Kokain-Konsument
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Drogen kapern einer aktuellen Studie zufolge ein uraltes Neuronen-Netzwerk im Gehirn, das ursprünglich zu einem ganz anderen Zweck erfunden wurde: Es regelt den Konsum von Salz.

Essen im Chipsmodus

Chips gelten wegen ihres hohen Fett- und Salzgehalts nicht unbedingt als ideales Lebensmittel. Was an sich kein großes Problem wäre, wenn es bei dem einen Griff in die Chipstüte bliebe: Aber Chips im Bauch rufen nach mehr Chips. Sie sorgen - ähnlich wie Nachos, Salzstangen, Erdnussflocken und andere Knabbereien - eher für monotones Nachschaufeln denn für Befriedigung.

Vielleicht hat dieser eigenartige, sich an der natürlichen Sättigung vorbeischleichende Essmodus mit einer Entdeckung zu tun, die nun Wolfgang Liedtke gelungen ist. Der Neurobiologe von der Duke University hat mit seinen Mitarbeitern die Ursachen eines uralten Instinktes untersucht: das Bedürfnis nach Natriumchlorid - Salz. Die Steuerzentrale für die Salzaufnahme liegt im Hypothalamus, jener Hirnteil, der viele vegetative Funktionen wie etwa Körpertemperatur, Wasseraufnahme, Schlaf und Sexualität steuert.

Sucht-Gene aktiv

Liedtke und sein Team regten den Salzappetit von Labormäusen durch eine extrem salzarme Diät an und erzeugten bei einer weiteren Gruppe den gleichen Effekt durch Gabe eines Hormons namens ACTH. Beide Eingriffe lösten bei den darbenden Mäusen eine charakteristische Reaktion im Hypothalamus aus: Bestimmte Gene wurden durch den Mangelzustand aktiviert, 10 Minuten nachdem die Tiere endlich ihre lebensnotwendige Ration Salz erhalten hatten, fiel die Genaktivierung wieder auf Normalniveau.

Bioinformatische Analysen zeigten, dass dieses Genprogramm bereits aus einem ganz anderen Kontext bekannt ist - aus der Suchtforschung. Die im Hypothalamus aktivierten Gene sind offenbar auch an der Entstehung von Kokain- und Heroinsucht beteiligt, was den Schluss zulässt, dass Drogen einen uralten Instinktmechanismus im Gehirn rekrutieren.

"Das war für uns eine große Überraschung", sagt Liedtke. "Diese Entdeckung könnte wichtig für die Medizin sein. Sowohl für die Entstehung von Sucht als auch für die schädlichen Konsequenzen dick-machender Lebensmittel, die eine Überdosis Salz enthalten.

Sein Kollege Derek Denton, ein Co-Autor der Studie, fügt hinzu: "Auch wenn Instinkte neuronale Programme sind, können sie durchaus durch Lernen verändert werden. Manche Forscher haben bereits vermutet, dass Drogen auf diese Weise im Nervensystem wirken, wir haben das nun in einem Fall bestätigt: Der Appetit auf Salz stellt offenbar die neuronale Organisation für die Opiat- und Kokainsucht zur Verfügung."
Dickhornschafe fressen Salz
© UnbekanntInstinktverhalten in Aktion: Dickhornschafe befriedigen ihr Bedürfnis nach Salz
Dopamin erzeugt Wohlgefühl

Für diese Interpretation spricht etwa die Tatsache, dass in dem (wieder) entdeckten genetischen Programm einige Erbfaktoren enthalten sind, die die Wirkung des Neurotransmitters Dopamin regeln. Dopamin ist Teil eines körpereigenen Belohnungssystems, es ist für die angenehmen Empfindungen nach dem Konsum salziger Nahrung verantwortlich. Und es ist auch der Treibstoff für das selbstzerstörerische Verhalten von Süchtigen. Sie wissen, was sie ihrem Körper antun, doch das Verlangen nach der Wirkung des Dopamins ist in der Regel stärker als die Vernunft.

Angesichts der evolutionären Geschichte von Instinkten ist das keine große Überraschung. Das Verhalten zur Aufrechterhaltung des Ionenhaushaltes ist mindestens 100 Millionen Jahre alt und tief im Fundus instinktiver Programme verankert. Die Wirkung von Drogen im Gehirn indes ist ein naturgeschichtlich junges Phänomen. Gesonderte Schutzmechanismen gibt es dafür keine - weder bei Labormäusen noch bei Menschen.

Dass das entdeckte Netzwerk auch für Essstörungen verantwortlich sein könnte, hält Liedtke jedenfalls für plausibel. "Als ich noch an der Rockefeller University gearbeitet habe, hatte ich einen Kollegen namens Jeremy, der konnte nicht aufhören Chips zu essen, sofern er einmal damit begonnen hatte. Unser Running Gag im Labor war damals der Satz: 'Wir werden dieses Gen klonieren, das ihn zwingt, die ganze Tüte aufzuessen'", so der Neurobiologe im Gespräch mit science.ORF.at.

"Bei Chips spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle, wie etwa Fett, Zucker, Aromen und die Textur des Lebensmittels. Aber Studien an Mäusen weisen darauf hin, dass es tatsächlich eine Art Sucht nach salziger Kost gibt. Ob das auch auf Menschen zutrifft, wissen wir noch nicht."

Die Studie

"Relation of addiction genes to hypothalamic gene changes subserving genesis and gratification of a classic instinct, sodium appetite", PNAS online (doi: 10.1073/pnas.1109199108).

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