Gammastrahlenausbrüche gelten als die gewaltigsten Explosionen im Kosmos. Der Theorie nach sollte dabei energiereiche Strahlung entstehen - sowie Neutrinos: Ein Nachweisversuch in der Antarktis verlief nun negativ. Physiker stehen vor einem Rätsel.
ice-cube station
© unbekanntDas Ice-Cube-Labor in der Amundsen-Scott-Südpolstation
Der stärkste Teilchenbeschleuniger befindet sich ... im europäischen Kernforschungszentrum Cern? Falsch geraten. Der Large Hadrone Collider (LHC) mag zwar auf dem Planeten Erde die mit Abstand energiereichsten subatomaren Teilchen herstellen - kosmisch betrachtet sind das jedoch Peanuts. Zahlen rücken die Relationen zurecht: Der LHC wird in seiner höchsten Ausbaustufe Energien von bis zu 14 Tera-Elektronenvolt erreichen, ausgeschrieben 14 Millionen Millionen Elektronenvolt. Im Kosmos indes treten Strahlungen mit mehr als 10 hoch 18 Elektronenvolt auf - das ist mindestens eine Million Mal mehr als der LHC zu leisten imstande ist.

Wer oder was die kosmischen Teilchen auf solch irre Energien respektive Geschwindigkeiten beschleunigt, war bislang unklar. Als Hauptverdächtige galten Gammastrahlenausbrüche. Diese ebenso heftigen wie kurzen Explosionen entstehen, wenn Sterne unter dem Druck ihrer eigenen Masse kollabieren und sich in Schwarze Löcher verwandeln. Als wollten sie sich kurz vor ihrem Ende noch einmal aufbäumen, werfen die vergehenden Sterne noch einen elektromagnetischen Blitz in die Weiten des Kosmos. Dann folgt Stille und Dunkelheit.

Experiment im ewigen Eis

Forscher der sogenannten IceCube Collaboration haben diese Theorie nun überprüft - und winken ab. So, wie sich die Physiker das vorgestellt haben, läuft die Sache nicht. Nun wird fieberhaft nach einer Möglichkeit gesucht, das Leck im Theorieapparat zu stopfen.

Der Name "IceCube" bezieht sich auf einen Detektor, der seit Dezember 2010 tief im Eis der Antarktis nach kosmischen Signalen von Gammastrahlenausbrüchen fahndet.

Die "Gamma Ray Bursts", wie sie im Englischen heißen, sollten nämlich nicht nur Gammastrahlen, sondern auch Neutrinos erzeugen. Letztere sind ultraleichte, elektrisch neutrale Teilchen mit der eigenartigen Angewohnheit, durch handelsübliche Materie - Planeten etwa - hindurchzurasen, als wäre sie gar nicht vorhanden. Daher durchdringen sie auch den Eisschild auf der Südseite der Erde ohne nennenswerten Widerstand.

Nachweisen kann man sie dennoch: Ganz selten kommt es nämlich vor, dass ein Neutrino direkt auf einen Atomkern trifft und dabei eine winzige Dosis Licht erzeugt. Diese Kleinstsignale werden von den optischen Sensoren des IceCube-Detektors aufgefangen und verstärkt.

Nachweis: Fehlanzeige

Die Gammastrahlenausbrüche sollten sich, so dachte man zumindest bisher, tief im Südpoleis durch eine typische Lichtspur bemerkbar machen. Allein: Sie tun es nicht. Zwei Jahre lang haben die IceCube-Forscher nach passenden Signalen gesucht. Doch sie fanden kein einziges Neutrino, das zu einem von 300 überprüften Gammablitzen gepasst hätte. "Aus der Beobachtung folgen zwei Möglichkeiten", schreibt Alexander Kappes, ein an der Studie beteiligter Physiker vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in einer Aussendung.

"Entweder ist unsere Vorstellung falsch, dass Gamma Ray Bursts eine Hauptquelle der extrem energiereichen Kosmischen Strahlung sind. Oder unsere Rechenmodelle von den Vorgängen in einem Gamma Ray Burst beruhen auf falschen oder zu stark vereinfachten Annahmen."

Abwarten und Teetrinken

"Gamma Ray Burts sind seit den 1970er Jahren bekannt", erklärt Kappes Kollege Christian Spiering im Gespräch mit science.ORF.at. "Sie wurden zufällig mit Hilfe von Strahlungsdetektoren auf Militärsatelliten entdeckt. Damit wollten die Amerikaner kontrollieren, ob die Russen auch das zuvor beschlossene Kernwaffenabkommen einhalten." Laut Theorie hätten die Messgeräte der IceCube-Kollaboration fünf bis 20 Neutrinos pro 300 Gammablitze messen müssen. Dass dies nicht gelungen sei, "ist ernüchternd", so der Leiter der IceCube-Arbeitsgruppe des DESY: "Aber mit Karl Popper ist auch das ein Erkenntnisfortschritt. Die Theorie, dass die höchstenergetischen Teilchen im Kosmos aus Gammablitzen stammen, ist zwar noch nicht widerlegt - doch sie wackelt."

Die Physiker hätten jedenfalls noch eine alternative Erklärung in petto. Möglicherweise stammen die kosmischen Geschoße nicht aus Gammablitzen, sondern von Galaxien mit einem supermassiven Schwarzen Loch in ihrem Zentrum. Gleichwohl sei die dazugehörige Theorie noch nicht so weit entwickelt, als dass man sie punktgenau prüfen könnte, sagt Spiering. "Unser Cheftheoretiker hat einmal gesagt: Die Neutrinostrahlung von diesen Galaxien vorherzusagen ist wie die Zukunft aus Teeblättern zu lesen."
Die Studie

"An absence of neutrinos associated with cosmic-ray acceleration in gamma-ray bursts", Nature (doi: 10.1038/nature11068).