Immer mehr Studenten brauchen psychologische Beratung und Antidepressiva. Auch die Fälle von Burnout werden zahlreicher.
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© PICTURE-ALLIANCE / IMAGE SOURCE/WWW.IMAGESOURCE.COMMüde und ausgebrannt - immer mehr Studenten leiden unter psychischen Problemen.

Eine kleine grüne Schatztruhe voller Taschentücher steht auf dem Couchtisch. Sie ist immer in greifbarer Nähe. Wenn das erste Schluchzen der Studenten kommt, greift Uni-Psychologe Ronald Hoffmann hinein, zückt ein Taschentuch und trocknet die Tränen. „Es ist gut, auf alle Fälle vorbereitet zu sein“, meint der Psychologe. In Gesprächssitzungen schütten ihm viele Hamburger Studenten ihr Herz aus. Sie erzählen von ihren Sorgen und Problemen, und viele fangen dabei auch mal an zu weinen. Es sind Tränen der Verzweifelung, der Überforderung und der Perspektivlosigkeit. Die Studenten weinen, weil sie Angst haben bei Prüfungen zu versagen, sich selbst zu sehr unter Druck setzen und weil sie von Zukunftsängsten geplagt sind. Die Zahl der Ratsuchenden in der Hansestadt ist angestiegen: 2011 verzeichnete die psychologische Beratungsstelle der Uni Hamburg 570 Neuanmeldungen, 2010 waren es noch rund 200 weniger.

Die Leiden der jungen Akademiker

Nicht nur in Hamburg, sondern auch bundesweit hat die Zahl der Studenten mit psychischen Problemen zugenommen. Laut den Ergebnissen des Gesundheitsreports 2011, der von der Techniker Krankenkasse (TK) herausgegeben wurde, haben immer mehr angehende Akademiker Nervenleiden und nehmen deshalb Antidepressiva. So erhielt ein Student 2010 im Schnitt für 13,5 Tage pro Jahr Nervenmedikamente, was im Vergleich zu 2006 einem Anstieg von fast fünf Tagesdosen entspricht.

Panikattacken, Schweißausbrüche und Sachlafstörungen

Die meisten Studenten, die in die Gesprächssitzungen der psychologischen Beratungsstelle der Uni Hamburg kommen, haben extreme Prüfungsangst und Konzentrationsschwierigkeiten. „Viele haben das Gefühl nichts mehr lernen zu können“, erzählt Hoffmann. Vermehrt leiden die Ratsuchenden unter einem starken Leistungsdruck: „Die Studenten fühlen sich häufig niedergeschlagen und haben Angst den Anforderungen nicht gerecht zu werden“, so der Psychologe. Oft sind private Probleme, wie Schwierigkeiten in der Familie und eine Trennungssituation, zusätzlich belastend für die Psyche der Betroffenen. Die Art und Weise, wie sich diese psychischen Leiden äußern, ist unterschiedlich: Manche berichten von Panikattacken und Schweißausbrüchen, andere leiden unter Schlafstörungen oder entwickeln psychosomatische Begleiterscheinungen wie Kopf- und Bauchschmerzen sowie Hauterkrankungen.

„Auffallend häufig kommt es zu einer Art Computer- und Internetsucht“, erzählt Bernd Nixdorff, der auch Psychologe und Kollege von Hoffmann ist. „Die betroffenen Studenten flüchten sich in die virtuelle Welt, um den realen Problemen zu entfliehen.“Auch das Burnout-Syndrom, das sich in einer chronischen Erschöpfung äußert, tritt immer öfter auf. Wenn psychische Probleme so massiv werden, dass Studenten dauerhaft darunter leiden und dadurch in ihrem Alltag eingeschränkt werden, dann überweisen die Uni-Psychologen an ambulante Psychotherapeuten. Das ist häufig der Fall: Rund ein Drittel der Ratsuchenden setzt die psychologische Betreuung in ambulanten Therapiesitzungen fort.

Zu hohe Leistungsansprüche an sich selbst

Zunehmend sind auch jene Studenten von psychischen Problemen betroffen, bei denen rein objektiv betrachtet alles in Ordnung zu sein scheint. Psychologe Nixdorff erzählt von einer Studentin im zweiten Semester, die gute Studienleistungen hatte, deren Selbstwahrnehmung aber eine völlig andere war. Sie hatte das Gefühl ihren hohen Leistungsansprüchen nicht gerecht werden zu können und war ständig deprimiert. Sie zog sich immer mehr zurück und traf kaum noch Freunde. „Jeglicher Kontakt zur Außenwelt wurde für die junge Frau zu einer großen Kraftanstrengung“, so Nixdorff. „Oft kam sie nach einem Tag an der Uni nach Hause und weinte pausenlos.“ Dann suchte sich die Studentin bei der psychologischen Beratungsstelle Rat. In den Therapiesitzungen versuchen die Uni-Psychologen die Studenten zu stabilisieren. Sie helfen den jungen Menschen dabei, ihr Zeitmanagement zu verbessern und geben Ratschläge bei Lernblockaden. Außerdem spenden sie Trost bei vielerlei Problemen. Dafür bleibt allerdings nur wenig Zeit: Pro Student stehen in der Regel nur ein bis drei Sitzungen zur Verfügung.

Unsichere Arbeitswelt sorgt für zusätzlichen Druck

Die Gründe für die zunehmenden psychischen Probleme liegen auf der Hand: In den Bachelor- und Masterstudiengängen wird den Studenten mehr Leistung innerhalb von kürzerer Zeit abverlangt. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass die Zahl der Prüfungen in den ersten Semestern angestiegen ist. „Durch die neuen Studiengänge machen sich Leistungsdefizite schneller bemerkbar“, sagt Psychologe Hoffmann. „Das macht natürlich Druck.“

Auch der Blick in eine unsichere Zukunft ist für viele Studenten beängstigend: Befristete Verträge und immer höhere Anforderungen der Arbeitswelt können ebenfalls belastend für die Psyche sein. Die Probleme der angehenden Akademiker liegen nach Meinung der Experten vermehrt auch in zu hohen Selbstansprüchen begründet - wie im Fall der jungen Frau.

„Viele junge Menschen glauben, dass sie perfekt sein müssen“, meint Psychologe Nixdorff. Sie wollten unter jeden Umständen „alles ganz schnell und ganz richtig machen“. Diese hohen Erwartungen an sich selbst und die starke Rastlosigkeit der Studenten zeigt, dass der relaxte Universitätsalltag endgültig Vergangenheit ist. Die Uni-Psychologen betrachten diese Entwicklung kritisch: „Wir brauchen eine andere Kultur des Scheiterns“, findet Hoffmann. „Fehler sind ein wichtiger Teil jedes Lernprozesses und müssen deshalb wieder stärker toleriert werden.“