Wer sein Gedächtnis verliert, verliert auch sein normales Leben. Doch manchmal bleibt die Erinnerung an Musik. Wissenschaftler hoffen, dass sich über diesen Zugang die Lebensqualität sogar von Alzheimer-Kranken verbessern lässt.

Er hat sich zurückgezogen und braucht Hilfe, denn in seinem eigenen Leben kennt er sich nicht mehr aus: Der 71-jährige P.M. hat große Teile seines Gedächtnisses verloren, als eine Herpes-Infektion Nervenbahnen in seinem Gehirn zerstörte - und damit Erinnerungen an seine eigene Geschichte, an Freunde und Familie.
Musiker im U-Bahnhof
© AFPMusikalische Erinnerungen funktionieren offenbar auch noch bei totalem Gedächtnisverlust.
Es ist ein seltener Fall, der jetzt auf der Jahreskonferenz der Neurowissenschaftler in Washington für Aufsehen sorgte. Denn Wissenschaftler der Berliner Charité konnten berichten, dass P.M. ein Teil seines Gedächtnisses geblieben ist: die Erinnerung an die Musik.

Früher spielte P.M. Cello in einem großen Orchester. Die Wissenschaftler der Charité um Carsten Finke kamen deshalb auf die Idee, den Gedächtnisverlust ihres Patienten mit ganz neuen Methoden zu untersuchen. "Wir haben die Chance genutzt, sein musikalisches Gedächtnis zu testen", sagt Carsten Finke, "denn wir wussten ja, welche Musik er vor seiner Erkrankung gespielt hatte."

P.M. sollte die Stücke, die ihm einmal vertraut waren, mit völlig neuen Kompositionen vergleichen. Tatsächlich erkannte er 93 Prozent der alten Kompositionen wieder. Aber er konnte noch mehr. Wenn ihm die Forscher Musikstücke vorspielten, die erst nach seiner Erkrankung entstanden waren, erkannte er sie auch später am Tag wieder - er hatte die Musik gelernt.

"Die musikalische Erinnerung scheint unabhängig von anderen Gedächtnisfunktionen organisiert zu sein", schließen die Forscher. Und das wiederum könnte etwa bei Menschen mit Demenzerkrankungen helfen: "Mit Musik kann man sie erreichen. Man könnte sie damit beispielsweise daran erinnern, ihre Medizin zu nehmen und andere wichtige Dinge zu tun, die sie normalerweise leicht vergessen", hofft Finke.

Selbst Alzheimer-Kranke könnten profitieren: "Vielleicht kann man ihre Lebensqualität damit verbessern." P.M. scheint sich auf diese Weise selbst zu helfen. Seine Nachbarn haben den Forschern erzählt, dass sie aus seiner Wohnung manchmal das Cello hören. Er spielt noch, aber nur für sich.