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Norbert Röttgen ist Jurist. Das ist zunächst einmal nicht ohne Vorteil, gerade wenn man sich als Politiker in Fragen der Gesetzgebung engagiert. Kein technisches Verständnis aufzuweisen ist aber von Nachteil, wenn in Gesetze gegossene politische Absichten physikalische Rahmenbedingungen nicht berücksichtigen. Und wenn es um Technologie geht, scheitern unsere Politiker an diesen Rahmenbedingungen regelmäßig. Dies belegt der heutige Tag. Norbert Röttgen war bis vor wenigen Stunden das Gesicht der Energiewende. Er hat sich mit einem Ziel verbunden, das man zwar politisch vorgeben und flankieren, technisch aber nicht erreichen kann. Sein Rauswurf war daher zwangsläufig. Er ist das erste politische Opfer der Energiewende. Und ganz sicher nicht das letzte.

Nein, liebe Mainstream-Medien, nicht das Desaster bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen war der tiefere Grund. Auch nicht seine Strategie, die CDU zu einer besseren grünen Partei zu machen, die die christdemokratischen Stammwähler in Scharen entweder zur FDP getrieben oder ganz von den Urnen ferngehalten hat. Das sind alles nur die Tropfen, die zum berühmten Überlaufen beigetragen haben. Ursache für seine Entlassung ist das sich abzeichnende Scheitern der Energiewende. Angela Merkels Erklärung ist deutlich, wenn man Politikersprache zu übersetzen vermag:
Die Energiewende ist ein zentrales Vorhaben dieser Legislaturperiode. Es sind die Grundlagen dafür gelegt worden, aber wir haben noch ein Stück Arbeit vor uns. [...] Es ist offensichtlich, dass die Umsetzung der Energiewende noch große Anstrengungen erfordert.
Anders ausgedrückt: Wir haben nichts erreicht und es ist unklar, wie wir überhaupt etwas erreichen können.

Wahrscheinlich ist die Energiewende für die Kanzlerin kein Projekt, das sie aus Überzeugung forciert. Sie hat einfach, wie so oft, ein Thema besetzt, um es zu neutralisieren, um ihren Gegnern keinen Angriffspunkt, keinen Raum für Differenzen und kein Mobilisierungspotential zu überlassen. Sie hat im Rahmen dieser Taktik den Atomausstieg zunächst auf 2040 terminiert, weit genug in der Zukunft, um heute nichts wesentliches unternehmen zu müssen. Sie hat nach Fukushima nicht aus sachlichen Erwägungen, sondern allein aus Gründen des Machterhaltes diesen um 18 Jahre vorgezogen und ein paar alte, leistungsschwache Anlagen stillgelegt. Damit die Menschen das Demonstrieren und das Kreuzchen bei den Grünen nicht mehr als notwendig erachten. Was sie brauchte, war ein Minister, der diesem Plan in einer Weise folgt, die politisch kommunizierbar ist, sich aber nicht in größeren Verwerfungen in der Praxis äußert.

Was sie bekommen hat, war ein Überzeugungstäter. Keinen Mechaniker der Macht. Was sie bekommen hat, war jemand, der offensichtlich nicht nur tief von der Notwendigkeit, sondern auch von der Möglichkeit eines Umstieges auf die NIEs bei gleichzeitig erheblichen Energieeinsparungen überzeugt war. Jemanden, der tatsächlich dachte, das wäre gut für das Industrieland Deutschland. Jemanden, der tatsächlich versucht hat, die Energiewende aktiv voranzutreiben, statt sie nur auszusitzen und aus den Schlagzeilen zu entfernen. Und dem dann, als es darauf ankam, der Spagat zwischen der eigenen Überzeugung und dem Willen zum Machterhalt nicht gelang. Der ausgerechnet als Umweltminister dem Populismus anheimfiel, die Pendlerpauschale erhöhen und die Solarförderung kürzen zu wollen. Was seine Authentizität zerstörte und dem Gegner neue Attacken ermöglichte.

Angela Merkel macht viele Fehler. Was sie auszeichnet, ist die Fähigkeit, diese schnell und radikal korrigieren zu können, wenn es darauf ankommt. Genau das hat sie heute wieder einmal unter Beweis gestellt. Noch am Montag hieß es, Röttgen wäre ein guter Umweltminister und bleibe im Amt. Seitdem hat sich offensichtlich Entscheidendes verändert. Man kann nur spekulieren, aber vielleicht haben direkte Gespräche der Kanzlerin ihren Fehler verdeutlicht.

Norbert Röttgen ist nicht an NRW gescheitert. Sondern an sich selbst. An der Vorstellung, Dinge wie steigende Energiekosten, schwindende Versorgungssicherheit und die Verschlechterung der Rahmenbedingungen für Investitionen in neue und bessere Energieinfrastrukturen ignorieren zu können. Er hat diese unmittelbaren Folgen seiner Politik vielleicht sogar wissentlich in Kauf genommen, um seiner Ideologie zu folgen. Merkel aber weiß: Man darf den Wählern solche Schwierigkeiten nicht zumuten, wenn man die Macht erhalten will.

Deswegen hat Sie jetzt Peter Altmaier berufen. Auch ein Jurist, wie Röttgen. Auch jemand, dem Begriffe wie Netzfrequenz und Spannungsstabilität nichts sagen werden, auch jemand, der vielleicht denkt, weil eine Taschenlampe mit Batterien funktioniert, müsse das doch auch für eine Aluminiumhütte gelten. Aber ein Politiker aus ihrem Stall, ein Vertrauter, ein Machtmechaniker, wie sie selbst. Einer, der Merkels Taktik versteht, weil er sie selbst mit entworfen hat. Der heute mit den Worten zitiert wird:
Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Herausforderung, nicht Notwendigkeit. Was man auch lesen kann als “nicht ich, sondern wir alle sind schuldig, wenn es nicht funktioniert”. Der kluge Mann baut vor. Mal sehen, ob Altmaier dabei bleibt. Verfällt er wie Norbert Röttgen in Aktionismus, wird er wohl auch nicht lange in seinem neuen Amt überleben. Dafür sorgen dann erneut die Gesetze der Physik. Die auch ein Jurist nicht wegregulieren kann.