 30 Prozent der Arzneimittelausgaben für sich in Anspruch nehmen müssen. Die Kassen hoffen, die Kosten für die Biologicals in den Griff zu bekommen, indem sie auch in diesem Bereich verstärkt auf Nachahmer-Präparate setzen. "Wir müssen unbedingt die Erfolgsgeschichte der Generika wiederholen und die Biosimilars breiter einsetzen", sagte Schlenker. Das wären Nachbauten der Biologicals.

Aktuell werden 85 Prozent aller Arzneimittel, die die gesetzlichen Kassen finanzieren, durch Nachahmer-Präparate abgedeckt. Nach Angaben des Arzneimittelreports sparen die Kassen damit rund zehn Milliarden Euro jährlich.