Im TV-Duell bezeichnet Hollande sich bereits 16 Mal als Präsident. Amtsinhaber Sarkozy ist gezwungen, selbst seine Errungenschaften zu verteidigen, bis ihm nur noch gallige Beschimpfungen einfallen.
hollande
© dapd"Ich, der Präsident" oder "ich, der Narzisst?"
"Die einzige Form der Redekunst ist die Wiederholung" - dieser Merksatz für Festredner wird Napoleon zugeschrieben, und François Hollande erwies sich am Donnerstagabend als gelehrsamer Schüler Bonapartes. Der Fernsehringkampf, den er mit Nicolas Sarkozy vor 19 Millionen Zuschauern austrug, währte da bereits weit über zwei Stunden, und beide Kandidaten hingen schon leicht taumelnd in den Seilen, als die Moderatorin Laurence Ferrari die Frage stellte, welchen Stil die Bewerber ihrer Präsidentschaft aufdrücken wollten.

Da sammelte François Hollande die ihm verbleibende rhetorische Kraft und setzte zu einem dreiminütigen Monolog an, der Nicolas Sarkozy anscheinend derart verblüffte, dass er sogar vergaß, wenigstens den Versuch zu unternehmen, seinen Widersacher ab und an zu unterbrechen.

So hatte Hollande Gelegenheit, gleich 16 Mal die Formulierung "Moi, président de la république" zu wiederholen und jedes Mal anzufügen, was er alles unternehmen wolle, wenn er erst einmal in den Élysée-Palast eingezogen sein werde: Er wolle ein Präsident sein, der die Franzosen respektiere, der "nicht Chef von allen" und nicht "für alles zuständig, aber für nichts verantwortlich" sein wolle.

Er werde weder die Fraktionsführer seiner Partei im Élysée-Palast empfangen noch seinen Premierminister als "Mitarbeiter" bezeichnen, er werde keine Wahlkampfspenden in Fünf-Sterne-Hotels in der Nachbarschaft einsammeln, er werde für eine unabhängige Justiz und Verwaltung eintreten, nicht die Chefs von Fernsehsendern selbst ernennen.

Sein persönliches Verhalten werde über jeden Zweifel erhaben sein, die Immunität des Staatschefs wolle er abschaffen, ein paritätisch besetztes Kabinett ernennen, dazu einen Verhaltenscodex für Minister erlassen, Ämterhäufung unterbinden, die Dezentralisierung fördern und die Sozialpartner stärker einbinden. Zudem will Hollande, "Président de la République", "große Debatten" anstoßen - etwa über die Energiepolitik - und das Verhältniswahlrecht einführen.

Er wolle einen erhöhten Standpunkt bewahren, um Orientierung geben zu können, aber sich nicht um alles selber kümmern und trotzdem Sorge tragen, den Franzosen nah zu bleiben. Kurz, Hollande definiert seinen Stil mit der Ankündigung, das Gegenteil von dem tun zu wollen, was Nicolas Sarkozy in den vergangenen fünf Jahren gemacht hat - oder genauer: was der Präsident nach Meinung seiner Kritiker getan oder unterlassen haben soll.

Kalkulierte Frechheit Hollandes zeigt Wirkung

Hollandes geschickter Rückgriff auf die rhetorische Figur der Anapher war zugleich eine kalkulierte Frechheit gegenüber dem Amtsinhaber, der sich von seinem Herausforderer gleich sechzehnmal die Anmaßung "moi, président de la république" anhören musste. Sarkozy hatte in diesem Moment nichts entgegen zu setzen, außer der beleidigt klingenden Bemerkung, Hollande habe da eine "schöne Rede" gehalten, die "uns die Tränen in die Augen treibt."

Am Morgen nach der Debatte war die mediale Wirkung dieser Sequenz erkennbar: "Moi, président de la république" war als Videozusammenschnitt der Hit auf zahlreichen Internetseiten. Sie kursierte auch als Remix mit musikalischer Untermalung von Daft Punk.

Möglicherweise ist das jener Halbsatz, der von dieser Debatte hängen bleiben wird - und bei dem der Inhalt weit weniger bedeutsam ist als die Geste, die in ihm steckt: Es ist die Ankündigung einer Wachablösung.

Hollande krönt sich selbst

Bei allen vorangegangenen im Fernsehen ausgetragenen französischen Präsidentschaftsdebatten seit 1974 lässt sich die Konfrontation der Kontrahenten im Nachhinein meist auf einen einzigen Satz reduzieren, der als Dominanzgeste haften blieb. An die Differenzen in Sachfragen erinnert sich indes im Nachhinein kein Mensch mehr: Giscard obsiegte 1974 gegen Mitterrand mit der Bemerkung "Sie verfügen nicht über das Monopol der Herzen, Herr Mitterrand."

