Rätselhaftes Verschwinden: Es war doch nicht das Klima, das die Wikinger vor gut 600 Jahren aus Grönland vertrieb. Denn wie Forscher nun belegen, gab es dort weder eine mittelalterliche Warmzeit noch eine "Kleine Eiszeit". Stattdessen war es bei Ankunft der Wikinger auf Grönland schon genauso kalt wie 400 Jahre später bei ihrer endgültigen Abreise, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin Science Advances berichten. Was die Wikinger dann zur Aufgabe ihrer Siedlungen brachte, bleibt rätselhaft.

Gemälde Wikingerschiff Küste Grönland
© Historisch/ Jens Erik Carl Rasmussen
Die Wikinger waren meisterhafte Seefahrer. In ihren relativ primitiven Booten überquerten sie dank einfacher Navigationshilfen schon vor mehr als tausend Jahren den Atlantik und kamen bis nach Kanada. Angeführt von Erik dem Roten gründeten sie zudem Siedlungen an der Westküste Grönlands, in denen im Laufe der Zeit mehrere tausend Wikinger lebten, Vieh hielten und Walrösser jagten. Doch zwischen 1360 und 1460 endete dies plötzlich: Die Wikinger gaben ihre Dörfer auf und verschwanden für immer aus Grönland.

Vertrieben durch die Kälte?

Aber warum? Lange Zeit galt das Klima als der Schuldige. Denn die Ankunft der Wikinger auf Grönland fiel mit einer besonders milden Klimaphase in Europa zusammen, dem mittelalterlichen Klimaoptimum. Ab dem 15. Jahrhundert jedoch - ungefähr um die Zeit, als die Wikinger Grönland verließen - folgte in Europa und Nordamerika die Kleine Eiszeit: Ein Temperatursturz, der ab dem 15. Jahrhundert zu kühlen, regenreichen Sommern und frostigen, langen "Hungerwintern" führte.

Sollte diese Kleine Eiszeit die gesamte Nordhalbkugel betroffen haben, dann hätte dies die Lebensbedingungen der Wikinger erheblich verschlechtert: Die Gletscher rückten vor, es wurde selbst im Sommer kaum warm genug für den Anbau von Pflanzen und das Meereis versperrte die freie Fahrt auf den Ozean hinaus. Gängiger Theorie nach soll daher diese Abkühlung die Wikinger zur Aufgabe ihrer Siedlungen bewegt haben - oder doch nicht?

Keine Warmzeit auf Grönland
Gletscher Grönland
© Jason BrinerGletscher und Moräne im Westen Grönlands - in dieser Gegen nahmen die Forscher ihre Proben.


Grund an dieser einfachen These zu zweifeln, liefern nun Nicolas Young von der Columbia University in New York und seine Kollegen. Für ihre Studie untersuchten sie die Ausdehnung der Gletscher in Westgrönland und an der Ostküste der kanadischen Baffin-Insel in der Zeit der mittelalterlichen Warmzeit und der Kleinen Eiszeit. Sie analysierten dafür Gestein von Gletschermoränen auf den Gehalt an Beryllium-Isotopen hin. Deren Menge zeigt, wie lange ein Gestein bereits offen daliegt - und damit nicht von Gletschereis überdeckt ist.

Das Ergebnis: Als die Wikinger Grönland und Kanada erreichten, war es dort keineswegs mild - im Gegenteil: "Die Gletscher hatten bereits während der mittelalterlichen Warmzeit zwischen 975 und 1275 fast ihre maximale Ausdehnung", berichtet Young. Es muss daher bei Ankunft der Wikinger genauso kalt gewesen sein wie später während der Kleinen Eiszeit in Europa. "Damit wird immer klarer, dass diese Warmzeit eher regional war und nicht global", sagt Young. "Es ist ein eurozentrisches Konzept."

Das Klima war nicht schuld
Wikingersiedlungen Grönland
© Masae/CC-by-sa 3.0Siedlungen der Wikinger in Westgrönland - hier wurden Ruinen ihrer Gehöfte gefunden.
Diese Daten sprechen dagegen, dass ein Klimawechsel am Verschwinden der Wikinger aus Grönland schuld war. "Wenn die Wikinger nach Grönland kamen als es ohnehin schon kalt war, ist es ziemlich weit hergeholt zu sagen, dass ein schlechter werdendes Klima sie wieder vertrieb", konstatiert Young. Denn den neuen Daten nach könnte es zwar während der Wikinger- Siedlungszeit immer wieder einige kurze wärmere Perioden gegeben haben, eine über mehrere Jahrhunderte anhaltende milde Phase aber gab es nicht.

Dass es auf Grönland keine mittelalterliche Warmzeit gab, wird auch durch andere Studien bestätigt. So zeigen Klimadaten des im Zentrum Grönlands erbohrten Eiskerns GISP2, dass es zwischen 1000 und 1075 und von 1200 bis 1400 Kauf Grönland kalt war. 2011 schlossen Forscher aus Seesediment-Analysen, dass spätestens ab 1100 eine Kältephase an der Westküste Grönlands begann.

Aber was war es dann?

Was aber vertrieb dann die robusten "Nordmänner" von der Insel? Nach Ansicht der Forscher müssen nichtklimatische Faktoren dafür der Auslöser gewesen sein. "Mögliche Ursachen könnten eine zunehmende Feindseligkeit der ansässigen Inuit gewesen sein, Schwierigkeiten, die Walross-Stoßzähne mit Gewinn loszuwerden oder eine Isolation durch einen Stopp des Schiffsverkehrs von Norwegen und Island", mutmaßen Young und seine Kollegen.

Andere Forscher halten es auch für möglich, dass die Wikinger ihre Siedlungen aufgaben, um in Europa die durch die Pest dezimierten Höfe und Siedlungen zu verstärken. Eine weitere Hypothese geht davon aus, dass die von den Wikingern importierten Rinder die sensiblen Böden Grönlands so stark erodierten, dass sie unfruchtbar wurden. Welches der wahre Grund für das rätselhafte Verschwinden der Nordmänner aus Grönland war, bleibt damit weiter unklar.

(Science Advances, 2015; doi: 10.1126/sciadv.1500806)