Nichts als ein Suchtstoff: Wie Pornos das männliche Gehirn neu verdrahten und eine eine Kultur der Zerstörung schaffen.

Sexismus
© picture alliance / Wolfram Stein/dpaPornografie-Konsum kann zur Sucht verkommen und selbstzerstörerisches Handeln evozieren
Es ist auffällig, wie viele weithin sichtbare Männer sich in den letzten Jahren (in den letzten Monaten, genau genommen) auf eine sexuell selbstzerstörerische Weise benommen haben. Dass unter den Mächtigen sexuell Unersättliche sind, ist nichts Neues. Aber sie waren einst diskreter - und geschickter darin, ihre Spuren zu verwischen.

Natürlich spielen auch die neuen technischen Möglichkeiten, Privates öffentlich zu machen, bei diesem Wandel eine Rolle. Viele der jetzt sexskandalumwitterten Männer haben sich - manchmal buchstäblich - via SMS, Twitter oder anderen indiskreten Medien selbst bloßgestellt.

Was treibt sie zu so sonderbar enthemmten Entscheidungen? Könnten die Verfügbarkeit und der Konsum von Pornografie das männliche Gehirn neu verdrahten, das Urteilsvermögen in Sachen Sex beeinträchtigen und es Männern schwerer machen, ihre Impulse zu beherrschen?

Bemerkenswerte Effektivität von Hardcore-Pornografie

Immer mehr wissenschaftliche Befunde sprechen dafür. Vor sechs Jahren habe ich einen Essay mit dem Titel „Der Porno-Mythos“ geschrieben, in dem ich dargelegt habe, dass Therapeuten und Sexualberater die Zunahme des Pornografie-Konsums unter jungen Männern zumindest anekdotisch mit der Häufung von Impotenz und vorzeitigem Samenerguss in derselben Gruppe in Verbindung bringen.

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Dabei ging es um gesunde junge Männer ohne organischen oder psychopathologischen Befund, der die normale Sexualfunktion hätte beeinträchtigen können.

Die Hypothese der Experten lautete, dass die Pornografie diese Männer sexuell zunehmend desensibilisiere. Tatsächlich hat die bemerkenswerte Effektivität von Hardcore-Pornografie bei der schnellen Desensibilisierung von Menschen sogar dazu geführt, dass sie regelmäßig eingesetzt wird, um Ärzte oder Militäreinheiten auf den Umgang mit extrem schockierenden oder heiklen Situationen vorzubereiten.

Machen Pornos unempfänglicher für erotische Reize?

Aufgrund dieses starken Desensibilisierungs-Effekts, so fanden die Forscher außerdem heraus, waren bei den meisten männlichen Probanden bald schon höhere Grade von Stimulation nötig, um den gleichen Grad von Erregung zu erreichen. Die Experten vermuteten auch, dass der Konsum von Pornografie gesunde junge Männer unempfänglicher für die erotischen Reize ihrer Partnerinnen mache.

Seitdem kam neues Datenmaterial über das Belohnungssystem des Gehirns zu Tage, sodass sich dessen Neuverdrahtung konkreter fassen lässt. Wir wissen heute, dass ein Porno das männliche Hirn mit einem kurzfristigen Dopamin-Anstieg belohnt, der die Stimmung des Mannes ein oder zwei Stunden lang hebt und zu einem generellen Wohlgefühl führt. Das neuronale Schaltsystem ist genauso beschaffen wie bei anderen Suchtauslösern, etwa dem Glücksspiel oder Kokain.

Suchtgefahr und Abhängigkeit von Pornografie-Konsum

Und die Suchtgefahr ist auch dieselbe: Genau wie Spiel- oder Kokainsüchtige zwanghaft handeln und immer mehr schnupfen oder im Kasino immer mehr einsetzen müssen, um den gewohnten Dopamin-Anstieg herbeizuführen, so können auch Männer, die Pornografie konsumieren, abhängig werden.

Klingt die Dopamin-Welle nämlich ab, gerät der Konsument in ein Tief - er fühlt sich gereizt, ängstlich und sehnt sich nach dem nächsten Kick. (Neue Erkenntnis Jim Pfaus von der kanadischen Concordia Universität deuten daraufhin, dass auch weibliche Pornografie-Konsumenten von dieser Desensibilisierung betroffen sind.)

Der Dopamin-Effekt erklärt, warum Pornografie mit der Zeit immer extremer wird: gewöhnliche Sex-Bilder verlieren an Kraft, was dazu führt, dass die Konsumenten Bilder brauchen, die weitere Tabus brechen, um sich gleichermaßen gut zu fühlen. Zudem gibt es Männer (und Frauen), die ein „Dopamin-Loch“ haben: Die Belohnungssysteme ihres Gehirns arbeiten weniger effizient, sodass sie suchtanfälliger für extreme Pornografie sind.

Vom Drang, eine kompromittierende SMS abzuschicken

Wie bei jeder Sucht fällt es dem Süchtigen auch hier aus neurochemischen Gründen schwer, sein Handeln - und das gilt sogar für ein äußerst selbstzerstörerisches Handeln - einzustellen. Könnte das der Grund dafür sein, dass Männer, die in der Vergangenheit genug Geduld hatten, ihre Affären hinter verschlossenen Türen über die Bühne zu bringen, jetzt dem Drang, eine kompromittierende SMS abzuschicken, nicht mehr widerstehen können?

Wenn ja, dann wären diese Männer statt Dämonen oder moralischen Nullen vielmehr Süchtige, die sich nicht länger in der Gewalt haben.

Das soll nicht heißen, dass sie nicht verantwortlich für ihr Tun wären. Doch handelt es sich um eine andere Art von Verantwortlichkeit - nämlich davon, das gewaltige Suchtpotential pornografischen Konsums zu verstehen und sich um Hilfe und Medikation zu bemühen, sobald die eigene Sucht den Partner, die Familie, das Berufsleben oder die Urteilskraft beeinträchtigt.

Programm, um pornoabhängige Männer zu behandeln

Mittlerweile existiert ein wirksames und detailliertes Programm, um pornoabhängige Männer zu behandeln und zurück in ein seelisches Gleichgewicht zu bringen, bei dem sie ihren Trieben weniger ausgeliefert sind. Erst ein Verständnis dafür, was Pornografie im Hirn und mit der männlichen Virilität anrichtet, erlaubt es den Menschen, bessere Entscheidungen zu treffen, anstatt sich in Selbsthass oder kollektiver Verurteilung zu verlieren - in einer Welt, die immer mehr Hardcore ist.

Die amerikanische Autorin Naomi Wolf („Der Mythos Schönheit“) gehört zu den Protagonistinnen der „Dritten Welle des Feminismus“.