Es sind die Spuren eines gewaltigen Naturspektakels: Im Ostseeboden vor Fehmarn haben Forscher die Umrisse eines großen Flusses entdeckt. Einst stürzte dort eine Sintflut hinab.
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© Uni Kiel/ Peter Feldens

Hamburg - Vorfahren der Schleswig-Holsteiner haben wohl gebangt, eine Katastrophe stehe bevor. Gewaltiges Grollen muss sich erhoben haben, als vor dem heutigen Fehmarn die Wassermassen losbrachen. Ein natürlicher Damm war geborsten, und der Vorgänger der Ostsee, der Ancylus-See, lief aus.

Jetzt haben Geologen am Meeresgrund zwischen Fehmarn und Lolland unter Schlickmassen das Flussbett dieser steinzeitlichen Sintflut entdeckt: Demnach rauschte der Fluss vor 10.700 Jahren auf einer Breite von einem Kilometer im Fehmarnbelt in Richtung Nordwesten.

Vermutlich erlebten Menschen die Folgen der großen Flut; Werkzeuge und andere Funde künden von unseren Vorfahren im damaligen Dänemark und Norddeutschland. So mussten nach der Flut wohl Fischer in Mecklenburg ihren Anlegeplätzen kilometerweit hinterher wandern, denn binnen weniger Jahre senkte sich der Pegel des Ancylus-Sees um zehn Meter - große Küstenflächen fielen trocken. Im Westen hingegen flutete das Wasser die Landschaft östlich von Kiel und Lübeck; die Gegend war damals noch Festland. Dort mussten Menschen womöglich Reißaus nehmen vor der schwellenden Flut.

Elche streiften durch die Waldlandschaft

Jahrtausende hatte der Ancylus-See vor der Küste geschwappt; sein Pegel lag zuletzt 20 Meter unter dem der heutigen Ostsee - und damit deutlich höher als die damalige Nordsee. Wissenschaftler rätseln seit langem über das Ende des Süßwasser-Sees: Wann und wo strömte das Wasser Richtung Nordsee?
Schichten im Meeresgrund vor Fehmarn: Schallwellen haben den Verlauf des großen Stroms enthüllt.
Bislang glaubten sie, der Durchbruch müsse vor dem Darß westlich von Rügen erfolgt sein. Doch nun haben die Geologen Peter Feldens und Klaus Schwarzer von der Universität Kiel die gewaltige Rinne des Flusses am Grund des Fehmarnbelts entdeckt - sie liegt unter mehreren Metern Schlick begraben.
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© dapd/ Uni Kiel/ Peter FeldensSchichten im Meeresgrund vor Fehmarn: Schallwellen haben den Verlauf des großen Stroms enthüllt.

Die Katastrophe ereignete sich, als Nordeuropa aus der Kälte auferstanden war. Die Gletscher der Eiszeit hatten sich in den Norden Skandinaviens zurückgezogen. Pflanzen und Tiere eroberten das Gebiet; Elche und Rentiere streiften durch die waldige Hügellandschaft Norddeutschlands.

Die Ostsee-Sintflut unterbrach den Frieden. Zwölf Meter tief hätten sich die Wassermassen in den Boden geschnitten, berichten Feldens und Schwarzer im Fachmagazin Continental Shelf Research. Mit Schallwellen haben sie den Grund der Ostsee quasi durchleuchtet; Bodenschichten reflektieren die Wellen - ein Bild des Untergrunds entsteht. Ein gewaltiger Trichter zeichnet sich im Ostseegrund ab - es sind die Umrisse des großen Flusses.

Wie soll der Fluss heißen?

Die Forscher trieben zehn Bohrungen in den Boden, um die Ablagerungen zu untersuchen. Und tatsächlich bewies die Folge der Schichten und ihre Datierung, dass vor 10.700 Jahren jener mächtige Strom vor Fehmarn entlang rauschte. Als das Schmelzwasser der Gletscher in Skandinavien aber den See wieder anschwellen ließ, "ertrank" der Fluss 700 Jahre später.

Weitenteils hatte der Strom in etwa die Ausmaße der heutigen Elbe nahe ihrer Mündung; vor Fehmarn weitete sich der Ur-Strom gar bis auf einen Kilometer Breite. Doch wie soll der ehemalige Fluss heißen? Sein Entdecker Feldens schlägt den Namen Dana-Fluss vor - so nannten Wissenschaftler bereits in den zwanziger Jahren einen Strom, den sie vor Fehmarn am Meeresgrund vermuteten.

Schon vor 15.000 Jahren floss an gleicher Stelle ein offenbar noch größerer Strom, berichten nun die Kieler Geologen. Damals war der erste Vorläufer der heutigen Ostsee nach der letzten Eiszeit - der Baltische Eisstausee - ausgelaufen. Der eisige See war durch das Schmelzwasser der Gletscher immer weiter angeschwollen. Er vermischte sich über eine Schneise in Schweden mit der Nordsee - und wurde folglich salziger.
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© Uni Kiel/ Peter FeldensRinne im Meeresgrund: Unter Schlickschichten haben die Kieler Geologen Peter Feldens und Klaus Schwarzer das alte Flussbett entdeckt. Unter dem Fluss (3), der vor gut 10.000 Jahren durch den Fehmarnbelt rauschte, liegt ein weiteres Flussbett (2) eines Stroms der wohl vor 15.000 Jahren an gleicher Stelle floss.

Bald jedoch wurde die Verbindung zur Nordsee gekappt: Von der Last der Gletscher befreit, hatte sich Südschweden gehoben, so dass wieder ein geschlossenes Süßgewässer entstand - der Ancylus-See. Die neue Studie von Feldens und Schwarzer schreibt die Geschichte fort: Als der See vor Fehmarn auslief, entstand am heutigen Grund des Fehmarnbelts eine Seenlandschaft - sie ähnelte wohl der heutigen Holsteinischen Schweiz.

Es dauerte dann weitere 3000 Jahre, bis die heutige Ostsee Gestalt annahm: Der Anstieg der Weltmeere hatte die Nordsee anschwellen lassen. Ihr Salzwasser strömte vor etwa 7000 Jahren an Nord-Dänemark vorbei durch das Kattegat in die Ostsee. Und die Spuren der einstigen Sintflut wurden allmählich unter Schlamm begraben.