Mitterrand erledigte 1988 Jacques Chirac, der sich beim Präsidenten der Kohabitations-Regierung beklagte, er sei nicht mehr sein Premierminister, sondern gleichberechtigter Kandidat, mit dem Satz: "Sie haben vollkommen Recht, Herr Premierminister."

Diesmal, so scheint es am Tag danach, ist es François Hollande, der sich mit der Formulierung "Moi, président de la république" selbst gekrönt hat.

Von Sarkozy bleiben gallige Beschimpfungen

Der Eindruck besteht auch deshalb, weil von Sarkozys Äußerungen im Gegenzug so wenig haften blieb, außer der immer wieder vorgetragenen galligen Beschimpfung Hollandes als "Lügner" oder gar als "kleiner Verleumder". Doch selbst davon ließ sich Hollande nicht aus der Ruhe bringen: "Das ist bei ihnen ein Leitmotiv, das für mich unerträglich sein müsste. Aber aus ihrem Mund wird es langsam zur Gewohnheit."


Während Sarkozy im Laufe der Debatte immer bissiger zu werden schien und ihm gelegentlich die Mimik entglitt, entspannte sich Hollande zunehmend und verlegte sich darauf, Sarkozy mit kleinen Sticheleien immer wieder zu reizen - und seine Ausführungen zu unterbrechen.

Hollande wirft Sarkozy zu milden Deutschland-Kurs vor

Mit dieser Methode hatte Hollande stellenweise auch Erfolg, wenn Sarkozy die besseren Argumente zu haben schien, wie etwa bei der Diskussion über Reformen nach deutschem Vorbild.

Nachdem Hollande konzediert hatte, man sei gegenüber Deutschland zurückgefallen und Sarkozy gekontert hatte, das läge nicht zuletzt an der von den Sozialisten eingeführten 35-Stunden-Woche, gelang es Hollande, den Akzent der Diskussion zu verschieben, indem er dem Präsidenten vorwarf, Deutschland gegenüber zu nachgiebig gewesen zu sein: "Sie haben nie etwas erreicht, Sie haben nie Stand gehalten", sagte Hollande.

Auch Angela Merkel dürfte diesen Teil der europäischen Geschichte in etwas anderer Erinnerung behalten haben, doch der Vorwurf wirkte: Sarkozy war plötzlich in die Rolle desjenigen gedrängt, der selbst noch den eigentlich vorzeigbaren Teil seiner Bilanz verteidigen musste: Sein Wirken in der Euro-Krise.

Er habe immerhin der Kanzlerin die Wirtschaftsregierung abgerungen und gemeinsam mit Mario Monti die Erlaubnis für die EZB erkämpft, den Banken Geld leihen zu dürfen, sagte Sarkozy seltsam defensiv. Hollande legte genüsslich nach. "Sie sind vor Deutschland zurückgewichen, wir werden Deutschland zwingen, sich zu bewegen."

Sarkozy beschwört "schweigende Mehrheit"

Sarkozy, der sich nach der ersten Runde der Wahl noch "mindestens drei Debatten" gewünscht hatte, weil er glaubte, seinem Gegner auf diesem Gebiet überlegen zu sein, ihn gar zur "Explosion" bringen zu können, stieß in Hollande auf einen mindestens ebenbürtigen Kontrahenten.

In Anspielung auf Hollandes alten Spitznamen "Flanby" - einer in Frankreich beliebten Karamellpuddingmarke - twitterte ein Hollande-Unterstützer nach der Debatte: "Das war wahrscheinlich das erste Mal, dass sich jemand an einem Flanby die Zähne ausgebissen hat."

Am Donnerstagabend rafften sich die beiden Kandidaten noch einmal zu zwei Großkundgebungen auf - Sarkozy in Toulon, Hollande in Toulouse. Am Freitag dann will Sarkozy noch einmal in Les Sables d’Olonnes auftreten.

Hollande macht einen Abstecher an die Mosel, bevor er am Freitagabend im Périgord seinen letzten Auftritt absolviert. Ein paar verbliebene Unentschlossene sollen noch überzeugt werden. Aber wenn sich nicht sämtliche Meinungsforscher täuschen und eine bislang nicht erfasste "schweigende Mehrheit", die Nicolas Sarkozy zu beschwören nicht müde wird, nicht noch aus dem Schatten tritt und dem Amtsinhaber zur Hilfe eilt, dann wird François Hollande am Sonntagabend in Tulle in der Corrèze die für ihn freudige Nachricht empfangen, dass er in den kommenden fünf Jahren "moi, président de la République sagen darf", so oft er will.