Auf dem Münchner Marienplatz trafen sich wildfremde Menschen zu einer Massenumarmung. Dass dieser Flashmob einen ernsten Hintergrund hat, zeigen zahlreiche Studien zur heilsamen Wirkung von Berührungen.
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Berührung ist nonverbale Kommunikation, Berührung ist tröstlich. Und sie ist selten geworden, fand eine Studie heraus, die der Südwest-Verlag in Auftrag gegeben hat: Sie zeigt, dass die meisten Deutschen Berührung als wichtig empfinden und gleichzeitig das Gefühl haben, zu wenig körperliche Nähe zu erfahren.

„Nach einer Umarmung geht es beiden ein bisschen besser“, sagt Flashmob-Teilnehmerin Isabella auf dem Münchener Marienplatz. „Das sieht man schon daran, wie schnell mit einer Umarmung ein Streit beigelegt ist.“ Rentnerin Erna kann sich auch gesundheitliche Vorteile des Knuddelns vorstellen, „vorausgesetzt man gerät an den Richtigen“. Andernfalls sollte man sich eher um seine Handtasche sorgen.

Berührungsarmes Deutschland

Eine Forsa-Umfrage kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass in Deutschland Berührungsarmut herrscht: Jeder achte Bundesbürger sieht sich einem Mangel an körperlicher Nähe ausgesetzt. Gerade ältere Menschen, die viel allein sind, leiden häufiger unter „chronischem Berührungsmangel“. Sie nehmen körperliche Nähe fast nur als Dienstleistung in Anspruch, etwa in Form einer Massage oder der Kopfwäsche beim Friseur.

Ob anerkennendes Schulterklopfen, kumpelhafter Handschlag oder innigste Umarmung: Berührungen sind für die Gesundheit so essenziell wie essen oder schlafen. NBA-Teams mit viel Körperkontakt sind sportlich erfolgreicher, nach einer aufmunternden Berührung am Unterarm erzielen Testpersonen bessere Resultate, Babys brauchen körperliche Nähe für eine gesunde Entwicklung. Die Visite eines Krankenhausarztes empfinden Patienten gar als doppelt so lang, wenn der Arzt sie dabei berührt. Wie ausgefeilt der Körperkontakt als Sprache funktioniert, zeigt eine Untersuchung aus dem Jahr 2006: Wissenschaftler ließen ihre Probanden acht verschiedene Emotionen nur über Berührungen einem anderen Menschen mitteilen - in 70 Prozent der Fälle gelang ihnen das.

Stressbremse Körperkontakt

Die Haut ist durchsetzt von Abertausenden Sinneszellen, die schon auf kleinste Berührungsreize ansprechen. Untersuchungen des Touch Research Instituts der Universität Miami zeigten, dass schon das Auflegen der Hand die Produktion von Stresshormonen wie Cortisol senkt und die Ausschüttung der Entspannungshormone Oxytocin und Prolaktin anregt. Berührungen sollen Depressionen und chronische Schmerzen lindern, das Immunsystem kräftigen und den Blutdruck senken. Auch Beziehungen verlaufen glücklicher, wenn sich die Partner häufig berühren.

Um die Heilwirkung des Anfassens geht es auch im Buch von Marion Grillparzer und Susanne Wendel, Der Feelgood Faktor, das am 3. Oktober erschienen ist. Anlässlich der Veröffentlichung rief der in München ansässige Südwest Verlag zum Flashmob. Bei einem solchen Menschenauflauf treffen sich definitionsgemäß eine große Menge Leute auf einem öffentlichen Platz. Sie haben sich vorher per Internet verabredet, um etwas Ungewöhnliches zu tun, etwa zu tanzen - oder sich in den Arm zu nehmen.

Kehrseiten anonymen Gruppenkuschelns

Auch die „Kuschelpartys“, die vor ein paar Jahren in New York entstanden, verfolgen das Ziel, den Menschen mehr Berührung zugänglich zu machen. Ohne sexuelle Absichten kuscheln vollkommen Fremde stundenlang miteinander. Der starke Drang nach körperlicher Nähe kann aber auch unangenehme Formen annehmen: Beim sogenannten „Frottieren“ etwa reiben sich Menschen beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln an anderen, die ganz und gar nicht damit einverstanden sind, dass ihre sogenannte Individual- oder Intimdistanz so dreist unterschritten wird. Sie beträgt etwa einen halben Meter, ist aber von Mensch zu Mensch verschieden.