Bomben und Minen, Granaten und Torpedos: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Nord- und Ostsee als billige Endlager für Munition genutzt. Bis heute sind Mensch und Umwelt gefährdet.

Mehr als 65 Jahre nach Kriegsende lagern noch immer gewaltige Mengen Bomben und Munition in Nord- und Ostsee: Noch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Meere als billige Endlager für Munition genutzt. Allein in deutschen Hoheitsgewässern werden mindestens 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und weitere 5000 Tonnen chemische Kampfmittel vermutet. Das ergab die Bestandsaufnahme der Arbeitsgruppe von Behörden aus Bund und Ländern "Munitionsaltlasten im Meer", die am Montag in Hamburg vorgestellt wurde.
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Diese Schätzung sei aber aufgrund der unklaren Datenlage besonders für die Ostsee wenig belastbar, heißt es in dem rund 1100 Seiten starken Bericht. Eine großräumige und akute Gefahr gehe von den Kampfmitteln nicht aus, wohl aber eine latente und kleinräumige. "Diese Stoffe gehören nicht in unsere Meere", sagte Jens Sternheim vom schleswig-holsteinischen Innenministerium.

Mehr als drei Jahre haben Experten aus Ministerien von Bund und Ländern, der Deutschen Marine, Wasser- und Schifffahrtsämtern und anderen Institutionen zusammengearbeitet, um sich erstmals einen Überblick über die Munition im Meer zu verschaffen. Dabei konnten längst nicht alle Informationen ausgewertet werden, die in Archiven rund um den Globus prinzipiell verfügbar wären. Im Laufe der Jahrzehnte sind viele Informationen verschüttet, speziell aus der ehemaligen DDR. Der Bericht soll deshalb laufend fortgeschrieben werden und liegt komplett im Internet vor.

Über die chemische Munition wissen die Experten relativ gut Bescheid. Es handelt sich im wesentlichen um 90 Tonnen Artilleriegranaten mit dem Nervenkampfstoff Tabun, die vor Helgoland versenkt wurden, sowie 5000 Tonnen Bomben und Granaten mit Phosgen und Tabun im Bereich des Kleinen Belts.

Falls die Metallgehäuse der Bomben durchrosten und die chemischen Wirkmittel frei werden, verbinden sie sich relativ schnell mit Wasser zu harmlosen Stoffen. Die konventionelle Munition enthält Sprengstoff oder Brandmittel, die sich nicht so leicht abbauen. So bombardierten die Alliierten zum Beispiel die Raketenversuchsanstalt der Nazis in Peenemünde mit Brandbomben, die weißen Phosphor enthielten.

Spaziergänger könnten Phosphor mit Bernstein verwechseln

Noch heute können Strandwanderer vor Usedom Brocken dieses Kampfmittel finden - und mit Bernstein verwechseln. Wird der weiße Phosphor getrocknet, entzündet er sich selbst und kann Verletzungen hervorrufen.

Dass am Strand Torpedos oder Sprengstoff angespült werden, gilt nach Ansicht der Experten als relativ unwahrscheinlich. Auch gibt es bislang keinen Beleg für die Vermutung, dass sich frei gewordene Wirkstoffe in Muscheln oder Fischen anreichern könnten und so von Menschen verzehrt werden.

"Es gibt keinen Grund zur Hysterie, aber auch keinen Grund zur Verharmlosung oder Beschönigung", sagte Sternheim. Eine latente Gefahr gebe es vor allem für Personen mit Grundkontakt, zum Beispiel Schleppnetz-Fischer oder bei Bauvorhaben wie der Ostsee-Pipeline oder Offshore-Windanlagen.

Nun wollen Bund und Länder weitere Informationen sammeln und in einem weiteren Schritt auch drüber beraten, ob Munition aus dem Meer geborgen werden soll. In konkreten Fällen - wenn eine Granate gefunden wird - übernimmt das seit jeher der Kampfmittelräumdienst. Der letzte spektakuläre Fall im Binnenland war die Bergung einer 1,8-Tonnen-Bombe aus dem Rhein bei Koblenz am Wochenende.