Das Gamepad immer öfter in der Hand, aber zugleich spürbar weniger im Kopf? Von wegen! Das Vorurteil, wonach junge PC-Spieler grundsätzlich verdummen, ist nicht mehr länger haltbar. Eine Charité-Studie belegt es.
Neurowissenschaftlerin Simone Kühn
© Reto KlarÜberrascht: Auch Neurowissenschaftlerin Simone Kühn spricht von einer "Sensation"
Am Rande einer europaweiten Untersuchung zur Vorhersage des Suchtverhaltens von Jugendlichen machten Wissenschaftler der Berliner Charité zwei sensationelle Entdeckungen: Die Forscher der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus fanden in der ersten Hirnstrukturstudie zu Computerspielen heraus, dass moderate Vielspieler - wohlgemerkt keine Spielsüchtigen - nicht nur über mehr lokales Hirnvolumen, sondern außerdem auch über mehr Hirnrinde verfügen.

Messungen der Bilder von Untersuchungen in leistungsstarken Magnetresonanztomografen (MRT) ergaben, dass das sogenannte Belohnungszentrum (ventrales Striatum) der Jugendlichen, die öfter am Computer spielen, größer ist als das der Probanden der Vergleichsgruppe, die weniger Zeit mit PC- oder Videospielen verbringen. Das Belohnungszentrum ist der Bereich im Gehirn, der unter anderem aktiviert ist, wenn Hunger verspürt wird und das Essen auf dem Tisch steht. Auch bei Empfindungen wie Freude oder Begierde ist dieser Bereich des Gehirns mit im Spiel.

Größere "graue Zellen"

Noch überraschender als das größere Volumen des Belohnungszentrums bei den Vielspielern aber ist das Ergebnis einer weiteren Analyse, bei der die Dicke der Hirnrinde (Kortex) gemessen wurde. Sie ergab: Auch die für strategisches Planen, Aufmerksamkeit oder Arbeitsgedächtnis zuständigen Bereiche im frontalen Kortex - quasi Teile der sogenannten grauen Zellen - waren bei Vielspielern deutlich größer. Normalerweise ist die Hirnrinde in diesen Bereichen zirka 2,5 Millimeter breit. Bei manchen jugendlichen Vielspielern wurde im Rahmen der Studie teilweise mehr als 3,5 Millimeter Dicke gemessen - auch das kommt einer Sensation gleich.

„Das ist ein sensationelles Ergebnis, das uns selbst überrascht hat, zumal der Frontalkortex sich spät entwickelt und meist erst bei 21-Jährigen ganz ausgebildet ist“, sagt denn auch Dr. Simone Kühn. Die engagierte Neurowissenschaftlerin hat die Erhebung in der Charité Arbeitsgruppe Neurochemie am St. Hedwig-Krankenhaus in Mitte unter der Ägide von Professor Jürgen Gallinat betreut, ausgewertet und erste Ergebnisse unterdessen wissenschaftlich veröffentlicht. Die Publikation der jüngsten Erkenntnisse bezüglich der Korrelation der Dicke der frontalen Hirnrinde mit der Spielhäufigkeit wird in Kürze folgen.
„Wir haben die Jugendlichen aus verschiedensten Bezirken und Familien mit unterschiedlichstem Bildungshintergrund ausgewählt, um so einen demografischen Schnitt durch die Gesellschaft darstellen zu können“, erläutert die 30 Jahre alte Wissenschaftlerin die Herangehensweise. Es sei den Forschern darum gegangen, ganz normale Jugendliche zu untersuchen.

„Spielsüchtige, die in ihrer Freizeit nichts anderes mehr machen außer am Computer zu sitzen und zu spielen, waren nicht in unserer Testgruppe“, sagt Simone Kühn.

Zwei Tage lang wurden die insgesamt 154 Heranwachsenden im St. Hedwig-Krankenhaus an der Großen Hamburger Straße in Mitte getestet und untersucht.

„Die Jugendlichen wurden zunächst gefragt, wie viele Stunden sie jeweils täglich und wie viel Zeit sie am Wochenende mit Videospielen verbringen“, sagt Simone Kühn. Davon ausgehend ergab sich ein Mittelwert von neun Stunden pro Woche, der als Ausgang für die Teilung in zwei Gruppen herangezogen wurde.

Planung und Aufmerksamkeit

„Im Gegensatz zu anderen Studien, bei denen beispielsweise das Verhalten während des Spiels gemessen wird und die Testpersonen bei der Aktivität beobachtet werden, haben wir uns die grundsätzliche Struktur des Gehirns genauer angesehen“, sagt die engagierte Hirnforscherin. Und sie ergänzt: „Das war die erste Strukturstudie.“ Nun könne man nicht mehr sagen, dass jeder automatisch durch PC-Spiele verblöde. „Ich hätte nicht gedacht, dass Vielspieler mehr Gehirn haben“, sagt Simone Kühn. Die Wissenschaftlerin gibt allerdings auch zu bedenken, dass man deshalb nicht ausschließen könne, dass bestimmte PC-Spiele Jugendliche aggressiver mache. Aber es sei bemerkenswert, dass sie mehr Hirnmasse an bestimmten Stellen aufweisen, die mit Planung und Aufmerksamkeit zu tun haben.

Ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Spielhäufigkeit und den strukturellen Veränderungen am Gehirn gibt, soll eine der geplanten nachfolgenden Studien klären. „Es wäre ja auch denkbar, dass gerade die Jugendlichen, deren Hirnstruktur entsprechend ausgeprägter ist, sich stärker zu Computerspielen hingezogen fühlen und dann auch einfach häufiger spielen“, betont Simone Kühn. Die Frage wer zuerst da war, die Henne oder das Ei, sei diesbezüglich eben noch nicht endgültig geklärt. Als nächsten Schritt will Simone Kühn deshalb die Möglichkeiten des Wachstums von Hirnstrukturen bei Nichtspielern und bereits mit PC-Spielen vertrauten Testpersonen untersuchen. „Wir werden junge Erwachsene im Alter von 18 bis 35 Jahren in zwei Gruppen unterteilen und zwei Monate lang testen“, sagt Simone Kühn. Die Teilnehmer jeder Gruppe (Nichtspieler und Spielkundige) sollen sich täglich mindestens eine halbe Stunde am Computer mit einem bestimmten 3-D-Navigationsspiel beschäftigen. Nach zwei Monaten werden die Neurowissenschaftler die Hirnstruktur aller Probanden messen.