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Giessen (pte) - Unser Bild einer dreidimensionalen Welt ist ein Konstrukt unseres Gehirns. Forscher des Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik in Tübingen http://kyb.mpg.de , der Justus-Liebig-Universität (JLU) Giessen http://uni-giessen.de und an der Yale University http://yale.edu haben nachgewiesen, wie Zellen der Sehrinde dazu beitragen können, dieses Geheimnis zu lüften. Die Beobachtungen weisen darauf hin, dass diese Zellen helfen, eine dreidimensionale Welt zu rekontruieren.

Dreidimensionale Welt

"Selbstverständlich ist die Welt selbst dreidimensional, aber was auf unsere Augen projeziert wird, hat nur zwei Dimensionen", sagt Roland W. Fleming, ehemals Projektleiter am MPI für biologische Kybernetik und jetzt Professor der Psychologie an der JLU Giessen, gegenüber pressetext. Die Forscher können nun erklären, welcher Mechanismus im Gehirn die Datenverarbeitung so durchführt, dass wir schließlich dreidimensional sehen.

Eine neu entwickelte optische Täuschung gibt Aufschluss über das Geheimnis der Wiederherstellung der dreidimensionalen Gestalt von Objekten durch das Gehirn. "Für die Erstellung der Abbildungen haben wir Punkte durch Zufallsrauschen generiert und sie entlang bestimmter Muster verwischt. Der Vorgang ähnelt Fingermalerei, nur machen wir es am Computer", erklärt Fleming. "Die Art, wie die Oberflächenstruktur verwischt wird, entspricht nicht dem Prozess der Abbildung der realen, dreidimensionalen Welt.

Doch durch diese Verwischungen können wir gezielt die "komplexen Zellen" der Sehrinde anregen, die die lokale, zweidimensionale Ausrichtung von Mustern in Abbildungen auf der Netzhaut messen." Diese Zellen, für deren Entdeckung David Hubel und Torsten Wiesel den Nobelpreis erhielten, werden oft als "Kantendetektoren" bezeichnet, da sie auf Objektgrenzen oder Kanten in einer Abbildung ansprechen. Bis jetzt war jedoch nicht bekannt, dass sie auch eine Schlüsselrolle bei der Abschätzung der dreidimensionalen Gestalt spielen.

Vorhersagen realitätsnah

"Um zu dokumentieren, was die Probanden sahen, baten wir sie, kleine Sonden auf den Abbildungen anzupassen. Durch die Einstellungen der Sonden konnten wir genau ablesen, welche dreidimensionalen Formen wahrgenommen wurden", so Heinrich Bülthoff, Direktor der Abteilung Wahrnehmung, Kognition und Handlung am MPI für biologische Kybernetik. "Es ist bemerkenswert, wie genau die Ergebnisse mit den Vorhersagen übereinstimmen, die wir anhand unserer Modelle der Zellantwort erstellt haben."

Der überzeugendste Hinweis darauf, dass diese Zellen eine Rolle spielen, kam den Forschern zufolge von einem Experiment, in dem Probanden 30 Sekunden lang ein Muster anstarrten, um dadurch die Antwort der Zellen zu beeinflussen. Die so hervorgerufene Anpassung der Zellen führte dazu, das Zufallsrauschen, das normalerweise komplett flach wirkt, eine dreidimensionale Form anzunehmen schien.

"Es ist eine Art Nachwirkung, vergleichbar mit dem Eindruck, den man erhält, nachdem man zuvor einige Zeit einen Wasserfall betrachtet hat: Plötzlich scheinen sich Dinge, die eigentlich feststehen, in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Nur erscheint in unserem Fall das Rauschen dreidimensional", so Daniel Holtmann-Rice, der zur Zeit an der Yale University promoviert. Als nächstes wollen die Forscher untersuchen, ob sich ihre Resultate auch auf andere Informationsquellen zur dreidimensionalen Gestalt, wie etwa Schattierung oder Glanzlichter, übertragen lassen.