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Gestern Gurken, heute Strahlung, morgen die Zukunft: Wir stolpern von Angst zu Angst und fürchten uns vor dem Falschen, sagt ein Statistiker.

Dortmund - Dioxin in Eiern, Kohlebakterien im Salat, krebserregende Stoffe in Babyschnullern, Alzheimer von der Gänse­leberpastete, radioaktive Wolken auf Weltreise, Unfruchtbarkeit von der Sitzheizung: Der Dortmunder Statistikprofessor und Autor Walter Krämer hat mit seinen Studenten die stete Flut immer neuer Gefahrenmeldungen gesammelt - und analysiert. Im Buch Die Angst der Woche rückt er das Potenzial der täglichen Bedrohungen zurecht.

Tiroler Tageszeitung: Das nächste Jahr hat wieder 52 Wochen. Was sind da Ihre Favoriten?

Walter Krämer: Im Moment fürchten sich alle vor dem Ende des Euro und der EU - was nicht ganz grundlos ist. Viele Leute haben Angst um ihr Geld. Nachbarn fragen mich allen Ernstes, ob sie ihr Sparkonto auflösen und das Geld im Garten vergraben sollen. Ich sag‘ natürlich: Behalte das Sparbuch.

Tiroler Tageszeitung: Ende 2012 soll wegen einer speziellen Planetenkonstellation wieder die Welt untergehen. Wie wahrscheinlich ist das?

Walter Krämer: Vor 65 Millionen Jahren ist die Welt schon einmal fast unter­ge­gangen, als ein Meteorit einschlug. Damals sind die Saurier ausgestorben. Die Wahrscheinlichkeit ist also nicht null - aber nicht 2012. Für 2028 ist wieder ein Meteorit angesagt, der nahe an der Erde vorbeigeht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er uns trifft, liegt bei 1:500.


Kommentar: Über das Thema Meteoriten oder Erdnaher Objekte, sollte sich Sorgen gemacht werden, da sie die Erde und ihre Geschichte weit häufiger veränderten, als die Wissenschaft zugeben möchte. Lesen Sie dazu die folgenden Artikel:

Die Punkte Verbinden: Erdveränderungen Haben Uns Erfasst

Meteore, Asteroide und Kometen: Schäden, Unglücke, Verletzungen, Tod und Nahbegegnungen

Deutschland im Mittelalter: Chronik der Naturereignisse und Seuchen, Teil 1


Tiroler Tageszeitung: Wie hoch ist sie beim Lottosechser?

Walter Krämer: In Deutschland mit 6 aus 49 liegt sie bei 1:13,9 Millionen. Es ist also viel wahrscheinlicher, dass wir von einem Meteoriten erschlagen werden.

Tiroler Tageszeitung: Ihr Buch heißt auch Warum wir uns vor den falschen Dingen fürchten. Was wären die richtigen?

Walter Krämer: Hoher Blutdruck z. B., daran sterben jährlich Zehntausende in Österreich. Auch Lärm, Alkohol, Nikotin, fettes Essen. Durch zu fettes Essen sterben in Deutschland jährlich Hunderttausende.


Kommentar: Warum es zum Beispiel Bluthochdruck gibt und viele Zivilisationskrankheiten, könnte eventuell besser hinterfragt werden.

Krebstherapie: Mit Fett gegen Tumoren

Ende des “Fettarm-Mythos”: Harvard rehabilitiert das Fett

Fett ist der Feind - von wegen!


Tiroler Tageszeitung: Ist Angst nicht auch gesund?

Walter Krämer: Der Impuls, wegzulaufen, uns zu schützen, ist genetisch programmiert. Überlebt haben nur die, bei denen die Angst in den Genen fest verdrahtet ist. Als es keine Möglichkeit gab, Gift im Essen festzustellen, war es lebenswichtig, Unbekanntes nicht zu essen. Heute haben wir chemische Analysemöglichkeiten, doch sobald nur ein Millionstel Gramm gefunden wird, heißt es: Da ist Gift drin!

