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Das Wort “Psychopath” hat als stark negativ besetztes Schimpfwort Eingang in die Alltagssprache gefunden. Wer als Psychopath tituliert wird, gilt als herzlos, gefühlskalt und grausam. Leider hat der Volksmund der wissenschaftlichen Psychologie hier nicht mit der notwendigen Exaktheit aufs gelehrte Maul geschaut. Denn der Begriff der Psychopathie meint zunächst etwas absolut wertneutral Beschreibendes. Doch wie kam es dann zu diesem umgangssprachlichen Missverständnis? Und mit welcher klinisch korrekten Wortwahl kann man sein psychiatrisches Fachwissen souverän demonstrieren?

Das altgriechische Leiden der Seele

“Psychopathie” ist ein konstruiertes Kunstwort mit altgriechischer Abstammung. Es setzt sich zusammen aus den beiden Teilen “Psycho” (= Seele) und “Pathos” (= Leiden). Und genau das will der beschreibende Begriff der Psychopathie auch anschaulich vermitteln. Der bekannte Psychiater Kurt Schneider brachte es dahingehend auf den Punkt, dass er die Psychopathie als eine abnorme Spielart seelischen Wesens beschrieb, unter der entweder der Betroffene selbst leiden muss, oder die Gesellschaft, in der er lebt. Und das bringt uns dem populären Missverständnis des Psychopathiebegriffs auf die Spur: Was Lieschen Müller meint, wenn sie “Psychopath” sagt, ist lediglich die eine Hälfte, in der die Gesellschaft unter dem Terror des devianten Verhaltens zu leiden hat. Doch die andere Hälfte, die den Betroffenen selbst unter seiner Extremvariante der Persönlichkeit Höllenqualen leiden lässt, fällt dabei unter den Tisch.


Kommentar: Der Autor impliziert hier, dass der Psychopath selbst unter seiner 'Krankheit' leidet, doch das ist faktisch falsch. Forschungen haben gezeigt, dass der Psychopath sich vollkommen wohl fühlt, so wie er ist. Zwar nimmt er wahr, dass er anders ist als der Rest der Menschen, doch betrachtet er die normalen Menschen geringschätzig und sich selbst und andere Psychopathen als überlegen.


Extrem antisozial

Psychiatrische Laien, die den Begriff “Psychopath” in den Mund nehmen, meinen damit eigentlich “Soziopath”. Der modernere, fachlich exakt korrekte Terminus für Menschen, denen Worte wie Reue oder Mitleid nichts sagen, lautet: Antisoziale Persönlichkeitsstörung (APS). Personen, die mit dieser Extremvariante der Persönlichkeit geboren werden, fallen schon in jungen Jahren durch unbegreifliche Grausamkeiten (z.B. Tierquälerei) und nicht vorhandene Empathie (z.B. Fortlaufen, Stehlen, Lügen) auf. Und unter erwachsenen Soziopathen hat die Gesellschaft, die mit ihnen klarkommen muss, ordentlich zu leiden. Denn diesen Menschen sind höhere kognitive Hemmschwellen gänzlich fremd. Da ist eine Karriere als Gewalt- und Kapitalverbrecher fast schon vorprogrammiert. Und auch die Androhung von empfindlichen Strafen fruchtet hier nichts. Denn die antisoziale Persönlichkeit besitzt weder ein Unrechtsempfinden noch Schuldgefühle. Solchen Zeitgenossen geht man besser aus dem Weg, wo man kann.


Kommentar: In dem Buch von Robert Hare und Paul Babiak Menschenschinder oder Manager wird folgendes unterschieden:
Psychopathie:
ist eine Persönlichkeitsstörung, die sich durch die Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensformen beschreiben lässt [...]. Psychopathen haben kein Gewissen und sind unfähig zu Empathie, Schuldgefühlen und Loyalität gegenüber anderen.

Soziopathie:
ist kein offiziell definierter psychiatrischer Zustand. Der Begriff bezieht sich auf Einstellungs- und Verhaltensmuster, die von der Gesellschaft allgemein als antisozial oder kriminell betrachtet werden, in der [...] sozialen Umgebung, in der sie entstanden, jedoch als normal oder notwendig gelten. Soziopathen können ein gut entwickeltes Gewissen und eine normale Fähigkeit zu Empathie, Schuldgefühlen und Loyalität haben, doch ihr empfinden von Recht und Unrecht beruht auf den Normen und Erwartungen ihrer [Umgebung].

Antisoziale Persönlichkeitsstörung (antisocial personality disorder, APD):
[es] handelt sich um eine weit gefasste diagnostische Kategorie nach der vierten Auflage des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychiatrischer Störungen (DSM-IV) der American Psychiatric Association. Bei ihrer Definition spielen antisoziale und kriminelle Verhaltensformen eine große Rolle; in dieser Hinsicht ähnelt APD der Soziopathie. Manche Menschen sind Psychopathen, viele andere aber nicht.

Der Unterschied zwischen Psychopathie und einer antisozialen Persönlichkeitsstörung besteht darin, dass zur Psychopathie Persönlichkeitsmerkmale wie die Unfähigkeit zur Empathie, ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit und fehlende Gefühlstiefe gehören, die für die Diagnose von APD nicht erforderlich sind.

Und die andere Hälfte?

Das genaue Gegenteil der antisozialen Persönlichkeit könnte man bösartig als “Weichei” titulieren: Menschen, die sich Alles und Jedes bis zum Exzess zu Herzen nehmen, die sich für das gesamte Leid der Welt ebenso verantwortlich wie schuldig fühlen, und die schon bei der kleinsten Kleinigkeit in Tränen ausbrechen. Unter solchen zart Besaiteten kann die Umwelt natürlich auch schon mal hier und da leiden. Doch in diesem Fall der Psychopathie dürfte das Gros des Leidensdrucks doch ziemlich eindeutig zulasten der Betroffenen selbst gehen.