Neurowissenschaft.- Angst - was dabei im Körper passiert, ist auf den ersten Blick immer dasselbe: Schockstarre, Herzrasen, hektischer Atem, schweißnasse Hände. Schweizer Forscher haben herausgefunden, dass das Gehirn die Angstreaktion jedoch feiner regulieren kann als bisher bekannt.
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Sagen wir, bei einem Spaziergang durch den Wald sehen wir plötzlich eine Schlange - wir haben Angst vor ihr. In diesem Moment bleiben wir auf unserem Weg stehen. Wir werden für einen Augenblick ganz starr.
Diese erste Schreckreaktion läuft automatisch ab, sagt Ron Stoop, Biophysiker am Zentrum für Neurowissenschaften der Universität von Lausanne in der Schweiz. Ihn interessiert, was geschieht, wenn ein Mensch oder ein Tier Angst haben und wie das Gehirn diese Angstreaktion steuert. Die Schockstarre, erklärt er, ist nur ein Teil dessen, was dann im Körper passiert:
Gleichzeitig fährt die ganze Maschinerie unserer inneren Organe hoch; Herzschlag und Blutdruck steigen, wir fangen an zu schwitzen, die Atmung wird schneller. Es scheint ein sehr festgelegtes Muster zu sein, was da abläuft. Wir wollten herausfinden, wie festgelegt dieses Muster wirklich ist, oder ob es vielleicht doch vom Gehirn feiner angepasst werden kann.
Seit langem ist bekannt, dass die Amygdala bei Angstreaktionen eine große Rolle spielt. Es ist eine kleine, zentral im Kopf gelegene Hirnregion. Hier laufen Informationen zusammen, sie werden bewertet und verarbeitet, dann geht ein Signal wiederum nach außen; die Amygdala empfängt also Signale aus verschiedenen Hirnregionen und sendet selbst wiederum Signale aus - im Fall eines Angstsignals unter anderem an die Region in der Hirnrinde, die die Schockstarre auslöst, an die Regionen, die für Herzfrequenz und Atmung zuständig sind.

Die Frage, die sich Ron Stoop stellte, war, ob dabei ein und dasselbe Signal an alle betroffenen Regionen des Gehirns gesendet wird, oder ob jede Hirnregion einzeln angesteuert werden kann und ihr spezifisches Signal bekommt.
Um das zu klären, haben wir uns erst einmal die Anatomie angeschaut, also wie die Amygdala mit anderen Hirnregionen quasi verkabelt ist.
Dafür nutzte der Forscher eine alt bewährte Technik. Dabei werden zum Beispiel Ratten winzige, fluoreszierende Partikel injiziert. Es sind Partikel, die leicht von Nervenzellen aufgenommen und spontan Richtung Hirn transportiert werden. Nach einigen Tagen finden sie sich in den Hirnzellen wieder, die mit dem betreffenden Körper- oder Gehirnbereich verbunden sind.
Das funktioniert erstaunlich gut. Das Ergebnis war: die Verknüpfungen waren sehr spezifisch. Es gibt also Amygdalazellen, die nur die Schreckstarre kontrollieren und es gibt solche, die nur die Herzfrequenz oder den Atem kontrollieren. Von jeder Nervenzelle gehen die Signale immer an einen Empfänger raus, nicht an mehrere.
Das bedeutet, dass die Angstreaktion kein in sich geschlossener, festgelegter Ablauf ist, der - einmal ausgelöst - komplett abgespult wird. Im Gegenteil: Das Gehirn kann grundsätzlich an verschiedenen Stellen eingreifen. Eine Möglichkeit, wie im Gehirn laufende Prozesse reguliert werden, sind Nervenbotenstoffe. Davon gibt es sehr viele, und von bisher 20 verschiedenen ist bekannt, dass sie in der Amygdala vorkommen. Ron Stoop testete eine ganze Reihe von ihnen durch. Eine eindeutiges Ergebnis ergab sich für das Hormon Oxytocin.
Wir konnten zeigen, dass Oxytocin die Aktivität mancher Nervenzellen in der Amygdala unterdrückt - und zwar nur von denen, die die Schreckstarre auslösen. Dieser Botenstoff ändert also nichts am Herzschlag oder am Atem, aber er vermindert die Schreckstarre.
Im Grunde genommen scheint Oxytocin also dafür zu sorgen, dass Mensch oder Tier, die für einen Moment vor Schreck erstarrt sind, wieder handlungsfähig werden.

Fehlt das Hormon, verharren Mensch oder Tier, die einen Schreck bekommen haben, viel länger als nötig starr und tatenlos. Damit hat Ron Stoop eine neue Eigenschaft dieses Hormons gefunden, das bisher für andere Funktionen bekannt ist. Oxytocin wird ausgeschüttet, wenn Menschen Vertrauen fassen oder von jemand Nahestehendem unterstützt werden. Ron Stoop sieht einen Zusammenhang:
Das könnte ein Grund dafür sein, warum man, wenn man soziale Unterstützung erfährt, in bestimmten Situation generell weniger furchtsam reagiert.