Tiroler Tageszeitung: Entscheidend ist aber die Menge.

Walter Krämer: In jedem Liter Trinkwasser oder Muttermilch ist jedes Gift der Erde enthalten. Der Körper jedes erwachsenen Mitteleuropäers enthält auch mindestens ein Molekül von Jesus Christus. In uns und um uns sind göttliche und giftige Stoffe aller Art, die nie im Leben für uns gefährlich werden. Was Ökotest betreibt, ist deshalb kriminell, weil die dort nie davon reden, ob das, was sie gefunden haben, auch gefährlich ist.

Tiroler Tageszeitung: Gurke oder Ei - was würden Sie nehmen?

Walter Krämer: Ich ess‘ eigentlich beides gerne und habe auch zu Beginn der Dioxinpanik Eier gegessen. An EHEC sind tatsächlich 30 Menschen gestorben. Es war eine mittlere Gefahr - aber die Opferzahl überschaubar im Vergleich dazu, wie viele Leute im Verkehr sterben oder beim Baden ertrinken.

Tiroler Tageszeitung: Warum haben eigentlich so viele Ängste mit dem Essen zu tun?

Walter Krämer: Weil es für unsere Vorfahren oft das Ende war, wenn sie sich vergiftet haben. Deshalb hatten Potentaten Vorkoster. Sogar im Tierexperiment hat sich bestätigt: Die Ratte nimmt immer das, was die Nachbarratte schon kennt, denn die hat überlebt.

Tiroler Tageszeitung: Es gibt sogar schon die krankhafte Angst, ohne Handy zu sein. Wie sehr lähmen uns die Ängste?

Walter Krämer: Das Infozeitalter führt dazu, dass es auch immer mehr Informationen über Gefahren gibt. Wenn man im Internet „krebserregend“ eingibt, findet man 416.000 Einträge. Die Leute machen sich das Leben zu Hölle. Viele nehmen Medizin nicht wegen der Kontraindikationen auf dem Beipackzettel. Die Folgen des Nicht-Nehmens sind aber gravierender als die Nebenwirkungen.

Tiroler Tageszeitung: Entwickeln wir daraus mehr Angststörungen?

Walter Krämer: Ich glaube schon, weil wir mehr wissen von den Gefahren. Dem Medizinbetrieb und der Pharmaindustrie werfe ich vor, den Krankheitsbegriff und das, was behandlungsbedürftig ist, zu ihren Gunsten zu verändern. Vor zehn Jahren wäre mein Blutdruck völlig normal gewesen, jetzt bin ich laut Arzt Bluthochdruckpatient.

Tiroler Tageszeitung: Geht es uns zu gut? Brauchen wir deshalb neue Ängste? Manche ziehen daraus ja auch Lust.

Walter Krämer: Wir haben ein Luxusproblem, weil wir wahre Gefahren wie kein sauberes Trinkwasser nicht mehr haben. In Ländern, die hungern, gibt es keine Angststörungen. Zur Lust: Manche Leute hätten gerne einen Adrenalinschub. Früher war es der Tiger, vor dem man weglaufen musste, ich kenne Leute, die sind süchtig nach Achterbahnfahrten. Nicht alle sind da gleich empfänglich.

Tiroler Tageszeitung: Sie wettern gerne gegen die Medien, dass sie Ängste transportieren. Profitieren Sie mit Ihrem Buch nicht auch davon?

Walter Krämer: Ich bekomme aber haufenweise Leserbriefe, die sagen: Jetzt kann ich viel beruhigter leben und besser schlafen. Das Buch ist eine Lebenshilfe.

Tiroler Tageszeitung: Was würden Sie jemandem raten, der beruhigt ins neue Jahr starten will?

Walter Krämer: Mit dem Rauchen aufhören, weniger saufen, weniger Fett essen.


Tiroler Tageszeitung: Das klingt so banal.

Walter Krämer: Das sind halt die besten Ratschläge.